„Remainer“ oder „Leaver“. Für Jürgen Halten keine Frage: Er ist Europäer. Wie der Wanne-Eickeler den Brexit in seiner neuen Heimat England erlebt.

Eigentlich kann er es nicht mehr hören. Früher fragten die Leute nach dem englischen Wetter. „Das ist ersetzt worden durch ,Sind die denn alle da verrückt geworden?’“, berichtet Jürgen Halten, Wanne-Eickeler im englischen Exil. Vor sieben Jahren ist er mit seiner britischen Frau nach Hampshire gezogen, was zwischen London und Southampton liegt. Gerade macht er eine Woche Heimaturlaub. Auf dem Weg ins „Lago“ schaute er am Freitag in der WAZ-Redaktion vorbei - wo man natürlich auch gleich wissen wollte: „Was ist mit dem Brexit?“.

Er sei ein „Remainer“ stellt Jürgen Halten (64) klar, auch wenn ihm eine allzu freie Marktwirtschaft nicht behage, und seine Freunde seien es auch. Aber die Gräben zögen sich durch das gesamte Umfeld und in der Familie seien schon einige gegen den Verbleib Englands in der EU, also „Leaver“: „Da fallen dann die Weihnachtsgeschenke etwas kleiner aus.“ Rein humoristisch passt Halten gut in seine neue Umgebung.

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Von Tobias Mühlenschulte

Jürgen Halten (re.) mit Horst „Hotte
Jürgen Halten (re.) mit Horst „Hotte" Schröder vor zwei Jahren im Kasino des Kasinoverein Unser Fritz. Dort präsentierten die beiden ein Fußball-Programm auf Englisch und Deutsch. © FUNKE Foto Services | Joachim Haenisch

„Settled Status“ vor kurzem erhalten

Der Sozialwissenschaftler, der früher auch gerne mal auf der Bühne stand, arbeitet in England für ein soziales Wohnungsbauunternehmen und unterstützt dort als „Employment and Training Officer“ deren Mieter bei der Rückkehr auf den Arbeitsmarkt. Eine Arbeit, die ihm gefällt, und die er durch einen Austritt auch nicht gefährdet sieht. Zumal ihn seit vier Wochen der „Settled Status“ schützt: Als Deutscher, der über fünf Jahre im Land lebt, hat er jetzt das unbegrenzte Aufenthaltsrecht. Damit darf er sogar wählen, allerdings nur kommunal.

Dort, wo er wohnt, hat sich die Politik im Bezirk für den Verbleib in der EU entschieden, obwohl die Mehrheit dort „stramm konservativ ist“. Dafür oder dagegen, „das geht quer durch die Parteien“, stellt er fest. Die seit Jahren währenden Querelen um den Brexit hätten jedenfalls England geschadet, meint der Auswanderer. Seine Gefühl: „Die Kompromissfähigkeit und Fairness, die das Land früher ausgezeichnet haben, scheinen vorbei zu sein.“ Er selbst ärgert seine Mitmenschen in England auf seine Weise: „Ich bin für alle Teams, die gegen England spielen“, erklärt er, „egal ob Minigolf, Fußball oder Rugby“.

Die Band Wanne- Eickel im März 2007: v.l. Peter Habermehl, Dirk Kühn und Jürgen Halten.
Die Band Wanne- Eickel im März 2007: v.l. Peter Habermehl, Dirk Kühn und Jürgen Halten. © QUICKELS

Zoll für den „Mond“-Likör aus Herne

Nachteile durch den Brexit sieht er für sich persönlich woanders. Zum Beispiel im Gesundheitsbereich: „Ich habe die European Health Card, mit der ich auch hier zum Arzt gehen kann“. Die würde dann im Falle eines Austritts wohl abgeschafft. Schlimmer noch: „Ich werde nicht mehr so viel Bier und ,Mond’-Likör aus Herne mitnehmen dürfen, die ich gerne mal verschenke.“ Und die „Freshona Gewürzgurken“ im englischen Lidl würden wahrscheinlich auch teurer...

Ob die Familie in Großbritannien bleibt, steht noch nicht fest. Haltens 16-jährige Tochter geht noch zwei Jahre aufs College. Jürgen Halten selbst erreicht im nächsten Jahr das Rentenalter und kann sich durchaus vorstellen, ins Ruhrgebiet zurückzukehren. Auf jeden Fall schon mal zum Geburtstag in zwei Jahren. „Ich war gestern noch bei Horst Schröder. Wir haben beschlossen, meinen 66. hier zu feiern.“

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Als Alterswohnsitz schließt der Wanne-Eickeler übrigens sogar Herne nicht aus. „Ideal wäre eine Wohnung in der Nähe vom Lago,“ schwärmt er. Vergleichbare öffentliche Bäder mit Sauna gebe es in England überhaupt nicht. Seine letzte Botschaft in Sachen Brexit, bevor er in den Wellness-Bereich entschwindet: „nicht alles glauben, was die Politiker erzählen!“