Herne. . In der Realschule Crange waren Senioren zu Gast, die den Krieg und das NS-Regime miterlebt haben. Sie berichteten auch von Gräueltaten.

Hans-Georg Kramm (82) hat Bilder und Dokumente auf dem Tisch in der Aula der Cranger Realschule ausgebreitet. Zehntklässler sitzen um ihn herum, sehen ein Schriftstück, auf dem sie das Wort Urteil lesen. „Ich war damals sieben Jahre alt“, beginnt der Zeitzeuge zu erklären. „Meinen Vater haben die Nazis hinrichten lassen. Er hat den Wehrdienst verweigert. Wir gehören zu den Zeugen Jehovas“. Die Jugendlichen hören gebannt zu, als er von dem Leiden des Vaters erzählt, den das NS-Regime mehrfach inhaftiert hatte. Die Tatsache, dass er seine religiöse Überzeugung mit dem Leben bezahlen musste, hat den Dorstener bis heute nicht losgelassen.

Zeugnisse von damals mitgebracht

© Rainer Raffalski

Kramm gehörte am Mittwoch zu den rund 20 Frauen und Männern, die sich Zeit nahmen, um mit der jungen Generation über die Jahre zu sprechen, in denen sie selbst jung waren. Ullrich Ferdinand (93) hat sogar seine Zeugnisse von damals mitgebracht.

Er stammt aus dem Sudetenland, erzählt vom Einmarsch der Deutschen 1938. Später war er bei Kriegsmarine. Ein Foto von einem Gefecht auf der Ostsee lässt erahnen, welchen Todesgefahren Ferdinand ausgesetzt war. Seine Familie habe zu den Ärmsten der Armen gehört, erinnert sich der Gast. „Wir gingen barfuß zur Schule, das war aber nicht ungewöhnlich“.

Treffen seit elf Jahren

Der Hobby-Historiker Horst Spieckermann organisiert seit elf Jahren Zeitzeugengespräche in Schulen.

Zur Gruppe gehören über 20 Frauen und Männer aus Herne und Umgebung, die die Nazi-Diktatur und den 2. Weltkrieg miterlebt haben. Das nächste Treffen mit Schülern: 29. Mai im Haranni-Gymnasium.

Gerhard Riedl hat als Kind auch einige Jahre im Sudetenland verbracht und noch die Reichspogromnacht vor Augen. Eine ältere Frau habe sich schützend vor ein jüdisches Geschäft gestellt, „die Schlägertrupps der Nazis haben sie genommen und auf sie eingeprügelt“. Als Fünfjähriger habe er zusehen müssen, wie eine Frau, die am Fenster stand und der Aufforderung wegzugehen, nicht folgte, erschossen worden sei, berichtet Riedl.

Geschichte hat immer mit Menschen zu tun

In einzelnen Gesprächsrunden diskutierten die Zeitzeugen mit den Jugendlichen.
In einzelnen Gesprächsrunden diskutierten die Zeitzeugen mit den Jugendlichen. © Rainer Raffalski

Zeitzeugin Anne Sturm, Jahrgang 1937, hatte zu Anfang der Gesprächsrunden daran erinnert, dass Geschichte nichts Abstraktes ist, sondern immer mit Menschen zu tun habe. In ihrer Generation gebe es viele Opfer, aber die Täter gehören auch dazu, hob die Seniorin hervor.

Wie sich das Leben für Kinder und Jugendliche mit der Machtergreifung der Nazis 1933 sehr schnell änderte, verdeutlichte Ernst Köpke (85). Freie Jugendgruppen oder auch die Pfadfinder habe es nicht mehr gegeben, „die Jungen mussten in die Hitler-Jugend, die Mädchen sich dem Bund Deutscher Mädel (BDM) anschließen“.

Köpke und seine Familie stammen aus Niederschlesien, die Mutter starb auf der Flucht 1945. „Vater nahm Hilfsjobs an, um uns alle durchzubringen“. Die Wohnung musste man sich mit sich anderen Familien teilen. Als Köpke beginnt, alle aufzuzählen, nennt er gut ein Dutzend Leute. Sie lebten alle auf 67 Quadratmetern.