Herne. . An der Herner Basis gibt es nach der Rücktrittsankündigung von SPD-Chefin Andrea Nahles Erleichterung, aber auch den Ruf nach einem GroKo-Aus.

„Das war höchste Zeit“: Mit Erleichterung reagieren Herner Genossen auf die Rücktrittsankündigung von SPD-Partei- und Fraktions-Chefin Andrea Nahles. Und auch erste Namen für die Nachfolge an der Parteispitze werden bereits ins Spiel gebracht.

Vor der Bundestagswahl im September 2017 besuchte die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (2.v.re.) Herne und war Ehrengast beim Familienfest der SPD im Schlosspark Strünkede. Mit im Bild: (von rechts) Michelle Müntefering, Alexander Vogt und OB Frank Dudda.
Vor der Bundestagswahl im September 2017 besuchte die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (2.v.re.) Herne und war Ehrengast beim Familienfest der SPD im Schlosspark Strünkede. Mit im Bild: (von rechts) Michelle Müntefering, Alexander Vogt und OB Frank Dudda. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Der Rückzug von Nahles sei überfällig gewesen, sagt Olaf Semelka, Ratsherr und Mitglied des engeren SPD-Vorstands in Herne, auf WAZ-Anfrage. „Sie hätte schon direkt nach der Europawahl zurücktreten sollen“, so der 49-Jährige.

Wer soll es nun machen? Er könne sich gut den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil an der Parteispitze vorstellen. Mit seiner „ruhigen und gesetzten Art“ sei er vielleicht genau richtig. Auch Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, könne er sich als Vorsitzende vorstellen.

Ruf nach Aus für die GroKo

Die GroKo sollte die SPD auf jeden Fall verlassen - „aber erst im Herbst“, sagt Semelka. Bis dahin sollten noch einige wichtige Punkte umgesetzte werden wie beispielsweise die Grundrente. Er sei ein absoluter Gegner der GroKo - „auch in Herne“, so Semelka.

Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering begrüßt den Schritt von Nahles. In der Partei könne sie sich künftig eine Doppelspitze vorstellen.

Die 39-Jährige fordert einen „neuen Aufbruch“ in der SPD - „ohne Eitelkeiten und für die Sozialdemokratie, die auch im 21. Jahrhundert gebraucht wird.“ In welcher Rolle, darüber entscheide ein Parteitag, der für Ende des Jahres geplant sei.

Bis dahin wolle sie mit der Fraktion noch etwas erreichen, zum Beispiel beim Klimaschutz und bei der Grundrente.

Müntefering spricht von einer schweren Krise

Die Partei stecke in einer schweren Krise: „Wir sind nicht in die Große Koalition gegangen, weil wir sie wollten, sondern weil andere sich die Verantwortung nicht zugetraut haben. Wir machen gute Arbeit, aber überzeugen nicht“, so die Staatsministerin im Auswärtigen Amt.

Als „richtig“ bezeichnet Theres Boneberger (34) die Entscheidung von Andrea Nahles. „Das wird ihr nicht leicht gefallen sein“, sagt das SPD-Vorstandsmitglied. Bei der Suche nach einer Nachfolgerin/einem Nachfolger sollte sich die Partei Zeit lassen. Die Personalie dürfe auf keinen Fall wieder im Bundesvorstand „ausgeklüngelt“ werden. Und: Vielleicht sollte mal jemand zum Zug kommen, „der im Leben schon mal etwas Anderes als Politik gemacht hat“, so Boneberger.

Juso-Chef Benny Grabowski fordert eine Erneuerung von unten. Die Parteispitze sei nicht mehr auf Augenhöhe mit Bürgern, kritisiert er.
Juso-Chef Benny Grabowski fordert eine Erneuerung von unten. Die Parteispitze sei nicht mehr auf Augenhöhe mit Bürgern, kritisiert er. © Funke Foto Services | Rainer Raffalski

Parteigrößen wie Olaf Scholz und Martin Schulz kämen für sie nicht mehr in Frage: „Sie wären nicht glaubwürdig.“ Familienministerin Franziska Giffey wäre für sie vor Monaten noch eine denkbare Parteivorsitzende gewesen - bis dann die Diskussion über Plagiate in deren Doktorarbeit entbrannt sei. Nun zweifele sie an dieser Kandidatin: „Diese Angelegenheit ist problematisch.“

Vogt hält Doppelspitze für denkbar

Was sagt Hernes SPD-Chef? „Es ist gut, dass Andrea Nahles den Weg für eine neue Parteispitze frei macht“, so Alexander Vogt. Themen wie die Grundrente und gerechtere Bildung müssten weiter und Fragen von gerechterer Vermögensverteilung und sozial gestaltetem Klimaschutz von der SPD neu angegangen werden.

„Dies muss mit neuen Köpfen geschehen“, sagt Vogt, der sich wie Müntefering auch eine Doppelspitze vorstellen kann. Namen nennt der Landtagsabgeordnete allerdings nicht: Nun müsse erst in der Fraktion und der Partei beraten werden. Die GroKo war nicht als Dauerlösung geplant. Aufgrund der Blockadehaltung der Union müsse ach der personellen Neuaufstellung der SPD eine Entscheidung über einen Ausstieg aus der GroKo fallen, so Vogt.

Auch Ernst Schilla (73) ist froh über den Rücktritt von Andreas Nahles. Bei aller Kritik an Nahles - am Europawahl-Ergebnis trage sie nicht die Alleinschuld. „Das haben alle verbockt“, so der Vorsitzende der SPD-Bezirksfraktion in Sodingen.. Anders als Semelka hat Schilla allerdings keinen Vorschlag für die Nachfolge: „Ich bin da ratlos.“ Was die SPD als Nächstes tun muss, weiß er jedoch genau: „Wir müssen sofort raus aus der GroKo.“

Dieser Forderung schließt sich Juso-Chef Benny Grabowski an. Und wie seine Herner Genossen ist auch der 30-Jährige froh über den Rücktritt von Nahles. Eine „Erneuerung von unten“ sei nun nötig, fordert er. Die Führung der Partei sei nicht mehr auf Augenhöhe mit Bürgern.

Ein frischer Input sei nötig - „warum nicht aus dem Ruhrgebiet?“, fragt Grabowski, ohne Namen zu nennen. Die Partei müsse ihr inhaltliches Profil schärfen und die Klimapolitik stärker in den Fokus nehmen – „aber ohne die Grünen zu kopieren“.

OB Dudda sieht seine Forderung erfüllt

Mit dem Rücktritt von Andrea Nahles ist die direkt nach der Europawahl erhobene Forderung von Oberbürgermeister Frank Dudda (SPD) nach Veränderungen in der Führung der Bundespartei erfüllt. Persönlich tue es ihm für Nahles leid, weil sie mit Leib und Seele SPD gelebt habe, doch in der Sache sei es die einzig richtige Entscheidung, weil jemand für das Ergebnis bei den Europawahlen die Verantwortung übernehmen müsse, so der OB zur WAZ.

Für die Nachfolgeregelung müsse sich die Partei nun Zeit nehmen, es dürfe keine Schnellschüsse geben. Dudda plädiert für einen Generationswechsel, weil die Erneuerung der SPD längere Zeit in Anspruch nehmen werde. Die SPD habe sich in der Vergangenheit im Klein-Klein aufgerieben, obwohl es eine Reihe von Themen gebe, die nach Lösungen schrien.

Die SPD werde gebraucht. Als Beispiel nannte er die Digitalisierung und die Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Die Frage des Fortbestands der Großen Koalition sieht er „offener denn je“. Ein neuer SPD-Vorsitzender müsse einen Faktencheck machen, welche eigenen Themen er umsetzen möchte. Und bei einigen seien die Unterschiede zur CDU sehr groß. Dudda: „Personen und Inhalte müssen wieder zusammenpassen.“