Herne. Auf die Heime für Menschen mit Behinderung kommen grundlegende Veränderungen zu. Bewohner und Beschäftigte fühlen sich verunsichert.
Bewohner und Mitarbeiter in den Heimen der Wewole-Stiftung fühlen sich verunsichert und haben Sorgen um ihre Zukunft, berichtet Vorstandschef Rochus Wellenbrock. Wewole ist nach seinen Angaben in Herne mit 180 Plätzen der größte Anbieter für die stationäre Unterbringung von Menschen mit Behinderung. Und auf diese Häuser kommen, wie er erläutert, einschneidende Veränderungen zu.
Erhalten die Heime für ihre Finanzierung derzeit noch Pauschalbeträge vom Landschaftsverband, brechen aufgrund des Bundesteilhabegesetzes (siehe Infobox) ab dem Jahresbeginn 2020 neue Zeiten an, so Wellenbrock. Er unterstütze das Ziel des Gesetzespaketes, dass Menschen mit Behinderung die Chance bekommen, ein selbst bestimmtes Leben zu führen. Aber hinter die Umsetzung könne man durchaus Fragezeichen setzen.
Zusätzliche Aufgaben für das Sozialamt
Das Ziel des BTHG besteht darin, dass Menschen mit Behinderung ein möglichst selbst bestimmtes Leben führen können.
Zu den Trägern, die Heime für Menschen mit Behinderungen anbieten, gehören die Wewole-Stiftung, die Lebenshilfe, die Diakonische Stiftung Wittekindshof, die Arbeiterwohlfahrt und der Arbeiter-Samariter-Bund.
Nach Angaben der Stadt ist sie für rund 400 Menschen mit Behinderung zuständig. Entscheidend ist der Herkunftsort. Das bedeutet: Das Sozialamt kümmert sich auch um diejenigen, die nicht mehr in Herne leben.
Für die zusätzlichen Aufgaben, die mit dem BTHG verbunden sind, ist bereits eine weitere Stelle eingeplant. „Weitere personellen Maßnahmen werden geprüft“, so Stadtsprecher Christoph Hüsken.
Nach Aussage von Bettina Szelag, der Vorsitzenden des Beirates für die Belange von Menschen mit Behinderung, will sich das Gremium auch in Kürze mit dem Thema befassen.
Bewohner sollen ihr Geld selbst verwalten
Vorgesehen ist in einem ersten Schritt, dass die Bewohner zunächst das ihnen zustehende Geld des Staates, die Grundsicherung, selbst verwalten oder sich ihr zuständiger Betreuer darum kümmert. Bislang haben sie damit kaum etwas zu tun, die Aufgabe übernimmt der Landschaftsverband. Zudem werden die Menschen mit Behinderung zu Mietern in den Wohnheimen und haben die Pflicht, monatlich die Miete an den Träger des Heimes zu überweisen. In einem weiteren
Schritt soll dann die Organisation der Betreuung umgestellt werden.
„Das bedeutet, dass wir mit jedem Bewohner einen Mietvertrag abschließen“, so Wellenbrock. Schon dadurch entstehe ein großer Verwaltungsaufwand. Hinzu komme noch, dass der Bewohner zwar ein Anrecht auf Rückerstattung der Miete habe, dazu aber künftig Anträge bei der Stadt ausfüllen und auch eigens die Nebenkosten abrechnen müsse. Wenn behinderte Menschen einen rechtlichen Betreuer haben, sind sie für solche zusätzliche Aufgaben gefragt. „Sowohl die Betroffenen als auch die Betreuer fragen sich, was da alles auf sie zukommt.“
Bewohner sollen eigenständig sein
Ferner sind, wie Wellenbrock erklärt, auch finanzielle Aspekte zu betrachten, insbesondere wenn 2022 die Betreuung neu geregelt wird. Dann nämlich wird bei jedem einzelnen Bewohner überlegt, welche Therapien und Begleitungen er benötigt oder haben möchte. Daraus ergibt sich dann die Zahl der Stellen für Sozialarbeiter, Diplom-Pädagogen oder Therapeuten. Die Unsicherheit bestehe darin, dass man nicht absehen könne, ob nach den Einzelbewertungen der Bedarf an den jetzt vorhandenen Stellen bleibe. Jetzt und aktuell brauche man jeden Mitarbeiter, betont Wellenbrock.
Frank Tafertshofer, Sprecher des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, betont, dass man die Sorgen und Bedenken aller Beteiligten sehr ernst nehme und die Einrichtungen bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes unterstütze. In Kürze werde auch eine Hotline geschaltet, an die sich Betroffene wenden können. Wichtig sei es, das eigentliche Anliegen nicht aus den Augen zu verlieren: Man wolle weg von einer Fürsorge, die immer die Gefahr einer Bevormundung beinhalte. Stattdessen sollen die Menschen eigenständig über ihr Leben bestimmen können.
Erheblich höhrer Verwaltungsaufwand
Dieses Motiv betont auch Christina Heldt, Geschäftsführerin des Vereins Lebenshilfe. Bereits vor zehn Jahren sei die UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung unterzeichnet worden. Da sei es an der Zeit, dass nun auch in Deutschland die Inklusion zum Tragen komme. Allerdings spricht auch Heldt von „großen Herausforderungen“, die man nun zu bewältigen habe. Der gesamte Verwaltungsaufwand vergrößere sich erheblich. Verstärkt werde man auch auf das Geld schauen, unter anderem, ob und wie Instandsetzungen finanzierbar sind. Matthias Jacobstoer, Geschäftsführer im Wittekindshof, meint ebenso, dass noch enorme Anstrengungen erforderlich sind, um die Gesetzesvorgaben zu realisieren. Dazu sei es aber dann auch wichtig, alle Beteiligten frühzeitig zu informieren.