Herne. Die Säuglingssterblichkeit in Herne war zuletzt doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Das steckt hinter den neuesten Zahlen.
Die Säuglingssterblichkeit ist in keiner anderen Kommune in Nordrhein-Westfalen so hoch wie in Herne. Sie liegt doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt.
Laut Angaben des statistischen Landesdienstes IT NRW starben 2018 auf Herne bezogen insgesamt elf Kinder während des ersten Lebensjahres. Das macht einen Anteil von 7,7 Promille aller Babys aus, die Herner Mütter im vergangenen Jahr zur Welt gebracht haben. Für ganz NRW betrachtet liegt der Anteil bei 3,8 Promille.
So schlimm der Tod jedes einzelnen Säuglings sei, wie es Dr. Anja Schulenburg formuliert, appelliert die Bezirksobfrau der Kinder- und Jugendärzte aber dennoch, das Datenmaterial genauer zu betrachten. Zwar habe es elf Todesfälle in 2018 und zehn in 2017 gegeben, aber 2012 und 2013 sei beispielsweise die Zahl mit je drei verstorbenen Säuglingen deutlich geringer gewesen. Um die Situation in einer Stadt oder einer Region realistisch zu beurteilen, müsse man die Werte mehrerer Jahre einbeziehen.
Diese Position vertrete sie nicht allein, sondern diese Auffassung sei längst auch die Ansicht zahlreicher Fachleute. Die Medizinerin verweist unter anderem auf die Internetseite des Landeszentrums Gesundheit NRW (LZG). Auch dort sei die Aussage zu finden, dass man aus den Angaben zu einem einzelnen Jahr keine Entwicklung ablesen könne. Dafür seien zu viele zufällige Schwankungen möglich. Von einem erhöhten Risiko für Herne lasse sich angesichts der veröffentlichen Zahlen nicht sprechen, betont Schulenburg.
Problematische Internetseiten
Aussagen über die jeweiligen Todesursachen gebe die Statistik nicht her, so die Ärztin. Bekanntermaßen können aber, wie die Medizinerin erläutert, Frühgeburten ein Grund für Säuglingssterblichkeit sein. Trotz aller medizinischer Hilfe sei es manchmal nicht möglich, dass diese Kinder überleben. Beim plötzlichen Kindstod seien die Zahlen zwar stark rückläufig, aber es gibt, so Schulenburg, recht problematische Internetseiten und -foren. Vorsichtsmaßnahmen, die Eltern ergreifen sollen, werde oft wenig Bedeutung beigemessen. Doch es sei ungemein wichtig, einige Regeln für den Schlaf des Babys zu beachten (siehe Box).
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Darüber hinaus habe sich gezeigt, dass ausländische Familien das deutsche Gesundheitssystem zu wenig kennen und bestehende Möglichkeiten nicht in Anspruch nehmen. Auch seien sie über Krankheitsbilder, vor allem Stoffwechselerkrankungen, nur unzureichend informiert, sagt Schulenburg. „Doch gerade die sind häufig Ursache des Säuglingssterbens“. Mit neuen und verfeinerten Blutuntersuchungen bei den Babys lassen sich nach Worten der Medizinerin solche Gefahren inzwischen sehr deutlich erkennen und entsprechende Behandlungsmethoden entwickeln.
Wissenschaftlerin: Mängel im Gesundheitssystem beheben
Als vorteilhaft hätten sich auch die verpflichtenden U-Untersuchungen erwiesen, um gesundheitliche Probleme zu erkennen. Begrüßenswert sei zudem, dass die Stadt seit inzwischen zehn Jahren jungen Familien nicht nur Willkommensbesuche abstatte, sondern ihnen auch anbiete, dass städtische Hebammen mit Rat und Tat zur Seite stehen. „Die Angebote der Stadt werden auch sehr rege genutzt“, erläutert Sprecher Christoph Hüsken.
Für Professorin Claudia Roll, Kinderärztin an der Vestischen Kinderklinik in Datteln, sollten die aktuellen Zahlen zur Säuglingssterblichkeit Anlass sein, das gesamte Gesundheitssystem für Kleinkinder genauer zu untersuchen und Mängel zu beheben. „Denn im Bundesvergleich liegt NRW auf hinteren Plätzen und bei einem Vergleich einiger Industrienationen erreicht Deutschland gerade mal das Mittelfeld“. Japan und Schweden beispielsweise haben, so Roll, ganz geringe Zahlen an Säuglingssterblichkeit. Frühgeburten hätten dort eine deutlich höhere Überlebenschance.
Zentrale Kinderkliniken mit hohem Standard
Darüber hinaus sei auch die Betreuung und Begleitung von Schwangeren sowie der jungen Mütter noch intensiver. Ferner habe man in den Ländern zentrale Kinderkliniken geschaffen, die über einen hohen medizinischen Standard sowie Wissen und Erfahrung verfügten, erklärt Roll. Obwohl die Menschen mitunter weite Wege zu den Hospitälern zurücklegen müssten, habe sich ein solches System aber dort bewährt. Zu bedenken gibt sie ferner, dass Staaten wie Deutschland zwar große Summen für Gesundheit im Allgemeinen ausgeben, aber nicht speziell für die Versorgung von Säuglingen.