herne. Im Wohnblock Emscherstraße türmen sich Müllberge, Mieter berichten von vielen Missständen. Die Stadt will den Druck auf den Vermieter erhöhen.
„Ich bin ein vernünftiger Mensch. Und ich will hier einfach nur vernünftig leben“, sagt der 66-jährige Bewohner des Hochhausblocks Emscherstraße in Wanne. Doch das sei seit einigen Jahren unmöglich, berichtet der Rentner. Warum das so ist, das zeigt er der WAZ und dem Wanner Grünen-Bezirksverordneten Wilfried Kohs bei einem Rundgang durch die Siedlung.
Kein fester Hausmeister im Einsatz
Der erste Eindruck: Müll, überall Müll. Neben hoffnungslos überfüllten Containern liegen Mülltüten. Die blauen Papiertonnen werden auch für Restmüll genutzt. Kaputte Möbel, leere Eimer und allerlei anderer Unrat stehen rund um die Abfallbehälter.
Direkt an den Häusern liegen Papier, Zigarettenschachteln und anderer Unrat, der von einigen Bewohnern offenbar mal eben aus dem Fenster oder vom Balkon geworfen wird. In einem Baum hängt eine alte Hose.
„Bis 2017 hat hier ein fester Hausmeister gearbeitet“, sagt der Rentner, der seinen Namen aus Angst vor Repressalien durch den in Hannover ansässigen Wohnungsverwalter Altro Mondo nicht in der Zeitung lesen möchte. Dieser Hausmeister habe sich gekümmert, sei fester Ansprechpartner gewesen und habe klare Ansagen gegenüber den Bewohnern gemacht – auch beim Thema Müll. Seit kein Hausmeister mehr vor Ort sei, „wird es immer schlimmer“.
Auch in den Gebäuden springen Missstände sofort ins Auge. Defekte Lampen, eingeschlagene Flurfenster, Lichtschalter ohne Abdeckung. In Wohnungen gebe es Kakerlaken und Schimmel, berichten andere Mieter.
Die Gebäude sind Häuser der offenen Tür: Die Schließvorrichtungen funktionieren nicht. „Hier kann jeder Tag und Nacht rein“, sagt der 66-Jährige. Er drückt vier, fünf, sechs Klingeln - „alle kaputt.“ Auch der Aufzug sei seit vielen Wochen defekt. „Hier, schauen Sie mal“, sagt der Rentner und zeigt auf das Schild in der Kabine: „TÜV – nächste Prüfung Mai 2018“.
Runter in den Keller: In einem Raum stapeln sich alte Möbel und Bretter, nebenan brennt das Licht. „Tag und Nacht“, sagt der Rentner. Nachts gebe es hier auch schon mal Trinkgelage.
„Immer mehr Menschen ziehen aus, weil es hier immer ekliger wird.“ Deutsche wohnten hier kaum noch, immer mehr Wohnungen stünden leer. Aktuell leben nach Angaben der Stadt rund 800 Menschen in den 224 Wohnungen, darunter viele Familien mit Kindern.
Schuld an der Situation habe der Vermieter, dem es nur ums Abkassieren gehe, sagt der Rentner. Rund 430 Euro kalt koste seine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung. Wegen der vielen Missstände habe er eine Mietminderung durchgesetzt.
Transporter holt Fleischer aus Osteuropa ab
Ein Transporter mit Kennzeichen SHA – Schwäbisch Hall – fährt durch die Siedlung. „Die holen hier die Fleischer zum Schlachthof ab“, sagt der 66-Jährige. Aus Rumänien und Bulgarien kämen die Arbeiter. In großen Gruppen würden sie an der Emscherstraße in zu kleinen Wohnungen einquartiert.
Am Ende des Rundgangs schüttelt Winfried Kohs mit dem Kopf. „Ich bin geschockt. Solche Zustände hätte ich nicht erwartet“, sagt der Wanner Bezirksverordnete der Grünen, der von dem Bewohner alarmiert worden ist. Kohs sieht nicht nur Eigentümer und Hausverwalter in der Pflicht. Auch die Stadt müsse hier mehr tun, um zumindest die schlimmsten Auswüchse zu beseitigen, fordert er.
Die Hoffnung auf eine Wende zum Besseren ist bei Bewohnern nicht allzu groß. Eine junge Mutter nähert sich und bemerkt, dass der Rentner mit dem Grünen-Politiker und die WAZ über den Zustand der Siedlung spricht. „Glauben Sie mir“, sagt sie, „hier wird sich nichts ändern.“
Stadt wirft Eigentümer Ausbeutung von Mietern vor
Sozialdezernent Johannes Chudziak findet über Eigentümer und Verwalter der Wanner Hochhaussiedlung ungewöhnlich klare Worte: „Das ist ein ziemlich skrupelloses Modell, das auf Ausbeutung von Menschen setzt, die sich nicht wehren können“, sagt er zur WAZ.
Die Stadt schöpfe alle rechtlichen Möglichkeiten aus. Der Erfolg halte sich in Grenzen. „Das Wohnungsaufsichtsgesetz ist kein besonders scharfes Schwert“, so Chudziak. Hier seien Korrekturen notwendig, um den Kommunen wirksamere Instrumente in die Hand zu geben.
Die Stadt werde ihre Maßnahmen - im Rahmen der Möglichkeiten - verschärfen: Bei Missständen würden nicht zunächst Zwangsmittel angedroht, sondern direkt Zwangsgeld. Wenn der Verwalter nicht reagiere, müsse er ein Bußgeld zahlen. Das sei zuletzt passiert, als alte Lackeimer offen herumgestanden hätten. Häufig reagiere der Eigentümer kurz vor Vollstreckung von Zwangsmaßnahmen: „Das ist ein Katz- und Maus-Spiel.“
Androhung von Bußgeld
Die Mieter hätten mehr Möglichkeiten, den Eigentümer bei Missständen unter Druck zu setzen - zum Beispiel durch Mietminderungen. Wie berichtet, hatte die Stadt im vergangenen Jahr auf zwei Bürgerversammlungen gemeinsam mit dem Mieterschutzbund an die Mieter appelliert, aktiver zu werden und Unterstützung angeboten. „Viele Menschen haben sich aber nicht bei uns gemeldet“, so Chudziak. Und: Gerichtsverhandlungen gegen den Vermieter habe es bisher wohl nicht gegeben.
Auch das WDR-Magazin Westpol hat über die Situation an der Emscherstraße berichtet und darauf hingewiesen, dass dieser Vermieter in NRW an rund zehn weiteren Standorten für ähnliche Missstände verantwortlich sei. Altro Mondo habe dazu nicht Stellung nehmen wollen, hieß es. Anfragen der WAZ blieben in der Vergangenheit unbeantwortet oder liefen über ein Kölner Anwaltsbüro.
Der WDR konfrontierte die zuständige NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach mit Bildern von der Emscherstraße. Von „unhaltbaren Zuständen“ sprach diese. Außerdem sagte sie zu, das Wohnaufsichtsgesetz noch einmal überprüfen zu wollen.
Entsorgung Herne: Seit Jahren gibt es Probleme
Die Müllsituation sei in diesem Bereich der Emscherstraße leider seit Jahren problematisch, sagt Barbara Nickel, Sprecherin von Entsorgung Herne. Als noch ein fester Hausmeister als „aktiver Kümmerer“ vor Ort tätig gewesen sei, bei Bewohnern interveniert und mit Entsorgung Herne im Kontakt gestanden habe, sei die Situation wesentlich besser gewesen. Seit etwa eineinhalb Jahren gebe es diesen Hausmeister aber nicht mehr.
Wenn die Müllwerker Überfüllung oder Fehlbefüllung feststellten, fotografierten sie den Missstand und gäben die Information weiter. Entsorgung Herne fordere den Eigentümer dann dazu auf, Abhilfe zu schaffen. Im zweiten Schritt werde eine Anhörung geschrieben. Sollten Bürger auf Missstände hinweisen, prüften Kontrolleure vor Ort die Situation und dokumentierten sie durch Fotos.
Anfang Juli sei aufgrund einer Anhörung zur Aufstellung eines weiteren Restmüllbehälters ein zusätzlicher Container aufgestellt worden. Damit habe die Siedlung nun insgesamt 28 Restmüllbehälter mit einem Volumen von jeweils 1100 Liter. Diese würden wöchentlich geleert. Die Gelben Säcke würden 14-tägig abgeholt und die blaue Papiertonne im Vier-Wochen-Rhythmus. Wenn Entsorgung Herne bekannt werde, dass Sperrmüll auf Gehwegen oder der Fahrbahn abgestellt werde, werde dieser aus Sicherheitsgründen so schnell wie möglich abgeholt.