Herne. . Der neue Herner ADFC-Vorsitzende Michael Thomasen traf sich mit der WAZ zum Samstagsinterview. Seine ideale Radfahrerstadt ist Kopenhagen.
Der ADFC Herne hat einen neuen Vorstand. Personell gut aufgestellt, möchte der neue Vorsitzende Michael Thomasen jetzt durchstarten. Mit WAZ-Mitarbeiterin Jennifer Humpfle sprach der 64-Jährige über die Voraussetzungen für die Verkehrswende.
Wie sind Sie zu unserem Termin gekommen?
Mit dem ÖPNV. Aber im Kurzstreckenbereich nehme ich auf jeden Fall das Fahrrad. Das bietet sich an und ist Überzeugungssache.
Welchen Teil ihrer Wege legen Sie mit dem Fahrrad zurück?
Ich würde noch mehr mit dem Fahrrad zurücklegen, wenn ich nicht zufällig die Haltestelle des 311er vor der Tür hätte. Ich habe ein VRR-Bärenticket und das nutze ich natürlich. Einkäufe, Behördengänge und alles, was sich in der Innenstadt abspielt, sind mit dem Bus bestens zu erledigen. Ansonsten nehme ich für einen Umkreis von fünf bis zehn Kilometern sehr gerne das Fahrrad - außer ich habe etwas ganz Schweres zu tragen oder ich bin im Ausgeh-Outfit. Wenn ich mit dem Rad fahre, fahre ich grundsätzlich mit Helm.
Der Helm ist also Pflicht für Sie?
Unter Sicherheitsaspekten ist es wünschenswert, einen Helm zu tragen. Aber wenn es zu einer allgemeinen Helmpflicht kommt, muss man schon befürchten, dass der eine oder andere dann nicht mehr mit dem Rad fährt. Ich halte von diesen Zwängen momentan nichts. Wichtiger als ein solcher Helmzwang sind gezielte Investitionen in die Radinfrastruktur, um da die Sicherheit zu erhöhen. Welche Auswirkungen das hat, zeigt das Beispiel Kopenhagen. Dort liegt der Radfahranteil bei 40 Prozent. Da sehen Sie nicht viele Helme, dafür haben die eine tolle Infrastruktur.
Haben Sie denn ein Auto?
Ja, jetzt schon seit zehn Jahren das gleiche Modell. Hier und da wird das Auto von mir benutzt. Wir wollen als ADFC das Auto nicht verdammen. Davon sind wir weit entfernt.
Die Stadt hat eine Gesamtstrategie für klimafreundliche Mobilität beschlossen. Ist Herne damit auf einem guten Weg oder zu spät dran?
Es ist zu begrüßen, dass es so etwas gibt. Der Meinungsbildungsprozess in der Stadt war nicht ganz einfach. Es ist der Schritt in die richtige Richtung. Im Bereich Fahrrad könnte es sicherlich noch mehr sein. Es ist immer noch Luft nach oben.
Sie haben sich als ADFC die Verkehrswende auf die Fahnen geschrieben.
Genau. Jahrzehntelang wurde in den Automobilverkehr, den ruhenden und fahrenden, investiert. Der Verkehr hat massiv zugenommen, mit allen damit verbundenen Problemen. Es ist ökologisch und ökonomisch sehr sinnvoll, mehr fürs Rad zu tun. Das Problem ist, den Radfahrer auf das Rad zu bewegen. Er hat ein höchst subjektives Sicherheitsgefühl, das ist ein ganz wesentlicher Aspekt. Je besser die Fahrradinfrastruktur ist, desto sicherer fühlt er sich. Umso eher ist er geneigt, auf das Rad umzusteigen.
Also ist die Politik gefragt?
Radverkehrspolitik ist Angebotspolitik. Das heißt, die politisch Verantwortlichen müssen Mut haben, in Radverkehrsinfrastruktur investieren. Das sind Radwege in ihren unterschiedlichen Ausprägungen aber auch Radabstellanlagen. Es ist nicht so, dass in Herne nichts geschieht. Als positives Beispiel ist hier das „Radhaus“ am Technischen Rathaus zu nennen. Wir verfolgen eine Politik, der konstruktiven, kritischen Zusammenarbeit und begrüßen deshalb die Arbeit der Projektgruppe Radverkehr. Künftig wollen wir als ADFC mehr in die Bezirke gehen, dort kritikwürdiges zur Sprache bringen und Verbesserungsvorschläge machen.
Wie steht Herne im Vergleich zu den Nachbarstädten da?
Ich würde uns im guten Mittelfeld ansiedeln, mit Luft nach oben, aber auch dem Willen besser zu werden.
Was müsste Ihrer Meinung nach schnell angegangen werden?
Ein Schwerpunkt für mich persönlich ist die Radinfrastruktur an unseren Hauptverkehrsstraßen, da denke ich an den Westring in Herne, die Dorstener Straße in Wanne. Was mir auch unter den Nägeln brennt, ist das Baustellenmanagement. Da wird der Radverkehr häufig stiefmütterlich behandelt.
Herner nutzen für Kurzstrecken besonders gern das Auto. Wie kann man sie davon abbringen?
Das ist in Herne und den Nachbarstädten tief verwurzelt, weil eben jahrelang das Auto so eine Art Fetisch war. Ich denke mal, hier muss mehr Bewusstsein geschaffen werden. Es ist eine Frage der Verkehrs-, der Radinfrastruktur. Wir werden so etwas wie in Münster lange nicht erreichen, weil dort bezüglich des Radverkehrs eine ganz andere Mentalität herrscht. Wir machen hier Graswurzelarbeit.
Wie viel kann man dem Bürger denn zumuten?
Kurzstrecken bis fünf Kilometer sind schon voraussetzbar. Fünf bis zehn Kilometer setzen schon ein bisschen mehr Kondition und natürlich die entsprechende Infrastruktur voraus. Das Sicherheitsempfinden steigt und fällt mit der Qualität der Infrastruktur. Wir werden sicherlich nicht überall eine Fahrradstraße einrichten können. Aber was in Herne überlegenswert wäre, sind die sog. geschützten Radstreifen. Ausgehend vom bisherigen Radstreifen, der durch eine durchgezogene Linie markiert ist, haben wir hier zwischen dem Radstreifen und der Fahrbahn einen geschützten, abgetrennten Bereich. Diese Idee kommt erstaunlicherweise aus dem Autofahrerland USA. Solche Strecken werden jetzt in Berlin erprobt. Wir verfolgen das mit größter Aufmerksamkeit. Es wäre für mich durchaus eine Herzensangelegenheit das in Herne auszuprobieren.
Mit dem Rad zur Arbeit?
Man könnte viele Autofahrer zum Umstieg aufs Rad bewegen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind: Dusche, Radabstellanlage – witterungsgeschützt, einbruchsicher. Gerade in der jüngeren Generation wird das dankbar angenommen. Es gibt einen gewissen Trend, dass das Auto nicht mehr so das Statussymbol ist. Da sehe ich ein großes Potenzial.
Welche Straßen meiden Sie auf dem Stadtgebiet?
Die Herner Straße ist für mich ein kritischer Bereich, wenn es Richtung Wanner Bahnhof geht. Mir ist an manchen Stellen auch der Westring suspekt, die Dorstener Straße auch.
>>> BITTE ERGÄNZEN SIE
Meine ideale Radlerstadt...
...ist Kopenhagen. Perfekte Infrastruktur, die Politik hat den Mut gehabt über Jahre fahrradfreundliche Entscheidungen zu treffen, den Autoverkehr einzudämmen, trotz erheblicher Widerstände in der Anfangsphase. Das ist ein Mekka für Radfahrer.
Wenn ich in den Urlaub fahre, ist mein Rad...
... nicht immer dabei. Wir machen eher Wanderurlaube in den Bergen oder am Wasser. Hauptsache an der frischen Luft, teils mit dem Rad, vor Ort geliehen, aber überwiegend per pedes.
Radfahren habe ich gelernt...
... von der Pike auf. Sobald ich stehen konnte, hatte ich ein Rad. Anfangs natürlich mit Dreiradunterstützung. Also fast mit dem Rad auf die Welt gekommen.
>>> ZUR PERSON
Michael Thomasen ist in Herne geboren und aufgewachsen. Zwischenzeitlich lebte er in Essen und Bochum, aber seit 20 Jahren wieder in Herne.
Er war jahrzehntelang bei der Bahn im Immobilienmanagement beschäftigt und ist nun in der Passivphase der Altersteilzeit.
Thomasen ist verheiratet, seit 2014 im ADFC, aber schon immer leidenschaftlicher Radfahrer.