Herne. . Armut wirkt sich weiterhin auf den Bildungsverlauf von Kindern aus. Warum der Kinderschutzbund eine Gesetzesänderung verlangt.
In Deutschland ist es nach wie vor so, dass die Herkunft eines Kindes über seine späteren Erfolgschancen entscheidet. Alarmierend: Die Zahl der betroffenen Kinder steigt. Bei der 4. Herner Sozialkonferenz im Bürgersaal der Akademie Mont-Cenis versuchten die Veranstalter jetzt vor rund 90 Besuchern mit Hilfe renommierter Referenten deutlich zu machen, warum die bisherigen Gesetze nicht hilfreich sind und warum eine existenzsichernde Kindergrundsicherung notwendig ist.
Von der Schule direkt in die Sozialhilfe
Seine zentrale These lautet: Kinderarmut ist mehr als zu wenig Geld. Anhand zahlreicher Beispiele verdeutlicht Peter Strohmeier, dass viele weitere Faktoren Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben. „Armut ist Mangel an materiellen, kulturellen, sozialen und ökologischen Ressourcen.“ Die informellen Lernumgebungen wie Sportvereine, Familie, Nachbarschaft würden komplett unterschätzt.
Mehrheit hat bei der Einschulung Sprachprobleme
Arme Familien seien festgefahren. Sie leben in sozial schwächeren Stadtteilen, die dortigen Bildungseinrichtungen seien schlechter ausgestattet, häufig komme soziale Isolierung hinzu. Demnach sei Armut auch räumlich. Darüber setze sich die Diskriminierung fort. „Die Mehrheit der Kinder in Hartz IV-Bezug hat bei der Einschulung starke Sprachkompetenzdefizite.“
Um diesen Entwicklungen entgegen zu wirken, müsse man wissen, was Kinder brauchen, um sich wohl zu fühlen. Lobend hebt er die Stadt Herne hervor, die schon im Bereich intelligente Monitoringsysteme eine Menge richtig mache. Die Studie „UWE – Umwelt Wohlbefinden und Entwicklung“ sei hier als positives Beispiel zu nennen. Erstmals wurden Kinder befragt, wie gut es ihnen geht. „Daraus lassen sich Ressourcen ableiten, die Kinder für ihr Wohlbefinden brauchen.“
Kinderarmut als Frage der Haltung einer Gesellschaft
Aber nicht nur Peter Strohmeier fühlt sich streckenweise wie ein Wanderprediger in Sachen Kinderarmut. Heinz Hilgers, Präsident Deutscher Kinderschutzbund, betont, dass das Problem Kinderarmut nicht alleine durch mehr Geld oder mehr Personal gelöst werden kann. „Es ist eine Frage des Menschenbildes und der Haltung in der Gesellschaft“, betont er. Es sei Mainstream in Politik und Gesellschaft, dass man Menschen in Not nur über Sanktionen steuern kann. Der richtige Weg erfolgreich zu arbeiten, sei mit Wertschätzung und Hilfsbereitschaft.
Aktuell könne weder die Kommune noch das Land die Kinderarmut bekämpfen. „Nur der Bund kann sie verringern.“ Seit den Hartz IV-Gesetzen seien Menschen gezwungen, jede Arbeit anzunehmen. Es gebe zwar die Möglichkeit zur Aufstockung, die würden aber die Hälfte der Berechtigten nicht nutzen: „Es ist ein riesiger bürokratischer Aufwand, alle 14 Tage muss man zum Jobcenter. Und wenn das Kind mal etwas von Oma oder Opa bekommt und die Mutter vergisst es anzugeben, ist sie eine Sozialbetrügerin. Das kann es doch nicht sein.“ Ebenso skandalös findet er, dass Gelder, die Kinder sich in einem Ferienjob dazuverdienen, zur Bedarfsgemeinschaft der Familie gerechnet werden. „Wir brauchen ein völlig neues System!“
Existenzminimum zu niedrig angesetzt
Seit Jahrzehnten sei das Existenzminimum für Kinder zu niedrig bemessen worden. Der Bedarf sei kleingerechnet worden. Für die Gesundheitspflege eines Säuglings erhalten Eltern pro Monat 7,61 Euro. „Da reichen die Windeln nur bis zum 5. Des Monats“, sagt Hilgers. Ebenso mache der Ernährungssatz für 13-Jährige deutlich, wie schlecht der Staat kalkuliere. „93 Euro im Monat für die Ernährung. Wenn ich daran denke, was meine Kinder in dem Alter verdrückt haben. Da wären wir nicht weit gekommen.“
Heinz Hilgers wirft dem Staat vor, dass er bei dem Versuch Gesetze zu erlassen, bei denen die Gelder auch bei den Kindern ankommen, versage. „Das Teilhabegesetz ist das beste Beispiel dafür“, sagt er. Es werde mehr für die Bürokratie ausgegeben als für die Kinder. „Man erreicht fünf bis sieben Prozent der Berechtigten. Das ist doch Realsatire.“ Der einzige Weg, der Kindern und Familien nachhaltig helfen würde, sei eine Reform des Familienleistungsausgleichs sowie die Verankerung einer Kindergrundsicherung im Grundgesetz.
>> INFO: Veranstalter haben zwei Ziele
Mit dieser Veranstaltung wollten die Organisatoren - DGB, Awo, Herner Sozialforum, Progressiver Eltern- und Erzieherverband - Werbung für eine existenzsichernden Kindergrundsicherung machen. Dazu stellte Alexander Nöhring vom Zukunftsforum Familie in der Akademie Mont-Cenis ein entsprechendes Modell vor.
Das zweite Ziel war nach Angaben von Mitveranstalter Norbert Kozicki (Herner Sozialforum) die Anregung zur (Wieder-)Einrichtung eines „Runden Tisches zur Bekämpfung der Armut von Kindern und Jugendlichen in Herne“.