Herne. Direkt gegenüber der Herner SPD-Zentrale hat die Piratenpartei einen Stammtisch gegründet. Für den ein oder anderen Mistreiter und Sympathisanten hat das alles etwas von einem Abenteuer.
Über den blinkenden Geldspielautomaten im Hinterzimmer hängt eine orangefarbene Fahne. „Jägermeister” steht drauf. Es ist bestimmt Zufall, dass sie der Fahne der Piratenpartei, die in der anderen Ecke hängt, zum Verwechseln ähnlich ist, mit anderem Schriftzug, versteht sich. Und es ist sicherlich auch Zufall, dass der Treffpunkt der Herner „Piraten”, das „Ritchie's”, gegenüber der SPD-Zentrale liegt.
Zufall? Jung und wild, so geben sich die Piraten, die nun die etablierten Parteien angreifen wollen. Gerade wurde vor Ort ein Stammtisch gegründet, im besagten „Ritchie's”, Treffpunkt für Mitglieder und Sympathisanten, um zu diskutieren, sich zu organisieren. Viel Zeit bleibt nicht, denn im Mai wird wieder gewählt – diesmal der Landtag.
Wöchentliche Treffen mit Bier und Spekulatius
Eine Handvoll Leute, wenn's hoch kommt, sitzt da seit Oktober wöchentlich bei Bier (und jetzt auch Spekulatius), und voll wird's unter der orangen Fahne nur dann, wenn sich Mitglieder von anderen Stammtischen dazu gesellen. So wie diesmal. Da schaut erst Simone Brand aus Bochum, Landtagskandidatin in Eickel, vorbei. Später stößt aus Wuppertal Patrick Wolter hinzu, der zweite Vorsitzende des Landesverbandes; er hat ein schwarzes Laptop mit Piratenmotiv und Internet-Stick unter dem Arm.
Noch geht's bei den Treffen etwas chaotisch zu, wie das bei Piraten so ist, und das Ganze, sagt Brand, die Direktkandidatin, sei „ein Abenteuer”. Rechts und links nicken sie. Bernd Schroeder pflichtet ihr bei, 43 Jahre alt und selbstständiger Bäcker. Er verspürt eine „Aufbruchstimmung”, die Spaß mache. Über ihr „Wiki”, der Internet-Plattform der Partei, könne man „schnell und großflächig kommunzieren”, erklärt Rouven Recksick, 27 und Geographie-Student, und bei den Treffen das Ganze dann vertiefen. „Man hat das Gefühl, dass man sich einbringen kann”, beschreibt Sebastian Fedrau das Wir-Gefühl der Piraten, „verkrustet” sei bei ihnen nichts – und soll es auch gar nicht erst werden.
Sie wollen Transparenz
Darauf legen sie an diesem Abend wert. Die großen Parteien, wirft Schroeder ein, „machen doch die gleiche Politik wie vor 30 Jahren”. Gemeint ist: Die da oben entscheiden, die da unten dürfen abnicken. Bei kreuzlangweiligen Ortsvereinssitzungen. „Wir enden nicht so wie die Grünen”, sagt Recksick, die er längst zum Establishment zählt. Und dass Themen übers Internet angestoßen werden, später darüber abgestimmt wird, „das möchte ich mal bei der SPD erleben”, fügt der Student an.
Was sie nun wollen, die Piraten? Transparenz, tönt es wie aus einem Munde. Transparenz, natürlich im Internet, aber auch in der Bildungslandschaft, erklärt die 42-jährige Brand, Transparenz beim Verbraucherschutz, Transparenz im Bankensektor, Transparenz in der Innenpolitik. Kurz: „Der Staat sollte für den Bürger da sein” – und nichts verschleiern. Die Piraten, verspricht sie und hört sich an wie ein Politprofi im Wahlkampf, „hat sich Basisdemokratie auf die Fahne geschrieben.”
Piratentum bedeute nicht, dass man klauen wolle
Gibt es Themen, die den Mitgliedern unter den Nägeln brennen, sei es lokal oder national, dann können sie eine „Crew” bilden, fünf bis neun Mitglieder stark, die sich des Themas annimmt. Die erste in Herne soll bald kommen. Dabei, sagt Bernd Schroeder, der selbstständige Bäcker, lasse man sich nicht in das übliche Parteienmuster pressen. Die Piraten seien nicht links, nicht rechts, sondern „vorn”. „Sachbezogen”, fügt Fedrau, 25 Jahre und Anwendungsentwickler, an, und: „ideologiefrei”.
Dass sie noch des Öfteren falsch verstanden werden, das wurmt die Runde. „Piraten” bedeute nicht, das man klaue, wirft jemand ein. Und dann das Klischee, dass sie im Internet alles freigeben wollten. Diplom-Psychologin Brand fasst zusammen: „Wir sind nicht für eine Sperrung von bestimmten Internet-Seiten, sondern für deren Löschung, nicht für die Aufhebung des Urheberschutzes, sondern für dessen Reformierung.”
Vielleicht täte er dann doch gut, der Jägermeister, am Ende eines langen Abends. Gern verbunden mit einem Prost auf die andere Seite der Straße.