Herne. . Norbert Czapiewski hat Krebs. Im Interview erzählt er über Menschen, die sich plötzlich abgewendet haben und warum er noch ein Jahr kämpfen will.

Norbert Czapiewski hat Lungenkrebs. Er lebt mit seiner Frau in Herne-Süd und wird seit März von Hans-Jürgen Klugstedt, Ehrenamtlicher des Ambulanten Hospizdienstes Herne, betreut. Jennifer Humpfle sprach mit ihm.

Wie geht es Ihnen?

Heute habe ich schlimmere Schmerzen. Wenn der Pfleger gleich kommt, bekomme ich eine Spritze. Dann wird es besser. Ich bekomme regelmäßig Morphium. Es geht mir in Zahlen bis zehn, würde ich sagen, sieben.

Wie haben Sie von Ihrer Krankheit erfahren?

Dass ich krank bin, wusste ich schon länger. Ich habe COPD. Aber das mit dem Karzinom habe ich voriges Jahr Ende Mai erfahren. Nach der vierten Chemo haben sie mir gesagt, dass sich alles gebessert hätte. Das Karzinom wäre um die Hälfte kleiner geworden und die Metastasen auf der Leber wären ganz weg. Ich war danach noch zwei Mal zur Chemo im Krankenhaus, und jedes Mal bin ich nach Hause entlassen worden mit den Worten, es habe sich gebessert.

Eine Medaille vom BV Herne-Süd steht auf seinem Tisch: Norbert Czapiewski hat sich lange für den Fußballverein engagiert.
Eine Medaille vom BV Herne-Süd steht auf seinem Tisch: Norbert Czapiewski hat sich lange für den Fußballverein engagiert. © Svenja Hanusch

Dann waren Sie mehr im Krankenhaus als Zuhause?

Ja, das letzte Jahr war eine harte Zeit. Ich schätze, ich bin mindestens acht bis zehn Mal mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gekommen. Ich hatte Schmerzen und Luftnot.

Was schränkt Sie am meisten ein?

Ich kann zwar aufstehen, aber ich kann nicht weit laufen. Da bleibt mir die Luft weg. Ich möchte gerne mal wieder zum Sportplatz gehen oder hier zum Bistro, wo wir uns immer alle getroffen haben. Ich war voriges Jahr nicht draußen, obwohl wir es uns alles so schön gemacht haben. Hier in unserem Königreich Herne-Süd.(lacht)

Königreich Herne-Süd?

Meine Frau und ich sitzen bei schönem Wetter immer mit unseren Nachbarn draußen. Nachmittags gibt es Waffeln, abends bestelle ich für jeden, was er möchte, zum Beispiel Currywurst und Pommes. Und so habe ich mit meinem Nachbarn das Königreich Herne-Süd gegründet – von 28 bis 42, das sind die Hausnummern, betreutes Wohnen. So ist das entstanden. (schmunzelt)

Was schränkt Sie außer der Luftnot ein?

Ich möchte meinen Geschmack wieder haben. Nach einem Krankenhausaufenthalt habe ich meinen Geschmack verloren. Ist egal, was ich esse, es schmeckt alles nur bitter. Das ist was Erbärmliches. Manchmal habe ich Glück, dann ist es nur stark herb. Ich habe mir vorgenommen, Magen und Darm in Betrieb zu halten. Sonst geht man ein.

Wie gehen Sie damit um?

Manchmal sage ich, das ist kein Leben mehr, eher ein Hinvegetieren. Ich liege hier rum, schlafe, esse. Das ist nicht mein Leben. Ich habe angefangen, Sprüche und Gedichte aufzuschreiben. Zum Beispiel: ,Der Rentnertraum: Wir fahren durch die Welt, verbrauchen unser Geld, wir wollen nicht ins Altenheim bei Magerquark und Haferschleim.‘

Wie haben Ihre Freunde und die Familie auf Ihre Krankheit reagiert?

Aus den Augen aus dem Sinn. Das habe ich jetzt wirklich erlebt. Vom Sportverein BV Herne Süd nix. Von den anderen Vereinen, wo ich immer die Benefizveranstaltungen mit Tombola organisiert habe – auch nichts. Das ist deprimierend. Ein paar Ausnahmen gibt es aber schon. Der Jugendbetreuer vom BV Herne Süd kommt regelmäßig vorbei.

Haben Sie Kinder?

Nein, dazu hatten wir gar keine Zeit, wir waren ja immer unterwegs. (Lacht)

Wie sind Sie zu Herrn Klugstedt gekommen?

Der Kontakt zum Ambulanten Hospizdienst ist über den Palliativarzt Dr. Münker zustande gekommen. Da wurde empfohlen, dass ich das mal versuchen sollte.

Was bedeutet das für Sie, das jemand regelmäßig kommt?

Das ist einfach eine Sache, die Gold wert ist – dass Leute sich ehrenamtlich krummlegen und ihre Zeit opfern.

Was machen Sie in der gemeinsamen Zeit?

Wir sehen uns zwei, drei Mal die Woche. Wir reden viel über alles Mögliche, Handwerken oder Urlaube und haben viele Gemeinsamkeiten. Ich habe zum Beispiel Antiquitäten restauriert und Uhren selber gebaut. Ich habe mich für alles interessiert, außer für Blech und Autos.

Bergmann auf der Zeche Leopold

Norbert Czapiewski ist am 2. Mai 79 Jahre alt geworden. Gebürtig kommt er aus Gelsenkirchen, im Krieg wurden er und seine Mutter nach Reken evakuiert.

Er hat unter anderem als Bergmann auf der Zeche Leopold in Dorsten und als Glasfachmann bei Ruhrglas gearbeitet. Ursprünglich sollte er Technischer Zeichner werden.

Seit 1968 lebt Norbert Czapiewski in Herne. Seit 49 Jahren ist er Mitglied im Ballverein Herne-Süd.

Fußball war bei Ihnen schon immer ein Thema?

Das liegt daran, dass es früher in Reken nur Reiten oder Fußball gab. Wir hatten kein Geld für Pferde, mir blieb ja gar nichts anderes übrig. Der Fußball hat im Prinzip mein ganzes Leben bestimmt. Als ich nach Herne kam, hat mein Schwager mich zum BV Herne Süd geholt, insgesamt habe ich 22 Jahre aktiv als Torwart gespielt. Danach habe ich mich um Sponsoren gekümmert und zum Schluss die Jugend betreut.

Welche Erinnerungen sind Ihnen die liebsten?

Ich denke an alles gerne. Mir hat alles Freude gemacht. Die Urlaube mit meiner Frau in Österreich, Fußball, mit meinen Nachbarn zusammensitzen oder im Bistro. Ich bin manchmal deprimiert über meine Krankheit und kann zum Glück aber auch noch lachen, weil mir mein Humor geblieben ist. Ich habe mit unserem Jugendvorstand ein neues Vereinsheim gebaut und das ist noch nicht ganz abbezahlt. Da hätte ich gerne noch weitergeholfen. Ich hatte immer mit Kindern und Jugendlichen zu tun. Die größte Freude ist für mich, wenn man Kinder lachen sieht und die Augen strahlen.

Was würden Sie gerne noch mal machen?

Das sind so viele Sachen. Ich fühl mich nicht krank. Das einzige ist, ich krieg keine Luft und nehme ab. Aber sonst hab ich doch nichts. Meine Blutwerte sind gut, was will ich noch mehr? Ich möchte meinen Geschmack wieder haben und dass ich wieder richtig laufen kann und zunehmen, damit ich noch einiges unternehmen kann.

Sie möchten Zuhause bleiben. Wovor haben Sie Angst?

Angst habe ich vor gar nichts. Doch, aber nicht vorm Sterben, sondern vorm Wie. Sonst habe ich keine Angst. Ich möchte noch ein Jahr kämpfen, dass ich das eine Jahr noch überlebe, damit ich unsere Goldene Hochzeit noch erlebe. Nicht für mich, sondern den Tag möchte ich meiner Frau schenken. Sie hat so viel mitgemacht mit mir letztes Jahr. Das war Wahnsinn.


>> WEITERE INFORMATIONEN: So unterstützt der AHPD Schwerkranke

Die Begleitung eines unheilbar kranken Menschen erfordert Fingerspitzengefühl. Was ist dem Menschen wichtig? Möchte er reden, etwas machen oder einfach nur jemanden, der ihm etwas vorliest? All dies macht der Ambulante Hospizdienst Herne (AHPD) mit Unterstützung seiner Ehrenamtlichen möglich.

„Meist werden wir über den Palliativarzt empfohlen“, erklärt Karin Leutbecher, Koordinatorin beim AHPD. „Das Erstgespräch mit dem Patienten führt ein hauptamtlicher Mitarbeiter.“ Norbert Czapiewski habe sich beispielsweise jemanden zum Reden gewünscht, der mal einen Scherz verträgt, aber auch merkt, wenn es ihm nicht gut geht.

Karin Leutbecher (AHPD).
Karin Leutbecher (AHPD).

Der Ambulante Hospizdienst ist Mitglied des Palliativ-Netzwerkes Herne, Wanne-Eickel und Castrop-Rauxel und hat einen engen Draht zu Pflegediensten und dem Palliativärztlichen Konsilliardienst (PKD). „Wir decken die psycho-soziale Begleitung ab, können aber über das Netzwerk weitere Hilfen vermitteln.“ So beispielsweise etwa auch speziell geschulte Physiotherapeuten.

Hans-Jürgen Klugstedt hat wie alle Ehrenamtlichen beim AHPD eine Erstausbildung mit 100 Stunden beim Hospizdienst absolviert, um auf seine Aufgabe vorbereitet zu werden. Außerdem gibt es regelmäßige Gespräche. Seit März besucht er Norbert Czapiewski regelmäßig. Die beiden verstehen sich bestens, sind schnell beim „Du“ angekommen.

Anrecht auf würdevolles Sterben

„Ich freue mich, dass ich etwas Sinnvolles mache und andere Menschen erfreue, wenn ich ihnen etwas von meiner vielen freien Zeit schenken kann“, sagt Klugstedt. Er denke häufig an die vielen Menschen, die oft in Einsamkeit die letzte Zeit ihres Lebens verbringen: „Jeder hat ein Anrecht auf ein würdevolles Sterben, und es muss alles getan werden, dass dieses Thema mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und in jeder Familie erfährt.“