Herne. . Seit Jahren ist die Villa an der Vinckestraße als Haus der Natur bekannt, weitgehend unbekannt ist die bewegte Historie der Villa Dickhoff.
Es ist wohl einer der schönsten Arbeitsplätze in Herne: die Biologische Station östliches Ruhrgebiet. Die Mitarbeiter sitzen in den Räumen einer denkmalgeschützten Villa, umgeben von einem idyllischen Park, in dem beispielsweise regelmäßig die Pflanzentauschbörse des BUND stattfindet. Doch schon an dieser Stelle muss man mit einem Missverständnis aufräumen: Bei dem Gebäude handelt es sich nicht um die frühere Villa des Bergbauzulieferers Beien, wie viele Menschen zu wissen glauben, sondern um das Haus des Herner Architekten und Bauunternehmers Heinrich Dickhoff (Junior), der als ältester Sohn den Betrieb seines Vaters, Heinrich Dickhoff (Senior) übernommen hatte.
Der hatte sich schon Mitte des 19. Jahrhunderts in Herne niedergelassen und seine Spuren bis heute in der Stadt hinterlassen. So hatte er die Kreuzkirche gebaut, außerdem viele Gaststätten wie die alte Markmann-Schänke an der Ecke Viktor-Reuter-Straße/Hermann-Löns-Straße, die ab etwa 1983 zum reinen Wohnhaus umgebaut wurde. Außerdem war er Mitglied des Stadtrats und Mitgründer der Stiftung Katholisches Krankenhaus Marienhospital.
Betondecken und Zentralheizung
Doch die Geschichte der Villa an der Vinckestraße beginnt an einer anderen Stelle: Familie Dickhoff - in amtlichen Dokumenten wurde sie auch mal Dieckhoff geschrieben - gehörte ein großer Teil jenes Grundstücks, auf dem heute der Herner Bahnhof steht. Als dieser in Planung war, „wurde sie enteignet“, erzählt der Enkel, Bruno Warnecke. Nach erfolgreichem Prozess gegen das Deutsche Reich, dem Erbauer des Bahnhofs Herne, seien seinem Großvater als Ersatz zwei Grundstücke zur Wahl angeboten worden: das Grundstück an der Baumstraße - auf dem später das Bonifatiusheim errichtet worden ist - und das Areal an der Vinckestraße/Horsthauser-Straße mit einer Fläche von mehr als 10.000 Quadratmetern. Die Entscheidung für letzteres sei deshalb gefallen, weil es einen Gleisanschluss ermöglicht habe. So wurde fortan das Gelände zwischen der Bahn und der Horsthauser Straße genutzt als Baustofflager und Bauplatz für Werkstätten, Schreinerei und Stallungen für die Arbeitspferde und Gespanne. Die Villa, umgeben von einem großem Park mit Teich, errichtete Dickhoff 1913 auf der vorderen Parzelle, parallel zur Vinckestraße – von daher auch die breite Auffahrt, umsäumt von Platanen.
Zu jener Zeit war das Haus eines der modernsten: Es verfügte über Betondecken, drei Balkone, große Fenster mit Oberlichtern und ausklappbaren Rollläden sowie eine Zentralheizung, Wannenbäder und davon getrennte WCs. Vereint mit dem Haupthaus war ein zweistöckiger Bürotrakt und eine große Remise für die private Kutsche; ein hinterer Trakt verband die Büros mit der Schreinerei.
Familie in den Keller verbannt
Aber mit der Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen 1923 begann die wechselvolle Nutzung der Villa: Sie wurde beschlagnahmt und zum Casino der Besatzer, die Dickhoffs wurden in den Keller verbannt. Nach dem frühen Tod von Heinrich Dickhoff (1921) musste seine Ehefrau, Hedwig Dickhoff, die Firma aufgeben - zu jener Zeit waren Frauen per Gesetz noch nicht geschäftsfähig... Sie zog 1931 mit ihren drei Kindern nach Münster.
Verkauf an die LEG in den 80ern
Mitte der 30er-Jahre konnte sie nicht verhindern, dass auf Druck der Nationalsozialisten der linientreue Komponist Georg Hermann Nellius (er wurde sogar von Hitler 1938 bei seinem Besuch in Herne persönlich empfangen) die Villa bezog. Zudem enteigneten die Nationalsozialisten in den Kriegsjahren noch den Dickhoff’schen Lagerplatz und errichteten auf ihm das Reichskartoffellager. Darin horteten sie über 1000 Tonnen Kartoffeln als Vorrat zur Ernährung der Herner Bevölkerung in Notzeiten. Anfang 1950 mussten die Erben Dickhoff dem Staat diese Bauten abkaufen, um ihren Grund und Boden zurückzubekommen.
Erst Ende 1952, nach dem Tod von Nellius, der immer noch einige Parterre-Zimmer besetzt hatte, wurde die Villa nach und nach für die Familie Dickhoff wieder frei verfügbar, denn bis dahin waren die übrigen Räume des gesamten Gebäudes einzeln durch behördliche Anordnung obdachlosen Mietern zugeteilt worden, da Wohnraum kriegsbedingt auch in Herne knapp war. Später hat auch Bruno Warnecke selbst mit seiner Familie zehn Jahre lang darin gewohnt.
Das vorletzte Kapitel der Villa war noch weniger glanzvoll: Die Erben wurden genötigt, sie im Zuge der Stadtteilsanierung, Anfang der 80er-Jahre, an die Landesentwicklungsgesellschaft zu verkaufen für eine geplante öffentliche Nutzung, so die Begründung. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch komplett bewohnt: Sie sei „in einem ausgezeichneten, frisch renovierten Zustand gewesen“, betont Warnecke. Doch nach dem Auszug der Familie Dickhoff und aller übrigen Bewohner hätten LEG und Stadt die Villa über Jahre leer stehen lassen und sie somit dem Vandalismus preisgegeben.
Dadurch sei ein Großteil der alten Ausstattung verloren; das Gebäude selbst sei in seiner baulichen Substanz erheblich geschädigt worden – zuletzt habe es sich in einem sehr verwahrlosten Zustand befunden. Als 1992 die Villa für ihre heutige Bestimmung als „Haus der Natur“ der „Biologischen Station östliches Ruhrgebiet“ renoviert worden sei, sei der finanzielle Aufwand folglich entsprechend groß gewesen.
Bruno Warnecke hält es für bemerkenswert, dass bei den Baumaßnahmen im Zuge der Renovierung vom Gebäude eine ganze Haushälfte komplett abgerissen worden ist, obwohl auch dieser Teil denkmalgeschützt gewesen sei.
Dadurch und durch die Verlegung der großzügigen Einfahrt habe man leider das gesamte Erscheinungsbild der Villa Dickhoff total verändert und ihre ursprüngliche, zu damaliger Zeit richtungsweisende Architektur zerstört.