Herne. . Netzwerkmanagerin hat viele Ideen zur Belebung Wanne-Eickels. Die WAZ sprach mit ihr über das „Hallenbad“, das Kreativquartier Wanne und mehr.

Das Landesprogramm Kreativ.Quartiere Ruhr unterstützt erstmals drei Städte. Neben Unna und Duisburg hat auch Herne eine Netzwerkmanagerin, vorerst bis Ende des Jahres. Mit Stefanie Thomczyk sprach Ute Eickenbusch über das Kreativquartier Wanne, das Ladenlokal „Hallenbad“ und ihre Ideen zur Belebung Wanne-Eickels.

Wenn Sie im Friseursalon auf der Heinestraße oder in der Metzgerei Weber erklären sollen, was Sie tun, was sagen Sie dann?

Ich sage, ich möchte Menschen begeistern und zusammenführen, um hier in Wanne etwas zu bewegen. Ein Impuls soll dabei vom „Hallenbad“ in der Heinestraße ausgehen, indem wir neue Menschen zusammenführen, experimentieren, Freiräume ermöglichen und gemeinsam schauen, was können wir für Wanne tun, um in Zukunft gut miteinander zu leben. Da ist es wichtig, auch neue Leute nach Wanne zu holen.

Wer sind die „neuen Leute“?

Das müssen nicht neue Leute von außerhalb sein. Uns ist es ganz wichtig, mit dem Potenzial zu arbeiten, was wir hier haben - Bürgern mit ihrer ganzen Kreativität und ihren Ideen. Aber es ist genauso wichtig, Menschen aus den umliegenden Städten zu begeistern nach Wanne zu kommen.

Was ist denn das Potenzial von Wanne?

Das „Hallenbad“ an der Heinestraße.
Das „Hallenbad“ an der Heinestraße. © Barbara Zabka

Es gibt ja Leute, die versteckt arbeiten. Das wollen wir sichtbar machen, im künstlerischen aber auch im allgemeinen Kreativbereich. Ein Potenzial ist die urbane Produktion. Das war zum Beispiel die Hallenbad-Nutzung der „Wanner Werkstaetten“, die Möbeldesign und Lampendesign kombiniert haben mit bildender Kunst. Oder pott-pourri, eine kleine Wanner Manufaktur, hat das „Hallenbad“ als temporären Shop genutzt, mit Workshops und Nähcafés. Potenziell Kreative sollen den Impuls bekommen, ein eigenes Ladenlokal zu eröffnen und sich kreativwirtschaftlich hier niederzulassen. Das „Hallenbad“ wird deshalb von der Wirtschaftsförderung Herne kostenlos weitergegeben, damit dort die eigenen kreativen und künstlerischen Ideen sowie Gründungsvorhaben erprobt werden können.

Wir können aber nicht den ganzen Leerstand in Wanne mit kreativen Shops füllen ...

Stefanie Thomczyk .
Stefanie Thomczyk . © Rainer Raffalski

Das Kreativquartier ist eingebunden in den „Pakt für Wanne“, den der OB bei der Eröffnung des „Hallenbades“ im Februar ausgerufen hat. Unter dem Motto„Wanne 2020 plus“ möchte die Politik, die Verwaltung gemeinsam mit der Bevölkerung einen zukunftsorientierten Stadtbezirk entwickeln. Aber was das genau heißt, muss meiner Meinung nach noch ganz klar definiert werden, mit allen Fachleuten, die wir hier haben: Was muss jeder dafür tun? Ein Beispiel: Wir haben hier sehr hohe Ladenmieten. Die sind zu teuer für die Kreativen. Wenn ich einen potenziellen Gründer für Wanne begeistern kann, der aber sagt: Ich kann nur 300 Euro ausgeben für 60 Quadratmeter, aber die Miete kostet 500 Euro, dann stellt sich die Frage: Möchtet ihr so ein Unternehmen hier haben? Dann muss die Stadt auch ernsthaft prüfen, was sie ihm anbietet.

Das heißt, die Stadt soll die Mieten subventionieren?

Anschieben, genau, wenn sie sich damit wieder neue Impulse für den Stadtteil verspricht. Wir müssen einem abgestimmten Plan folgen. Ich warne vor einem Aktionismus, dass jeder irgendwas macht, was wir nicht vorher genau definiert haben. Wie wollen wir in Wanne in zehn Jahren leben? Das darf nicht nur über ökonomische Faktoren bestimmt werden. Wichtig ist, dass wir auch an die Bevölkerung herantreten. Wir haben ja hier einen hohen Migranten- und Ausländeranteil. Da können wir auch mal in einen tieferen Austausch gehen und unsere gemeinsamen Werte bestimmen. Nur wenn wir es schaffen, gemeinsam eine Basis zu finden, sind auch die Menschen eher bereit, eine Gemeinschaft zu bilden und tätig für diese Perspektive zu werden.

„Werte bestimmen“: Was heißt das konkret?

Hier gibt es große Parallelgesellschaften, das ist offenkundig. Man muss deshalb die Bürger in ihrer Unterschiedlichkeit ernst nehmen und ihre Bedürfnisse und Sichtweisen kennen lernen und schauen: Was sind unsere Schnittmengen? Wo treffen wir uns eigentlich?

Es gibt ja jetzt Briefkästen. Was wird denn da geäußert als Bedürfnis?

Nur einen Briefkasten für „Wanne 2020 plus“ aufzuhängen nützt nichts. Sondern es ist wichtig, den Bürger direkt anzusprechen, dass er seine Ideen und Anregungen in den Briefkasten wirft. Wir nutzen jede Veranstaltung hier, die Leute zu animieren, ihre Ideen einzuwerfen. Das funktioniert ganz gut. Genannt werden bei den Anregungen so Dinge wie bessere Sauberkeit natürlich. Von jungen Erwachsenen weiß ich, dass ihnen Angebote fehlen, ein Kino, ein Pub, ein kultureller Ort. Dann gibt es ein ganz starkes Bedürfnis nach Orten, wo man sich begegnet. Das Nähcafé hier im Juli bei pott-pourri war zum Beispiel ein niederschwelliger Ort. Die Frauen waren froh, sich hier austauschen zu können, aber auch was Kreatives zu tun. Das befriedigt einfach. Wir brauchen einen Ort der Begegnung und des Austauschs, der dazu inspiriert, auch mal neu zu denken und eine Eigeninitiative zu entwickeln.

Da denken Sie aber jetzt an Größeres als das Ladenlokal?

Ich könnte mir vorstellen, dass wir mitten in der City einen offenen Ort der Begegnung hätten, wo man eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen kriegt und wo ich weiß, da treffe ich Gleichgesinnte. Das müsste ein kreativer, urbaner Cafébetrieb sein, wie in anderen Kreativquartieren, vielleicht mit einem Mittagstisch und abends mit Kleinkunst, offenen Austauschformaten, dass man mal mit den Senioren Fotoalben rausholt, Führungen macht - den Stadtteil mit all seinen Facetten neu kennenlernt und gerade auch mit den neu Zugewanderten, die wir mit ins Boot holen müssen.

Wie ist denn der Kontakt zu Zugewanderten?

Da bin ich erst ganz am Anfang, das ist ein Teil meiner Arbeit. Was die Künstlerin Diana Wesser mit ihrem Nachbarschaftslabor im Rahmen von „Junge Impulse“ auch festgestellt hat, ist: Wenn man den Schritt auf sie zugeht und mit den Leuten spricht, ist ein sehr großes Interesse da. Von alleine kommen sie nicht.

Wie erleben Sie das Zusammenleben in Wanne?

Wanne ist wie ein Kino. Wenn ich durch die Innenstadt gehe, sehe ich die Grüppchen ganz klar verteilt. Bei Malzer’s sind das unsere Senioren, die Ur-Wanner, während auf dem Kirchplatz viele „Neu-Wannerinnen“ mit kleinen Kindern, sitzen. Man beobachtet sich, aber ich sehe nicht die Schnittstellen der Begegnung. Da nützt es zum Beispiel nicht nur ein großes Fest zu machen, dass nur einen Teil der Bevölkerung anspricht, sondern wir müssen uns um neue Strukturen Gedanken machen.

Welche könnten das sein?

Das muss gemeinsam konzeptionell überlegt werden, wenn ich alle Menschen, die hier leben, mitnehmen will. Ich denke zum Beispiel an eine „Stühle raus“-Aktion auf der Fußgängerzone oder an ein Format wie Ruhr International in Bochum. Vielleicht erst mal einen Tag angedockt an die „Wanner Mondnächte“.

Mit Musik aus anderen Kulturen?

Ja, aber mit professionellen Bands und Musikern. Ich fände es schön, wenn Neu- auf Alt-Wanner treffen, wir uns kennenlernen und Hemmschwellen abgebaut werden. Ich wünsche mir, dass wir Plattformen entwickeln, wo wir kreativ spielerisch und inhaltlich zusammenkommen und zwar fachübergreifend - Senioren, Sport, Wohnen, Kultur, Wirtschaft ... Da kann man Formate für ein WIR entwickeln.

Was fehlt Wanne am meisten?

Wir dürfen hier nicht so eine Monokultur zulassen. Inhabergeführte Geschäfte gibt es kaum noch. Wanne hat ja eine unheimliche Kraft und Tradition. Wir haben hier eine ganz starke Verbundenheit der Bürger mit ihrer Stadt. Man lebt hier unterm Strich gerne. Es braucht aber eine andere Durchmischung, die sich auch optisch zeigt. Viele sagen, das ist hier so gleichgeschaltet. Wir versinken hier in Gelb-Rot-Billigfarben. Man braucht andere Dinge, die mich anregen, andere Geschäfte wo ich gerne reingehe. Ich finde urbane Stadtgestaltung sehr gut: Wo können wir Wohnen und Arbeiten wieder verbinden? Wo können wir kleine Handwerksbetriebe und Galerien einrichten, die Hinterhöfe öffnen?

Gibt es Beispiele?

Die Blaupause für mich ist Gelsenkirchen-Ückendorf. Da hat die Stadt ganz klar erkannt: Ohne einen eigenen Zugriff auf Immobilien können wir kein Quartier gestalten. Die kaufen Immobilien auf, um dort das urbane Leben möglich zu machen. Mit Werkstätten, Studenten-WGs, Begegnungsräumen, neuen Ladenlokalen. Sie haben fachbereichsübergreifend einen richtigen Masterplan entwickelt. Das hat auch schon Investitionen ausgelöst, dass ein Architekt so einen runtergekommenen Gebäudekomplex aufgekauft und zu wunderschöne Wohnungen umgebaut hat.

Gibt es noch andere positive Beispiele?

In Bochum, Essen, Dortmund ist das Thema Kreativwirtschaft schon sehr lange Gegenstand der Stadtentwicklung. Hier wird viel investiert und auch viel Personal eingesetzt. Das haben wir in dieser Form nicht. Deshalb ist in Herne erst mal die Erkenntnis wichtig, dass ein Kreativquartier wichtige Impulse für die Stadtentwicklung geben kann. Hier könnte sich die Politik und der Verwaltungsvorstand vielleicht mal mit ecce (european centre for creative economy) unterhalten, dafür ist ecce da. Was uns auch definitiv fehlt ist eine Schlüsselimmobilie, die war ja mal mit dem KHaus versucht worden, ist aber letztendlich gescheitert. Es muss deshalb ein klares politisches Votum geben, dass man gemeinsam einen Weg beschreitet. Über den „Wanne 2020 plus“ sollen ja jetzt runde Tische gebildet werden, damit man gemeinsam agiert.

Welche Kooperationen schweben Ihnen vor?

Ich möchte neben den Immobilienbesitzern und Händlern auch als Beispiel Vivawest mit ins Boot holen oder die Gesellschaft freie Sozialarbeit, die Jugendkunstschule, die Kirche, die Beratungszentren, auch für Neuzugewanderte und natürlich auch die muslimischen Gemeinden. Alle, die ein ernsthaftes Interesse haben mitzumachen. Es gibt sehr viel Potenzial, wenn man anfängt es zu bündeln. Wir haben mit unserer Quartiersarbeit schon sehr viel Impulse gesetzt, die lösen andere Impulse aus, den Stadtteil wiederzuentdecken. Kama Frankls „Junge Impulse Festival“ kommt von der Aula mehr in den Stadtraum. Das Festival wird im Oktober im ganzen Quartier durchgeführt.

Was haben Sie sonst noch vor?

Wir müssen mehr im öffentlichen Raum agieren. Mir schwebt so etwas wie eine mobile Begegnungsstätte auf dem Kirchplatz vor. Wo mit Kreativen, Senioren, Jugendlichen, Vereinen vielleicht mit Paletten etwas gebaut wird - Sitzbänke, Stühle, Tische - was sukzessive ergänzt wird, z.B. durch Urban Gardening, Angebote für Kinder, mal einen kreativen Markt. Das könnte man über mehrere Monate im Sommer erproben. Was wird durch die Bevölkerung angenommen und wie können sich die Dinge weiter entwickeln? Musiker könnten da auftreten, Künstler mal Staffeleien aufstellen und andere motivieren zu malen oder jemand bietet Upcycling an. Wir könnten eine Lesung anbieten und uns gemeinsam über für uns wichtige Themen austauschen. Wenn das erfolgreich ist, wäre der nächste Schritt eine Begegnungsstätte in einem festen Ladenlokal.

Vom Kreativquartier zum Namensgeber, dem „echten“ Hallenbad: Wie finden Sie eine Nutzung durch Pottporus und Renegade?

Ich setze mich schon lange für eine ökonomisch-kreative Umnutzung ein. Das ist eine einzigartige Schlüsselimmobilie. Das Hallenbad hat - mit Blick auf Renegade als Ankermieter - die Kraft, eine landesweite Einrichtung für urbanen Tanz und Kultur mit einem ökonomischen Betriebskonzept zu werden. Die Immobile hat so eine Ausstrahlung, dass sie überregionales Interesse wecken kann. Das verbindet sich wunderbar mit der jahrelangen Arbeit von Pottporus und Renegade. Die infrastrukturelle Anbindung ist ideal, die Räumlichkeiten sind ideal, es gibt genug Parkplätze. So wichtig Wohnbebauung ist, ist es auch wichtig Dinge zu halten, die Perspektive für mehr bieten.

Und die Finanzierung?

Natürlich sagt die Stadt und die Politik: Wir haben kein Geld, beginnt aber schon, sich der Sache anzunähern und erste Gespräche zu führen. Es gibt Fördertöpfe des Landes und diese können mit einer ökonomischen Nutzung zusammengebracht werden. Es darf nicht nur darum gehen, für Renegade irgendeine Spielstätte zu finden - diese darf eigentlich nur hier sein.

Was ist ihre persönliche Motivation - als zugezogene Eickelerin - sich für Wanne ins Zeug zu legen?

Ich bin jetzt im letzten Abschnitt meines Berufslebens und möchte etwas von meiner Berufs- und Lebenserfahrung weitergeben. Das ist eine schöne Herausforderung, mich bewusst auf das einzulassen, wo ich lebe. Außerdem habe ich ein tolles, ehrenamtlich arbeitendes Hallenbad-Team um mich herum, dass mich sehr motiviert und begleitet.

>>> ZUR PERSON

Stefanie Thomczyk (54) ist in Idar-Oberstein aufgewachsen. Sie war Sozialarbeiterin und Schuldnerberaterin, bevor sie ins Kulturmanagement ging und später Geschäftsführerin der Agentur Go Between wurde. In ihrer Studienzeit kam sie zur freien Schauspielarbeit.

Die zweifache Mutter lebt seit 23 Jahren in der Stadt Herne, davon 18 Jahre in Eickel.