Herne. . Mitten in Wanne am Buschmannshof leben acht Frauen mit Demenz in einer Wohngemeinschaft. Ein Pflegedienst und ihre Familien betreuen sie.

Es begann Anfang des vergangenen Jahres. Ruth Clarke wohnte damals noch in Berlin, als sich bei ihrem Sohn Michael, weit weg in Herne, das Gefühl verstärkte: Alleine geht es nicht mehr. „Zu Hause konnten wir sie nicht betreuen. Ein Altersheim war nicht das, was sie wollte.“

Durch eine Sozialarbeiterin im Krankenhaus auf die Demenz-Wohngemeinschaft am Buschmannshof aufmerksam gemacht, sahen sich Michael Clarke und seine Frau Bärbel Sasse die WG an, in der zufällig ein Zimmer frei war. „Dann war schnell klar: Das machen wir. Seitdem sind wir unheimlich froh, dass sie hier wohnt und sich sehr wohl fühlt.“

Von Berlin-Tegel nach Wanne-Eickel

Ruth Clarke kam von Berlin nach Wanne.
Ruth Clarke kam von Berlin nach Wanne. © Raffalski

Die Person, von der die Rede ist, sitzt Sohn und Schwiegertochter an der Kaffeetafel vergnügt gegenüber. 92 Jahre ist sie alt, dement, ja, aber durchaus ansprechbar. „Hier wirste volljeproppt mit Essen“, sagt sie in ihrem unverkennbaren Berliner Dialekt, was als Zustimmung gedeutet werden darf. „In Tegel müsste ich mich ja alleine um alles kümmern.“

Ruth Clarke ist eine von acht Frauen, die in der WG in Wanne am Busbahnhof leben, in einer Riesenwohnung von 300 Quadratmetern. Drei Familien wohnten hier früher. Die THS Wohnen hat die drei Wohnungen zusammengelegt, einen Aufzug installiert und drei Bäder eingerichtet. Neben den persönlichen Räumen gibt es die Wohnküche und ein Wohnzimmer, die sich mit ihrem Sammelsurium an Möbeln und Bildern vom meist sterilen Heimambiente abheben.

Heute heißt der Vermieter Vivawest, die Angehörigen tragen gemeinsam die Mietkosten. Zum reinen Wohnen kommt die Pflege. Seit es die WG gibt, seit 2004, kümmert sich darum der Essener ambulante Pflegedienst Hülsewiesche. Zwei bis drei Pflegekräfte seien rund um die Uhr vor Ort, erzählt Volker Hülsewiesche. „So lebt man den Alltag vor Ort“, erklärt der Chef des Pflegedienstes, „mit Pflege, Betreuung, Rumkuscheln und Flirten ist man mitten im Leben.“

Eine Alternative zum Heim - bis zum Lebensende

Großes Ziel dieser Wohnform sei es, „dass man bis zum Lebensende bleiben kann“ - eine Alternative zum stationären Angebot. Auch bettlägerig dürfen die Mitbewohnerinnen und -bewohner sein. „Hier muss keiner mehr ausziehen“, stellt Hülsewiesche klar.

Annelie Louis mit ihrer Mutter Edeltraut Karczewski.
Annelie Louis mit ihrer Mutter Edeltraut Karczewski. © RR

Insgesamt ist die WG über die Jahre älter geworden. „Früher war es noch lebendiger“, erinnert sich Annelie Louis an Zeiten, als zwei Herren mit in der Wohnung lebten. „Da wurde noch getanzt.“ Auch ein Schäferhund, Senta, hat schon in der Wohnung gelebt. Louis’ Mutter Edeltraut Karczewski wohnt seit achteinhalb Jahren am Buschmannshof. „Sie kann gar nichts mehr“, sagt die Tochter. „Aber ich habe den Eindruck, dass sie noch gerne lebt.“

Ursel Velmeden auf dem Balkon.
Ursel Velmeden auf dem Balkon. © Raffalski

Noch richtig fit ist unterdessen Ursel Velmeden. Die 74-jährige Bewohnerin hat 30 Jahre bei Heitkamp gearbeitet und ist froh, dass sie in Wanne-Eickel bleiben kann. Ihr Sohn wohnt in Berlin. Sie selbst lebt seit über drei Jahren in der WG. „Einmal in der Woche koch’ ich für alle“, erzählt sie. Das übernehmen sonst die Pflegekräfte. Wer noch Kartoffeln schälen kann oder Gemüse putzen, hilft. Auch der Balkon ist Ursels Revier, wo Rosen und Flieder blühen. Zwei Blaumeisen und zwei Kohlmeisen haben sie kürzlich auf dem Balkon besucht, freut sie sich.

Angehörige treffen alle Entscheidungen

In die täglichen Aufgaben sind die Angehörigen nicht eingebunden, sie helfen aber, wo sie können - auch beim Kuchenessen, wie jetzt gerade. Alle drei Monate treffen sie sich, dann wird geklärt, was anliegt. Mal muss Sperrmüll gemacht, mal eine neue Spülmaschine ausgesucht werden. „Die Angehörigen bestimmen auch, wie die Tagesabläufe sind, und wie Weihnachten oder Geburtstage gefeiert werden“, erklärt Pflegedienstleiter Hülsewiesche. Auch die Cranger Kirmes wird gemeinsam besucht.

Annelie Louis im Schlafzimmer ihrer Mutter Edeltraut Karczewski.
Annelie Louis im Schlafzimmer ihrer Mutter Edeltraut Karczewski. © RR

Es ist auch die Gemeinschaft, die darüber entscheidet, wer einziehen darf. Ob Pflegegrad 1 oder 5 spielt keine Rolle. Die Kosten für die Pflege richten sich nach dem Pflegebedarf, und der ist bei jedem anders. 2000 bis 4000 Euro, so die Auskunft aus der WG, fallen an Pflegekosten an. Neben der Miete - ebenfalls unterschiedlich je nach Zimmergröße - wird auch ein Beitrag auf ein Haushaltskonto gezahlt.

Insgesamt sei das Leben in der WG „nicht viel teurer“ als ein Heimplatz, so die allgemeine Einschätzung. Dafür aber vom Pflegeschlüssel viel besser. „Das ist sehr familiär hier“, versichert Michael Clarke. „Wir haben immer das Gefühl, willkommen zu sein.“ Alle Angehörigen haben einen Schlüssel, und können somit auch unverhofft auftauchen. Ein „dickes Lob an die Pflegekräfte“ möchte Annelie Louis noch loswerden. Sie seien „mit viel Liebe“ bei der Sache. Volker Hülsewiesche bestätigt das. Für die WG ist ein Team von zwölf bis 15 Kräften zuständig. Zwei seien über zehn Jahre dabei, sechs weitere fast zehn Jahre.

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Die Stadt wertet die Unterbringung in einer Demenz-WG als eine „gute Alternative zur stationären Unterbringung, weil es den Betreuten die Möglichkeit gibt, weitgehend selbstständig zu agieren“, so ein Stadtsprecher auf Anfrage. Neben der genannten WG gebe es eine am Freibad und eine am Eickeler Bruch.

  • Einen Überblick über alle Angebote für Demenzkranke gebe der „Wegweiser Demenz“. Ob eine Neuauflage in Druckversion oder nur noch online erscheinen soll, werde derzeit überlegt.

  • Die Zimmerpreise in Herne liegen nach Angaben von Dirk Bohlmann von der Gelsenkirchener ANW-ALTER-nativ Wohnen GmbH ( 0209 17755-70) im Schnitt bei 300 und 400 Euro. Aktuell sei in Wanne ein Zimmer leer und könne sofort angemietet werden.

  • „Wir haben noch 40 weitere Wohngemeinschaften in ganz NRW, die alle nach dem selben Konzept arbeiten, welches wir mit Pflegewissenschaftlern der Universität Witten Herdecke entwickelt haben“, erklärt Dirk Bohlmann.