Herne. . Ist Welpe Olaf ein „gefährlicher Hund“? Stadt und Tierheim Herne waren sich sicher und sperrten ihn weg. Die Halter wehrten sich – mit Erfolg.
Den Traum vom eigenen Hund haben sich Lisa Frost, ihr Mann David und ihre Kinder Lily (9) und Christopher (13) in diesem Jahr erfüllt. Sie kauften von einer befreundeten Familie den Mischlingswelpen Olaf. Kurz darauf wurde aus dem Traum ein Alptraum. Die Stadt warf der Herner Familie vor, dass Olaf ein „gefährlicher Hund“ sei und verfügte die Unterbringung des neun Monate jungen Welpen im Tierheim.
Ausgelöst worden ist das Drama durch ein Versehen: Weil eine Bekannte der Familie die Haustür der Frosts nicht richtig zugezogen hatte, büxte Olaf zunächst unbemerkt aus. Die Polizei las den herrenlosen Hund wenige Stunden später in der Nähe des Hauses an der Schaeferstraße auf und brachte ihn in das vertraglich für Herner Fundtiere zuständige Tierheim in Gelsenkirchen-Erle.
Mutter französische Bulldogge, Vater Retriever
Auf diese freudige Botschaft folgte kurz darauf für Familie Frost der Schock. Das Tierheim und das rechtlich zuständige Herner Ordnungsamt verweigerten die Herausgabe. Der Vorwurf: Es handele sich „zu 100 Prozent“ um einen im Landeshundegesetz als gefährlich geführten American Staffordshire Terrier oder eine Kreuzung mit dieser Rasse, so hieß es. Hintergrund: Für Halter dieser und anderer Rassen gelten laut Gesetz besondere Auflagen (siehe unten).
Die Frosts wiesen dies entschieden zurück: Die Mutter von Olaf sei eine französische Bulldogge, der Vater ein Golden Retriever. Gehör fanden sie nicht. „Wir wussten gar nicht, wie uns geschah“, sagt die Geschäftsfrau, die an der Bebelstraße in Herne-Mitte das Feinkostgeschäft „Lisa“ betreibt.
Doch damit nicht genug: Mitarbeiter des Tierheims hätten ihr unter anderem vorgeworfen, den Hund illegal aus dem Ausland eingeschmuggelt zu haben - was eine Straftat wäre. Das Ordnungsamt sei der Einschätzung des Tierheims, dass es sich unzweifelhaft um einen „Kampfhund“ handele, gefolgt. Der zuständige Stadtmitarbeiter sei ihnen feindselig und abweisend begegnet; er habe ihr nicht abgenommen, dass der Hund aus Herne stamme. Alle Versuche der Frosts, dies durch Zeugen - die Halter von Olafs Eltern, eine Tierärztin - sowie Dokumente und Papiere zu belegen, seien zurückgewiesen worden.
Stattdessen verwies die Stadt auf das für Rassebestimmungen - Fachbegriff: Phänotypenbestimmung - in Herne letztlich zuständige Kreisveterinäramt Recklinghausen. Weil die verantwortliche Tierärztin des Amtes im Urlaub war, mussten die Frosts noch eine Woche warten.
Rückgabe nach elf Tagen
Die Ärztin schaute sich nach ihrer Rückkehr den Hund im Tierheim an und erklärte das, was die von den Frosts eingeschaltete Rechtsanwältin sowie Hundeexperten bereits zuvor geltend gemacht hatten: Die endgültige Bestimmung des Welpen sei erst im Alter von 12 bis 15 Monaten möglich, könne also bei Olaf frühestens in drei Monaten vorgenommen werden. Die Stadt Herne übergab daraufhin Olaf nach zehn Tagen Zwangsaufenthalt im Einzelzwinger an Lisa Frost und ihre Familie.
Der Kreis Recklinghausen erklärte auf Anfrage, dass die Veterinärärztin die Erklärung der Frosts, dass es sich bei Olaf um eine Mischung aus Retriever und Bulldogge handele, durchaus nachvollziehen könne. Falls ein von den Frosts angekündigter DNA-Test dies bestätigen sollte, empfehle sie der Stadt, dies anzuerkennen und auf die Phänotypenbestimmung zu verzichten.
DNA-Test bestätigt die Hundehalter
Seit Mittwoch liegt das Ergebnis vor. Das beauftragte Labor kommt zu dem Ergebnis, dass Olaf laut DNA-Profil von Bulldogge Baby und Retriever Cooper abstammt. Die Stadt werde das Gutachten nach Eingang prüfen und anschließend entscheiden, wie damit umzugehen sei, so eine Sprecherin.
Lisa und David Frost sind noch immer fassungslos über das ihnen Widerfahrene. Sie hätten das alles als Bedrohung empfunden, sagt David Frost. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass so etwas möglich ist“, sagt seine Frau Lisa. Sie lebe nun seit über 24 Jahren in Deutschland, sagt die gebürtige Schottin mit indischen Wurzeln. „Doch so unwohl und schlecht wie nach diesem Vorfall habe ich mich hier noch nie gefühlt.“
Anwältin: Meine Mandanten wurden kriminalisiert
Die von den Frosts eingeschaltete Krefelder Rechtsanwältin Susan Beaucamp wirft der Stadt und dem Gelsenkirchener Tierheim vor, rechtswidrig gehandelt zu haben. Allein die Tatsache, dass der Welpe noch nicht ausgewachsen sei, hätte zur sofortigen Herausgabe des Hundes führen müssen. Außerdem seien ihre Mandanten kriminalisiert worden, sagt sie.
Die Stadt weist gegenüber der WAZ alle Vorwürfe zurück. Es sei nach Recht und Gesetz gehandelt worden, so Stadtsprecher Christoph Hüsken. Und: „Es gibt keine Versäumnisse seitens der Stadt.“
Nach Einschätzung der „geschulten Mitarbeiter“ des Tierheims handele sich bei dem Hund um einen American Staffordshire Terrier, mindestens aber um eine Kreuzung dieser Rasse. Daher sei er nach dem Landeshundegesetz als gefährlicher Hund einzustufen. Eine Herausgabe könne nur an eine Person erfolgen, die im Besitz einer ordnungsbehördlichen Haltererlaubnis sei. Diese könnten die Frosts aber nicht vorweisen. Und: Die Familie habe auch nicht nachweisen können, dass es sich nicht um einen „gefährlichen Hund“ handele.
Wie in Zweifelsfällen üblich, sei das Kreisveterinäramt Recklinghausen eingeschaltet worden. „Die Amtstierärztin hat in diesem Einzelfall erklärt, die endgültige Bestimmung erst in einem Alter des Hundes von 12 bis 15 Monaten vornehmen zu können“, so Hüsken. Deshalb sei der Hund an die Frosts übergeben worden. Nach der endgültigen Bestimmung durch die Amtstierärztin sei dann über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Grundsätzlich sei eine Phänotypenbestimmung auch bei Welpen möglich, betont die Stadt. Dies werde von Gerichten anerkannt.
Erler Tierheimleiter schweigt
Aus der Tatsache, dass Olaf wegen des Urlaubs der Amtstierärztin insgesamt elf Tage im Tierheim bleiben musste, ergibt sich für die Stadt kein Handlungsbedarf hinsichtlich des Vertrags mit dem Kreis Recklinghausen: „Aus urlaubs- oder krankheitsbedingten Priorisierungen bei der Aufgabenerledigung ergibt sich nicht zwingend ein Nachbesserungsbedarf“, erklärt Christoph Hüsken.
Der Leiter des Tierheims in Gelsenkirchen-Erle wollte auf Anfrage der WAZ nicht Stellung nehmen. Er verwies auf die Zuständigkeit der Stadt Herne. Nach Einschätzung von Fritz Pascher vom Vorstand des Herner Tierheims ist in diesem Fall einiges schief gelaufen: „Das Vorgehen der Stadt und des Tierheims war nicht in Ordnung“, sagt er.
>> INFO: Landeshundegesetz
Im Landeshundegesetz NRW ist definiert, welche Hunde „gefährlich“ sind.
Das sind grundsätzlich: Pittbull Terrier, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier und Bullterrier sowie deren Kreuzungen untereinander und mit anderen Hunden. In Zweifelsfällen haben die Halter nachzuweisen, dass eine Kreuzung nicht vorliegt, heißt es.
Darüber hinaus sind sechs Einzelfälle aufgelistet, nach denen Hunde ebenfalls als gefährlich gelten. Die Feststellung der Gefährlichkeit erfolgt durch die zuständige Behörde nach Begutachtung durch den amtlichen Tierarzt.
Die Halter von gefährlichen Hunden müssen mehrere Voraussetzungen erfüllen - unter anderem Volljährigkeit, Sachkunde und eine Haftpflichtversicherung.