Herne. Seit August laden die Herner Kirchen dienstags zum Friedensgebet auf dem Europaplatz ein. Ihr Protest richtet sich gegen Hetze, Hass und Gewalt.
Pfarrer Kornelius Heering war gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt, als er im August zum ersten Mal von einer ominösen Gruppe „besorgter Bürger“ hörte, die sich an der Kreuzkirche getroffen hatte, um von dort aus schweigend durch die Stadt zu laufen. Das gefiel ihm genau so wenig wie den beiden anderen Pfarrern der evangelischen Kreuzkirchengemeinde, und sie beschlossen spontan: „Das geht nicht.“ Die für den folgenden Dienstag organisierte Versammlung auf dem Europaplatz war das erste Friedensgebet. Schon in der Woche darauf schloss sich die katholische Kirche an. Seitdem nehmen jede Woche um die 150 Menschen an dem ökumenischen Gottesdienst teil.
Lieder, Gebete und Bibellesung
Die Form nennt Kornelius Heering „konservativ“: Es wird gesungen und gebetet, Psalme und Fürbitten gehören ebenso zu dem halbstündigen Gottesdienst wie eine Lesung aus der Bibel und deren Auslegung. Ihr Thema: der Frieden. Mit Erstaunen entdecke man dazu gerade eine Fülle von Bibelstellen. „Die Kollegen haben ein großes Interesse, diesen Gottesdienst mitzugestalten und auf die Suche zu gehen.“
Die Kollegen, das sind die evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer des Kirchenkreises und die katholischen Pfarrer aus der ganzen Stadt. Je ein Vertreter einer Konfession steht am Dienstag zwischen 17.30 und 18 Uhr in der geöffneten Kirchentür. Einer von ihnen und Mitinitiator ist Georg Birwer, Pfarrer von St. Dionysius. Die Kirchenglocken von St. Bonifatius läuten jeden Dienstag zeitgleich mit denen der nur wenige hundert Meter entfernten Kreuzkirche. Zur Motivation der Pfarrer sagt Birwer deutlich: „Wir stehen da, weil wir finden, dass wir als Christen unsere Stimme erheben müssen. Weil uns Abgrenzungstendenzen Sorgen machen und weil uns Hass und Lügen aufregen.“ „Hass, Gewalt und Hetze“, präzisiert Kornelius Heering, seien schlicht nicht zu tolerieren.
Engagement wird anerkannt
Ein Engagement, das anerkannt wird. In den Gemeinden wie von denen, die im „Bündnis Herne“ zusammengefunden haben, das als Gegenprotest gegen Rechts für eine offene bunte Stadt eintritt. Etwa die Hälfte der Gottesdienstbesucher bewegt sich nach Schätzung der Pfarrer nach dem Friedensgebet noch zum Treffpunkt des „Bündnisses“. Seit Aufbau des Weihnachtsmarktes ist das das Rondell an der Einmündung Glockenstraße, wo eine kleine Bühne aufgebaut ist und Getränke ausgeschenkt werden.
Hier wird mal musiziert, mal etwas gelesen, bevor sich ein Zug von Demonstranten formiert, der durch die Innenstadtstraßen zieht. Für einige ältere Gottesdienstbesucher sei das zu anstrengend, sagen die Pfarrer, genau sowie Trillerpfeifen und Sprechchöre. Umgekehrt mag nicht jeder „Bündnis“-Anhänger ein Kirchenlied singen, wie kürzlich vor der Tanzdemo „Bass gegen Hass“ auf dem Europaplatz zu beobachten war. Fest steht aber: Man achtet sich.
Viel Lob aus den eigenen Reihen
Auch aus den eigenen Reihen hören die Pfarrer viel Positives. Heering: „Für viele ist das der Gottesdienst, in dem sie Stärkung empfinden.“ Sicherlich gebe es auch konservative Stimmen in den Gemeinden, aber diese fänden das Friedensgebet gut, „weil sie keine Schlägertrupps haben wollen“. Eine konstante Anhängerschar aus ganz Herne über ein Vierteljahr halten zu können, das freut die Pfarrer natürlich, die an Mitgliederschwund gewöhnt sind.
Pfarrer Birwer möchte trotzdem einem falschen Eindruck vorbeugen: „Wir machen den Gottesdienst nicht, um gut anzukommen oder um die Kirche zu erneuern“, sagt er. Das sei sekundär. „Kämen wir nicht so gut an, müssten wir es trotzdem machen.“ Für den katholischen Geistlichen zeigt sich daran: „Sobald man ein Thema hat, das brennt, kommt man einfach zusammen.“ Was auch für die beiden Konfessionen gilt, die in dieser Frage nichts trennt.
Ein Dilemma bleibt. Man rede nicht mehr miteinander in der Gesellschaft, bedauert Heering und meint damit den Kontakt zu den „anderen“, wie er die Demonstrierenden nennt, denen Neonazis, Hooligans und Rechtsextreme angehören. Auch Birwer fehlt das Gespräch, in dem „man sich kritisch begegnet und in die Augen schaut. Wo ich zurückfragen kann, und vielleicht die Chance habe, dass man sich näher kommt.“ Ganz klar habe seine Toleranz aber Grenzen: „Ich möchte ein Gespräch, aber keine Beschimpfung.“
Zu den Pfarrern
Pfarrer Georg Birwer (60) ist gebürtiger Dortmunder. Er kam vor knapp drei Jahren aus Unna nach Herne. Er ist Pfarrer in St. Dionysius und Leiter des Pastoralen Raums Herne.
Pfarrer Kornelius Heering (35) war zuletzt in der Dortmunder Nordstadt tätig. Er stammt aus dem Sauerland und kam ebenfalls 2017 nach Herne.
Gottesdienste gehen im neuen Jahr weiter
Wie kann ich die Menschen erreichen? Manchmal eher auf der Straße als in der Kirche, das haben die Pfarrer auch bei der Aktion „HER-leuchtet“ mit ihren Aktionen unter dem großen Adventskranz in der Bahnhofstraße erlebt. Im neuen Jahr werden die Kirchen ab dem 7. Januar weiter dienstags um 17.30 mit dem Glockengeläut zum Innehalten einladen. Auf dem Platz, der jetzt wieder ihnen gehört. Es sei bei den Friedensgebeten ein besonderer Geist zu verspüren. „Und der soll weiter getragen werden“, haben sie sich vorgenommen. „Wir haben die deutliche Bitte gehört, in der Form weiterzumachen“, sagt Kornelius Heering. „Selbst wenn die ,besorgten Bürger’ nicht mehr laufen.“