Herne. . Herner Ärzte sehen die Telemedizin als Unterstützung zum Berufsalltag. Ersetzen könne sie den persönlichen Kontakt zum Patienten aber nicht.

Stellen Sie sich vor, Sie sind krank und möchten mit Ihrem Arzt sprechen. Anstatt aber zur Sprechstunde zu gehen, nehmen Sie ihren Laptop und lassen sich per Videoschalte mit Ihrem Arzt verbinden. Was recht futuristisch anmutet, wird in Modellprojekten bereits erprobt. Die Telemedizin soll ermöglichen, Patienten über räumliche Entfernungen hin zu behandeln. Doch kommt dieses Verfahren auch in Herne und Wanne-Eickel zur Anwendung und welche Vor- und Nachteile bringt es mit sich?

„In Australien, Schweden oder Dänemark ist Telemedizin üblich. Hier läuft sie schleppend an“, erklärt Prosper Rodewyk, Bezirksstellenleiter der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. „Aber da herrschen ganz andere Strukturen und die Wege zum Arzt sind weit.“ Im Ruhrgebiet seien solche Strukturen nur bedingt erforderlich. Das sieht auch Roman Voß, Internist aus Wanne-Eickel, so: „In Ballungsgebieten wie unseren, ist das nicht so ein Thema, da unsere Patienten im Umkreis von einem Kilometer leben.“ Der technische Aufwand sei nicht zu rechtfertigen.

Kranke Stellen müssen betastet werden

„Was Skype-Sprechstunden angeht, bin ich skeptisch“, sagt Prosper Rodewyk von Kassenärztlichen Vereinigung weiter. Das Wort behandeln enthalte das „Hand anlegen.“ „Ich muss die kranke Stelle betasten, Bewegungstests machen und ich muss riechen können – das geht alles nicht über digitale Kanäle. Deshalb sollte die Behandlung in erster Linie im direkten Kontakt erfolgen.“ Darüber hinaus seien die Aufnahmen von Laptopkameras in der Regel zu schlecht, um Wunden oder ähnliches zu beurteilen.

Die Telemedizin kann das Ertasten nicht ersetzen, wie hier bei Dr. Heinz-Johann Struckhoff.
Die Telemedizin kann das Ertasten nicht ersetzen, wie hier bei Dr. Heinz-Johann Struckhoff. © Ute Gabriel

Und selbst wenn die Übertragungsqualität gut sei, blieben Probleme, ergänzt Roman Voß: „Wie soll ich beispielsweise älteren Menschen, die sich nicht so gut mit der Technik auskennen, erklären, wie sie die Kamera halten müssen? In der Zeit bin ich schon dahingefahren.“ Die Telemedizin befinde sich im Aufbau und es gelte, viele Fragen zu klären und Voraussetzungen zu schaffen. „Eine Akutversorgung ist so nicht möglich.“

Bedienung der Kamera schwierig

Gehe es allerdings darum, Verläufe zu beurteilen, ein Aufklärungsgespräch zu führen oder Befunde zu besprechen, sei der persönliche Kontakt nicht zwingend erforderlich, da sind sich Prosper Rodewyk und Roman Voß einig. Wenn zum Beispiel eine Versorgungsassistentin zum Verbandswechsel beim Patienten sei, könne sie den Arzt informieren, wenn die Wunde neu beurteilt werden muss. „Sie schickt mir übers Handy ein Foto und ich kann Anweisungen geben“, sagt Rodewyk. Datenschutzrechtlich sei dies unbedenklich, da das bloße Bild ohne jegliche persönliche Informationen zum Patienten verschickt würde.

Modellprojekt zur Telemedizin

In Baden-Württemberg führt die Kassenärztliche Vereinigung mit „docdirekt“ ein telemedizinisches Modellprojekt durch. Per Telefon, Videotelefonie oder Chat bekommen Patienten eine medizinische Fernberatung von niedergelassenen Ärzten.

Die Ärzte entscheiden im Gespräch, ob ein Arztbesuch notwendig ist, und überweisen taggleich mit einem Identifizierungscode an eine sogenannte PEP-Praxis (patientennah erreichbare Portalpraxis).

Trotzdem müssten sichere Strukturen geschaffen werden, findet Gerhard Blum, Sprecher der Wanner Ärzte. „Die Telematik-Infrastruktur soll kommen. So kann man über gesicherte Leitungen Daten einlesen.“ Dies mache für ihn durchaus Sinn. „So viele Hausbesuche kann man ja gar nicht machen.“ Als Unterstützung könne die Technik Vorteile bringen: „Wenn man vernünftig damit umgeht, lassen sich Patienten engmaschiger betreuen.“ Die qualitative Versorgung des Patienten stehe im Mittelpunkt. Über ein Gespräch ließe sich Sicherheit schaffen, hat die Untersuchung bis zum nächsten Tag Zeit oder ist Gefahr im Verzug?

Ärzte tauschen sich per Internet aus

Verschiedene Strukturen über die sich Ärzte austauschen können, gebe es bereits. Das zähle ebenfalls zur Telemedizin. „Es gibt das KV-SafeNet“, erklärt Prosper Rodewyk. Hier können KV-Ärzte über sichere Leitungen Befunde oder Untersuchungsvideos hochladen und anschauen. So könne auf kurzem Wege eine zweite Meinung eingeholt werden. Auch für Radiologen gebe es bereits ein Intranet, das den Austausch von Befunden erleichtert.

Einig sind sich die Ärzte darin, dass die Telemedizin vor allem in ländlichen Gebieten Sinn macht. „Es ist ein Vorteil, wenn in arztfreien Gebieten Patienten auf ein solches Angebot zurückgreifen können“, findet Dr. Heinz Johann Struckhoff, Sprecher der Herner Ärzte. Allerdings fehle gerade in diesen Regionen häufig das schnelle Internet zur guten Bildübertragung. „Aber eine Hallig mit Telemedizin macht schon Sinn.“ Geprüft werde auch der Einsatz von Telemedizin für die JVA.