Herne. Ein unterirdischer Bunker wurde bis 1995 in Herne für Katastrophenfälle vorgehalten. Was heute dort gelagert wird, sahen WAZ-Leser beim Rundgang.
Einen Ernstfall gab es nur einmal. Nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl im April 1986 beobachteten zehn Personen für drei Tage und Nächte im unterirdischen Bunker unweit des Herner Bahnhofs die Lage. Am Dienstag durfte sich eine Besuchergruppe der WAZ in Gängen und Räumen umsehen. Stadthistoriker Ralf Piorr öffnete ihnen die dicke Stahltür und fütterte sie mit unterhaltsamen Fakten aus der Zeit des „Kalten Krieges“.
40 Menschen konnten 40 Tage überleben
„40 Leute, 40 Tage.“ Auf diese griffige Formel brachte Ralf Piorr die Funktion, die der Katastrophenschutzbunker ab 1969 erfüllen sollte. Nicht die High Society von Herne, sondern ein Führungsstab sollte von dort aus den Überblick behalten, wenn der Katastrophenfall einträte, erklärt der Historiker, bevor es zwischen Pestalozzi-Gymnasium und Sportplatz-Zaun durch eine unauffällige Tür hinab geht in die Katakomben. „B-Stelle“ steht auf der Tür: Befehlsstelle.
Den Ort sollte niemand kennen. „Das war alles Geheimsache“, weiß Piorr. Das kann WAZ-Leser Dieter Meißner (58) bestätigen. Viele Male habe er während seines Wehrersatzdienstes in den 1970er-Jahren beim Deutschen Roten Kreuz Material zur Schule gebracht, erzählt er, das aber immer auf den letzten Metern abgeholt worden sei. Bei „Globus“ habe stets ein Essenskontingent bereit gelegen, das das DRK ausgeliefert habe. „Da möchtest du mal rein“, habe er immer schon gedacht.
Duschen zur Dekontamination
Jetzt betritt er mit der Gruppe den Eingangsbereich, wo Straßenkleidung hinter verbleiten Klappen verschwand, bevor es unter die Dusche ging. Zur Dekontamination, etwa bei einem Chemieunfall. Ob der Bunker auch einem Atomangriff stand gehalten hätte? Piorr bezweifelt es. ABC-Schutzanzüge und Filter waren aber vorhanden.
Mehr Infos zum Bunker
Der Bunker ist laut Ralf Piorr „ein Zwitter“: Einem Atomangriff würde die Betondecke nicht standhalten, sie gilt lediglich als sicher vor Trümmern.
Trotzdem gibt es ABC-Schutzanzüge, eine Lüftung mit ABC-Schutz und Sandfiltern, eine Wasseraufbereitungsanlage und ein Diesel-Drehstromaggregat als Notstromanlage.
Das Emschertalmuseum nutzt den Bunker seit zehn Jahren als Magazin.
Mit einem Sendemast vor der Tür, Wasser und Strom habe man sich im Bunker autonom versorgen können, erzählt Piorr beim Rundgang durch die 18 Räume, in denen nur noch wenige Objekte an die Vergangenheit erinnern, die aber, leicht bedrohlich, trotzdem präsent ist. Bis 1995 wurden die Anlagen regelmäßig gewartet. Die Besucher sehen altertümliche Geräte, Stromaggregat und Rohre, das Klimazentrum der 310 Quadratmeter. Piorr zeigt eine alte Schalttafel und „das erste Handy“: ein Telefon mit Handbetrieb.
Emschertalmuseum nutzt Bunker als Magazin
Welchen Zweck die Räume heute erfüllen, wird in der zweiten Hälfte des Rundgangs deutlich. Das Emschertalmuseum, für das der Historiker Ralf Piorr und sein Begleiter Mustafa Kandil als Hausmeister arbeiten, stellt hier unter, was im Heimatmuseum, in Schloss Strünkede und der Städtischen Galerie keinen Platz findet. Gerade staunt die Gruppe über einen Raum voller Fahnen, darunter 120 Jahre alte Bergarbeiterfahnen. „Hier ist ein immer gleichbleibendes Klima“, erklärt Piorr, weshalb der Lagerraum ideal ist. Warum die Fahnen nicht im Museum hängen, will jemand wissen. „Jedes Museum ist wie ein Eisberg“, sagt Piorr. „Wir sehen nur, was über der Oberfläche ist.“
Was sich unter dem Wasserspiegel noch alles verbirgt, wird in den nächsten Räumen deutlich. Bügeleisen, Waffeleisen, Heißmangeln, von Herner Bürgern dem Museum vermacht. Im Magazin warten die Objekte darauf, einmal ausgestellt zu werden. Auch Kunstbücher sind in Regalen untergebracht. Spektakulär: das Original-Geweih eines Riesenhirschs, das zwischen Knochen-Funden und Mammutzahn gelagert ist.
Ausstellung über die 80er-Jahre geplant
Im Mannschaftsraum der Männer lässt ein Etagenbett auf spartanische Schlafverhältnisse schließen. Ein Notausgang (voller Spinnen) verspricht Rettung, „wenn der Russe vorne an der Tür klingelt“, wie Ralf Piorr scherzhaft bemerkt. Überhaupt gibt es viel zu lachen bei dieser aufschlussreichen Tour, die viel vom Geist des Kalten Krieges in den 80er Jahren vermittelt. Das erleben auch die Leser so: „Eine interessante Zeitreise“, findet Rolf Hunger (69), den über 40 Jahre bei der Freiwilligen Feuerwehr mit dem Katastrophenschutz verbinden. „Ich habe was dazu gelernt“, sagt auch eine Bochumer Leserin.
Apropos Zeitreise: Über diese Zeit mit ihren Katastrophen von Tschernobyl bis Seveso und den herrschenden Ängsten vor dem Wettrüsten und dem „Sauren Regen“ würde Ralf Piorr gerne im nächsten Jahr eine Ausstellung machen, „Herne in den 80er-Jahren“. Natürlich im Katastrophenschutzbunker.