Herne. . In seinem Buch spannt der Herner Franz Müntefering einen ganz weiten Bogen: vom Älterwerden über die Agenda 2010 und Albert Camus bis zur AfD.

Der Wahl-Herner Franz Müntefering hat ein Buch geschrieben. Der Titel „Unterwegs – Älterwerden in dieser Zeit“ führt jedoch in die Irre – geht es in dem 222-Seiten-Werk des 79-Jährigen doch auch um Zeitgeschichte, die SPD, Müntes Biografie, die Agenda 2010, Populismus, Medien, Literatur, persönliche Bekenntnisse . . . . Einige Schlaglichter.

Altenhilfe

Helmut Schmidt sagte einst: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Franz Müntefering ist nicht zum Arzt gegangen, sondern hat seine Vision aufgeschrieben: Altenhilfe sollte für jede Kommune verbindlich und zur Pflichtaufgabe werden - wie die Kinder- und Jugendhilfe, so seine Forderung. Bedingung: Bund und Länder müssten die Finanzierung sichern.

Der Führerschein

Wenn er Anfang nächsten Jahres 80 Jahre alt werde, kündigt Franz Müntefering an, werde er in einer Fahrschule testen lassen, ob er noch sicher fahre. Sollte dies nicht der Fall sein, werde er seinen 1968 gemachten Führerschein abgeben. Das ist nur konsequent, denn: 1998 machte Müntefering als Verkehrsminister Schlagzeilen, als er für ältere Autofahrer einen Nachweis auf geistige und körperliche Fitness vorschlug. Nach heftigen Protesten zog er diesen Vorstoß damals zurück. Weiter im (Buch-)Text: Nur einen Unfall habe er am Steuer verursacht, schreibt Müntefering. Einen Auffahrunfall in Münster, direkt vor dem Hauptgebäude seiner Autoversicherung. Münster möge er aber trotzdem.

Kursbuch und Camus

Als leidenschaftlichter Medienkonsument outet sich Müntefering und führt an: die Zeitschriften Pardon, Kursbuch, Spiegel, Konkret und Zeit, Tageszeitungen, den Radiosender WDR 3 und das Fernsehen. Im Kapitel „Bücherfreund ab 16“ setzt er dem französischen Schriftsteller und Existenzialisten Albert Camus ein Denkmal: „Seine Texte sind für mich nie zu Ende, sind Steinbrüche für Zuversicht und Mut, Skepsis und Zweifel, Leben und Aufklärung, Humanität.“

Die Regierungsbeteiligung

In der rot-grünen Bundesregierung war Franz Müntefering von 1998 bis 2005 der engste Weggefährte von Kanzler  Gerhard Schröder. Im Bild: das Duo im Bundestagswahlkampf 2005 bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen.
In der rot-grünen Bundesregierung war Franz Müntefering von 1998 bis 2005 der engste Weggefährte von Kanzler Gerhard Schröder. Im Bild: das Duo im Bundestagswahlkampf 2005 bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. © Stefan Huxel

Franz Münteferings Bericht über die rot-grüne Regierung (1998 bis 2005) sowie Ausführungen über die Agenda 2010 und seine persönliche Rolle lesen sich bisweilen wie eine Rechtfertigungsschrift. Ohne die Regierungsbeteiligung der SPD von 1998 bis 2005 wäre es mit den Wahlergebnissen der Partei noch schneller bergab gegangen so seine Prognose unter Verweis auf Sozialdemokraten in anderen europäischen Ländern. Und: Ohne die „hellsichtig-destruktiv eingefädelte“ Grätsche von Oskar Lafontaine hätte die SPD unter Gerhard Schröder noch zehn Jahre sozialdemokratische Politik machen können. Und die aktuelle GroKo? „Es gab bittere Fehler, aber es gibt keine inhaltlichen Gründe, die Bundesregierung zu verlassen oder mutwillig zu riskieren.“ Angesichts des Wahlergebnisses von 2017 habe sich die SPD klug und wirksam positioniert.

Tüfteleien

Mehr als 30 Jahre SPD-Abgeordneter im Bundestag

Franz Müntefering wurde 1940 in Neheim (Sauerland) geboren.

Der gelernte Industriekaufmann gehörte mehr als 30 Jahre für die SPD dem Bundestag an. Er war Chef der Partei und Fraktion sowie Minister in Bund und Land.

Zurzeit ist er u.a. Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes und Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen.

Auch als Dichter versucht sich Franz Müntefering in „Unterwegs“, ohne das allerdings so zu benennen. Er tüftele gerne mit Buchstaben und Worten, um herauszufinden, was er denke, schreibt er. Die präsentierten Gedichte und Aphorismen („Wer solche Spielereien nicht mag, kann die Seiten gerne überblättern“) sind mal philosophisch-tiefsinnig, mal heiter-übermütig - so wie ein „Lobgesang der Brille“ („Es war mal eine Brille, ne klasse, keine schrille. ...“)

Der Herne-Faktor

Münteferings Wahlheimat Herne spielt in „Unterwegs“ nicht mal eine Nebenrolle und kommt genau zweimal vor: in den biografischen Angaben zum Autor. Privates lässt er ebenfalls außen vor. Auch Michelle Müntefering findet in dem Buch keine Erwähnung, weder als Gattin noch als Politikerin.

Und sonst?

Dieses „Sich-jünger-fühlen-wollen“ möge er nicht, bekennt Franz Müntefering. Und: Er tritt für einen freiwilligen Dienst aller Menschen ein, findet das Wahlrecht mit 16 gut und warnt: „Wer eine rechtsextreme Partei wie die AfD an seiner rechten Seite dadurch verhindern will, dass er verspricht, die Politik dieser Partei zu kopieren, ist demokratiehygienisch im Minus angekommen. Ja, er riecht schlecht.“

>>> Was Müntefering Senioren und der SPD rät

„Und mindestens einmal im Quartal sollte man auch Rollatoren-Rennen veranstalten.“
Franz Münteferings Vorschlag zur Förderung der Fitness von Senioren

„Gut, der Teppich soll bleiben, wenn er unentbehrlich ist. Aber nagelt ihn bitte an die Wand. Das ist für alle gut, und dem Teppich ist es recht.“
Franz Müntefering warnt Senioren vor Stolperfallen in der Wohnung


„Mir hat es Spaß gemacht mit diesen Grünen. Sie waren von der Sache und sich selbst begeistert und echte Pfadfindertypen.“
Franz Müntefering über das 1998 geschmiedete rot-grüne Regierungsbündnis

„Macht also bitte mit Facebook, Twitter, Instagram & Co., was ihr wollt: Ich bin verhindert, keine Zeit.“
Franz Münteferings Absage an die sozialen Medien