Herne. . Von der heftigen Kritik an Takis Würgers Roman „Stella“ war in Herne nichts zu spüren. Was der Autor zum Buch und den Vorwürfen zu sagen hatte.
Ein scharfer Wind weht Takis Würger seit knapp zwei Wochen aus den Feuilletons entgegen. Sein Roman „Stella“ erzählt von einer Jüdin, die Juden verraten hat. Kritiker werfen ihm vor, die historische Wahrheit über Stella Goldschlag zu verzerren und zu banalisieren. Im Literaturhaus war am Mittwochabend von derlei Attacken nichts zu spüren. Würger las und erklärte, getragen von der Sympathie der Gastgeberin und des Publikums in der erstaunlicherweise nicht mal ausverkauften Alten Druckerei.
Von der historische Person zum Roman inspiriert
Nach einem Besuch des Musicals „Cabaret“ in Berlin vor zwei Jahren habe ein Freund im Gespräch Parallelen zur Geschichte der ihm bis dahin unbekannten Stella Goldschlag gezogen, sagte der Journalist und Autor zur Entstehung seines zweiten Romans. Nachdem er sie selbst gegoogelt hatte, „wusste ich, dass ich eine fiktive Geschichte schreiben wollte, inspiriert von der historischen Stella Goldschlag“. Und so begann er zu recherchieren. „Das Berlin der 40er-Jahre ist in Zeitzeugenberichten gut dokumentiert“, stellte Würger fest.
In dieses Berlin setzte er seinen Erzähler Friedrich, einen jungen Schweizer. Der Vater ist Samthändler, die Mutter antisemitisch, gewalttätig und beseelt vom Ehrgeiz, den Sohn zum Maler ausbilden zu lassen. Von Friedrich erfahren die Zuhörer im Literaturhaus zunächst mehr als von seiner späteren Geliebten Stella, die er als Aktmodell Kristin kennenlernt. Da ist er schon in Berlin, um zu überprüfen, ob es wahr ist, dass dort im Scheunenviertel Menschen in Möbelwagen abtransportiert werden. Irgendwann ist Kristin für ein paar Tage verschwunden, sie kehrt mit abrasierten Haaren und Foltermalen zurück. Um ihre Eltern zu retten, verrät Stella später mehrere hundert Juden an die Gestapo. „Wie entsteht individuelle Schuld? Diese Frage hat mich inspiriert, den Roman zu schreiben“, sagt Takis Würger.
Nicht unberührt von einigen Kritikpunkten
Wie er mit dem „Shitstorm“ umgehe, wollte nach der Lesung ein Besucher wissen. „Ein Kritikpunkt berührt mich sehr“, sagt der Autor, der zur Debatte um sein Buch bereitwillig Stellung bezog. „Das ist der Vorwurf, die Shoa zu instrumentalisieren.“ Die Heftigkeit der Angriffe habe ihn überrascht. Im Gegensatz zu 1942 dürfe aber heute jeder seine Meinung sagen, dafür sei er dankbar. Auch der Schriftsteller Bernhard Schlink habe sich mit dem Roman „Der Vorleser“ der Kritik stellen müssen.
Intensive Gespräche mit dem kürzlich verstorbenen Holocaust-Überlebenden Noah Klieger (92) in Tel Aviv hätten ihn darin bestätigt, dass er als 33-jähriger nichtjüdischer Deutscher dieses Buch schreiben dürfe. Seine Kritiker seien ohnehin in der Minderheit. „Ich hatte Angst, ich werde überrollt von Hass. Tatsächlich wurde ich in hunderten von E-Mails überrollt von Zuneigung.“
>>> AM RANDE
Wie schon bei der Lesung aus „Der Club“ 2017 im Herner Literaturhaus, war auch am Mittwoch wieder ein Leistungskurs Deutsch des Haranni-Gymnasiums unter den Zuhörern.
Zum historischen Kenntnisstand junger Menschen allgemein sagte Würger: „Vier von zehn deutschen Schülern wissen nicht, was Auschwitz ist. Vielleicht lesen sie ,Stella’, und vielleicht bewirkt das was. Ich hoffe es.“