Herne. . Die Herner WAZ-Redaktion zieht ins Stadthaus auf die Bahnhofstraße. Früher stand dort das erste Haus am Platze – bis die Abrissbirne kam.

Ende Juli zieht die WAZ um: ins Stadthaus an die Bahnhofstraße 64 in Herne-Mitte, direkt am Robert-Brauner-Platz. Ein Investor hat das Hochhaus aus den 1960er Jahren, das über viele Jahre leer stand, übernommen und komplett modernisiert. Was viele nicht wissen: Der Ort, an dem das neue Medienhaus entsteht, ist ein geschichtsträchtiger. Dort stand einst das „erste Haus am Platze“ – das Hotel Schlenkhoff.

Und das sei nicht irgendein Hotel in Herne gewesen, sagt Gerd Biedermann von der Geschichtsgruppe „Die Vier!“. Mit Stadtarchivar Jürgen Hagen ist er auf Spurensuche nach dem Ort gegangen ist, an dem die WAZ eine neue Heimat findet. So habe das Haus im Herner Adressbuch 1903/04 mit diesen Worten für sich geworben: „Hotel-Restaurant Schlenkhoff – Erstes und ältestes Haus am Platze hält sich dem geehrten Publikum bestens empfohlen.“

Kofferwagen standen für den Transport bereit

Es sei Ludwig Rensinghoff, genannt Schlenkhoff, gewesen, der es vermutlich 1876 gebaut habe – mit Wohn- und Restaurantgebäude, Kegelhalle und Kutscherhaus. In den folgenden Jahren, so die Recherche von Biedermann und Hagen, habe es Besitzwechsel sowie Umbauten und Vergrößerungen gegeben. Um 1900 habe das Haus dann elektrisches Licht gehabt, außerdem Kofferwagen zum Transport von Gepäck zum nahe gelegenen Herner Bahnhof. 1906 sei – nach Abbruch des alten Saals – der repräsentative Schlenkhoffsche Saalanbau errichtet worden.

„Das erste Haus am Platze“, berichtet Lokalhistoriker Biedermann, „war wegen seines guten Rufes, seiner zentralen Lage und der Nähe zum Bahnhof beliebt und Schauplatz bedeutsamer Ereignisse.“ Ein Beispiel: 1911 habe etwa die jüdische Gemeinde dort „an den langen weißgedeckten Tafeln“ mit „ca. 125 Damen und Herren“ ihre Feierlichkeiten zur Einweihung der Herner Synagoge ausgerichtet, so verrate es die Festschrift, die damals erstellt worden sei.

Auch Adenauer und Schumacher waren zu Gast

Wechselvoll sei die Geschichte des Hauses gewesen: Nach der Novemberrevolution 1918 sei es Hauptquartier des Arbeiter- und Soldatenrates und während der französischen Besatzung 1923/24 Sitz des Generalkommandos für das gesamte Ruhrgebiet gewesen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten SPD-Vorsitzender Kurt Schumacher und Bundeskanzler Konrad Adenauer zu den Gästen gehört. Und noch einmal sei investiert worden: Der pompöse Saal-Anbau sei nach 1952 vom letzten Pächter Walter Sailler renoviert worden: Drei, je 230 Kilogramm schwere Kronleuchter hätten ihm ein besonderes Ambiente gegeben.

Dann, so Biedermann und Hagen, sei es schnell bergab gegangen. Das bittere Ende: 1959 sei das Hotel unter den Hammer gekommen. Die Westfälische Rundschau kommentierte: „Man muß es bedauern, daß das Hotel Schlenkhoff an der Bahnhofstraße morgen zur Versteigerung gelangt. Es verbindet sich mit ihm ein Stück Stadtgeschichte.“ Ein Betreiber habe sich nicht gefunden. 1961 sei das altehrwürdige Gebäude abgerissen worden.

Bau des Stadtwerkehauses folgte

An dessen Stelle sei der bekannte Neubau errichtet worden – das Hochhaus, das über Jahrzehnte den Namen Stadtwerkehaus trug. „Diesen Neubau“, sagt Biedermann, „fand der benachbarte Juwelier Hildwein so klasse, dass er auf eigene Kosten sein Haus aus der Gründerzeit abreißen ließ und ein neues Gebäude errichtete, das sich dem Stadtwerkehaus anpasste.“ Auch die Herner Zeitung vom 24. April 1965 habe jubiliert: „Bahnhofstraße erhält in einem Jahr einen neuen Blickpunkt.“ Die beiden Mitglieder der Geschichtsgruppe „Die Vier!“ sehen die Schlagzeile gelassen: „So war der damalige Zeitgeschmack“, sagt Biedermann. Wohl wissend, dass es auch mit dem Stadtwerkehaus bald schnell bergab ging.

Ins Stadthaus zieht die WAZ Ende Juli ein.
Ins Stadthaus zieht die WAZ Ende Juli ein. © Socrates Tassos

Und 2018? Da erstrahlt das Stadtwerkehaus, das nun Stadthaus heißt, in neuem Glanz. Ins Erdgeschoss ist das Café Extrablatt eingezogen, daneben kommt nun der WAZ-Leserladen, in die Etage darüber ziehen bis Ende Juli WAZ-Redaktion und Wochenblatt. Und in den kommenden Monaten sollen dann auch die Mieter in die neuen Wohnungen einziehen.


>> DARAN erinnern sich WAZ-Leser

Die WAZ hatte das Foto mit dem Hotel gezeigt und gefragt: Wer kennt es? Viele Leser meldeten sich mit der richtigen Antwort, aber auch mit vielen Erinnerungen. „Es war ein prachtvolles Haus“, schreibt WAZ-Leser Gerd E. Schug. Das Gebäude „wäre heute das Adlon von Herne“. „Das waren noch Zeiten im Hotel Schlenkhoff“, meint Hanns Wellmann. Wie er erinnern sich viele an die Tanzschule von Armanda Diel-Funkenberg in dem Hause. So auch Wellmann: Er habe 1951 seinen Abschlussball im großen Saal gefeiert. Dass in dem Hotel Szenen des Spielfilms „Das Wunder des Malachias“ abgedreht wurden, wussten etwa Heinz Niewerth, Horst Delistat und Hubert Emmerich.

Wolfgang Sturm erzählt von der Gaststätte Union-Pütt im Keller an der Ecke zur Viktor-Reuter-Straße. Dort habe man „gut und preiswert essen und trinken“ können. Helma Kellermann berichtet, dass sie von 1955 bis 1958 in dem Hotel Seiler gelernt habe.

Pächter war wie ein englischer Gentleman gekleidet

Viele Leser erinnern sich auch an den Pächter. Liselotte Hoefs etwa, die in dem Hotel 1959 Konfirmation gefeiert hat. „Der lange Berger“ sei er in Herne genannt worden. Gerd E. Schug sagt, dass der Pächter eine imposante Persönlichkeit gewesen sei – nicht nur wegen seiner knapp 2 Meter Größe: „Herr Berger war stadtbekannt, da er immer wie ein englischer Gentleman gekleidet war“ – unter anderem mit schwarzem, langem Mantel oder Gehrock und mit einem Schirm und Silberkrücke.

Christel Amadio berichtet von einer Begegnung mit dem Hotelbesitzer. Fünf oder sechs Jahre sei sie alt gewesen, als sie durch einen Fensterspalt geschaut und das Treiben in der Küche beobachtet habe. „Da stupste mich jemand von hinten an die Schulter“, schreibt sie. Hinter ihr habe ein großer Mann mit beeindruckendem grauen Zwirbelschnurrbart gestanden. „Er lächelte und sagte : ,Na,meine Kleine, hast du jetzt alles gesehen?’“ Ihr Vater habe ihr erzählt, dass das der Pächter gewesen sei. „Ich habe diese Begegnung bis heute nicht vergessen“, sagt sie.