Herne. . Selbst die Blaumeise macht sich rar: Die neue Vogelkartierung in einem 100 Hektar großen Gelände in Herne-Baukau ergab bedenkliche Ergebnisse.
Der Trend zeichnet sich seit einiger Zeit bundesweit ab – und er trifft auch auf Herne zu: Die Zahl der brütenden Vögel nimmt deutlich ab, sowohl was die Zahl der Artenvielfalt als auch die der brütenden Paare betrifft. Das hat sich bei einer Vogelkartierung gezeigt, die Jürgen Heuser von der Biologischen Station im Auftrag des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) nach 2012 zum zweiten Mal auf einem 100 Hektar großen Gelände in Baukau vorgenommen hat. Fand er 2012 noch 54 Arten, von denen 38 Arten mit 528 Paaren brüteten, waren es jetzt nur von 50 Arten, von denen 36 mit 406 Paaren brüteten.
Spatzen auf dem Rückzug
Was Heuser besonders beunruhigt: Es sind nicht nur Vertreter seltener Arten wie die Dorngrasmücke oder der Gelbspötter nicht mehr vorhanden, sondern auch der Bestand an Allerweltsvögeln wie Blaumeise (- 20 Brutpaare) oder Amsel (- 17 Brutpaare) sind stark rückläufig; brütende Bachstelzen hat er jetzt gar nicht mehr gefunden. Bei der letzten Zählung gab es noch fünf Paare. Und auch die Spatzenkolonien hat es getroffen: Machte Heuser 2012 noch vier Kolonien ausfindig, so war es diesmal nur noch eine - und die sei in ihrem Bestand auch stark bedroht, so der Fachmann.
Zwischen Mitte/Ende März und Mitte Juni war Heuser an 25 bis 28 Morgen jeweils bei Anbruch der Dämmerung unterwegs. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz macht für die Erfassung des Vogelbestandes strikte Vorgaben, nach denen Heuser auch schon vor sechs Jahren die Vogelwelt von Baukau nachgehalten hat. „Nur dann ist eine Vergleichbarkeit gegeben“, so Heuser. So gibt es für jede Vogelart eine eigene Karte, auf der ihr Vorkommen exakt eingetragen werden muss.
Auf das Gehör verlassen
Verlassen hat sich Heuser dabei vielfach auf sein Gehör – kein einfaches Unterfangen in dem lärmigen Gebiet, in dem er unterwegs war. Es befindet sich genau in einem der Herner Hotspots, und es ist schon verwunderlich, dass es Wildvögel dort überhaupt aushalten: mittendrin das Riesenareal mit dem Steag-Kraftwerk, zwei stark befahrene Autobahnen (A42 und A43), stark befahrene innerstädtische Straßen, große Gewerbeflächen und -firmen, mehrgleisige Bahntrassen und der Rhein-Herne-Kanal. Lediglich die Siedlung bietet Bedingungen, die sich auf den ersten Blick für Vögel eignen.
Nicht immer bekommt Jürgen Heuser von den Firmen die Erlaubnis, das Gelände für die Kartierung zu betreten. Einige, wie Adams Armaturen oder die Steag, seien dagegen sehr engagiert: An dem weithin sichtbaren Steag-Schornstein befindet sich auf einem kleinen „Balkon“ sogar einen künstlichen Nistplatz für Wanderfalken. „Er war aber in diesem Jahr nicht belegt“, bedauert Heuser. Dafür hat er einen Wanderfalken als „Gastjäger“ erlebt: Minutenlang habe er eines Morgens im Federgestöber gestanden, nachdem der Raubvogel in nur zehn Metern Höhe auf eine Taube losgegangen war. Die Taube sei zwar noch weggeflogen, aber ob sie’s überlebte hat? Von anderen Firmen gebe es keinerlei Hilfe, selbst von einem großen eingesessenen Unternehmen nicht -- das eigentlich schon wegen seines Namens Interesse an der Kartierung der Piepmätze haben müsste.
Bio-Studentin ging mit auf Tour
Dafür bekam Jürgen Heuser diesmal aktive Unterstützung bei seinen Exkursionen: Die Biologie-Studentin Antonia Hammer, die zurzeit zwischen der Abgabe ihrer Bachelor-Arbeit und ihrem Master an der Ruhruni Bochum ein Praktikum in der Biologischen Station macht, ging mit ihm auf Lauschaktion. „Die Vogelstimmen zu erkennen, ist ziemlich schwierig“, musste sie feststellen. Aber inzwischen höre sie auch verschiedene heraus. „Freilandbiologie war im Studium bislang überhaupt kein Thema“, bedauert Antonia Hammer. „Aber das könnte was für mich sein. Das ist sehr spannend.“
Trotz des Rückgangs an Arten und Brutpaaren gab es für Jürgen Heuser auch einige positive Überraschungen. So entdeckte er am Kanal den Flußuferläufer und Zwergtaucher, er spürte das seltene Braunkehlchen auf traf auf ein brütendes Paar Hohltauben, die eigentlich nur in Waldgebieten anzutreffen und für ihr Nest auf Höhlen angewiesen sind – ein Zeichen dafür, dass Vögel auch ihre gewohnte Umgebung verlassen und sich eine neue Heimat suchen. Dabei habe in diesem Fall aber ein – unbekannter – kundiger Vogelfreund nachgeholfen, indem er eine große Nisthöhle entsprechend platzierte, so Heuser. Neben den Brutpaaren fand Heuser in diesem Jahr 14 verschiedene Arten an Durchzüglern und Nahrungsgästen; vor sechs Jahren waren es in dieser Kategorie noch 16 Arten.
Verschiedene Ursachen
Es gebe sicher mehrere Ursachen für den Rückgang des Vogelbestandes, so Jürgen Heuser, insbesondere aber den Verlust von Nahrungsquellen. „Die Insekten werden weniger. Wenn im Münsterland Insektizide gespritzt werden, wirkt sich das auch hier aus.“ Selbst gemacht sei dagegen der Verlust von Lebensraum für Vögel. Wo sich 2012 noch in Baukau nahe am Steag-Gelände eine Brachfläche befand, auf der Vögel brüten konnten, stehen jetzt Gewerbehallen. Aber es gebe noch weitere Faktoren: So vermute er hinter dem starken Rückgang der Amselpopulation ein Virus, das speziell diese Vögel angegriffen und getötet habe.
Erstaunlich findet Heuser dagegen, dass der Bestand an Rotkehlchen in den vergangenen sechs Jahren von 47 um zehn Brutpaare auf 57 zulegte, obwohl sich auch diese Vögel ähnlich wie Meisen hauptsächlich von Insekten ernähren und erst im Winter auch auf Pflanzliches umschwenken. Eine Erklärung dafür hat er nicht.