Herne . Die Diskussion um die Zustände in der Pflege wird immer lauter. Eine Herner Fachkraft hat der WAZ ihre Erfahrungen in der Branche geschildert.
35.000 Stellen in der Alten- und Krankenpflege sind in Deutschland zurzeit unbesetzt. Es gebe eine „regelrechte Vertrauenskrise“ in der Pflege, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor wenigen Tagen - und will diese Krise beenden. Mit einer „konzertierten Aktion Pflege“ soll der Beruf wieder attraktiver werden.
Doch woher kommt die Krise, kommt der Frust bei den Pflegekräften? Die WAZ hat mit Anne Schmitz gesprochen. Das ist nicht der richtige Name der gebürtigen Hernerin, den möchte die junge Frau nicht in der Zeitung lesen. Das ist in gewisser Weise verständlich. Sie hat in verschiedenen Krankenhäuser gearbeitet, auch in der mobilen Pflege, auch mit der Pflege von psychisch Kranken kennt sie sich aus. Ihre persönlichen Erfahrungen in der Pflege machen mindestens nachdenklich.
Die „helfende Hand“, wie Schmitz es nennt, habe sie von ihrer Mutter geerbt. Die sei Krankenschwester gewesen, „ich bin groß geworden mit der Pflege“, so Schmitz. Deshalb habe sie schon ihr Fachabi mit dem Schwerpunkt Gesundheit gemacht. Als sie sich dafür entschieden habe, eine dreijährige Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin zu starten, „hat meine Mutter mir gesagt, was auf mich zukommt, aber sie wollte mir auch nicht im Wege stehen“. Sie habe mit einem idealisierten Blick auf die Pflege ihre Ausbildung begonnen, doch das Ideal sei sehr schnell gebröckelt, nach dem ersten Jahr sei es schon erschüttert gewesen. Schmitz merkte sehr schnell, dass zum Beispiel die sogenannte Bezugspflege, bei der mit Patienten auch mal persönliche Gespräche geführt werden, wegen des fehlenden Personals und der fehlenden Zeit gar nicht möglich gewesen seien.
30 Patienten in 7,5 Stunden
„Die Inhalte der Lehrbücher konnten wir nur in der Prüfung umsetzen“, so Schmitz, weil es zu wenig Personal gebe. Das verursache einerseits Ärger, andererseits werde auf diese Weise die Würde des Menschen eingeschränkt. Als Patientin habe sie selbst diese Strukturen kennengelernt.
Durch diese Strukturen sei auch eine Anleitung für die Auszubildenden in zahlreichen Fällen nicht mehr möglich, viele Dinge müsse man sich selbst beibringen - oder Auszubildende aus dem dritten Lehrjahr zeigen jenen aus dem ersten Lehrjahr Handgriffe.
Auch die Dokumentationspflichten sieht Schmitz zwiespältig. „Hauptsache, da steht dann was, ob das dann auch der Wahrheit entspricht...“, lässt Schmitz den Satz im Ungefähren auslaufen.
Ihre Erfahrungen in der ambulanten Pflege werfen ebenfalls kein leuchtendes Bild auf die Branche. Mindestens 30 Patienten habe sie in einer siebeneinhalbstündigen Schicht versorgen müssen. Eigentlich nicht zu schaffen. Doch weil die Patienten eben darauf eingestellt seien, dass der Pflegedienst zu einem bestimmten Zeitpunkt kommt, habe sie statt einer Pause Butterbrote in aller Eile im Auto gegessen, habe manches Foto von Blitzern gesammelt. Auch die gesetzlichen Pausen zwischen Spät- und Frühschicht habe sie nicht immer einhalten können. Es sei kein Wunder, dass nach Jahren mit dieser Belastung irgendwann vermehrt Krankmeldungen bei den Arbeitgebern eintrudeln.
Mehr Geld allein ist keine Lösung
Kaum ein anderes Bild habe sich ihr geboten, nachdem sie sich auf die Pflege in der Psychiatrie spezialisiert und verschiedene Häuser kennengelernt habe. Oft habe sie sich allein durchkämpfen müssen, am schlimmsten sei der Wechsel zwischen den Schichten gewesen: „Ich konnte teilweise nicht mehr schlafen.“
Zurzeit befindet sich Schmitz in einer Berufspause. Die Frage, ob sie danach wieder einsteigen wolle, beantwortet sie mit einem entschiedenen Ja. Sie habe zu viel investiert, sei viel zu kompetent, um das Potenzial, das sie als ausgebildete Pflegekraft besitze, nicht auszuschöpfen. Doch in Vollzeit werde sie auf keinen Fall zurückkehren, das würde sie allerhöchstens zwei Jahre durchhalten. Dazu muss man wissen, dass sich Schmitz noch deutlich in der ersten Hälfte ihres Lebens befindet. „In der Pflege kann man nicht alt werden“, weiß Schmitz. Nur die wenigsten halten bis zur Rente durch, die Belastung sei zu hoch.
Dass die Zustände in der Pflege bislang mehr oder weniger von allen Seiten hingenommen worden seien, habe auch damit zu tun, dass Pflegekräfte nicht selbstbewusst seien, um für sich zu kämpfen. Dass die Kritik an den Zuständen langsam anschwillt und die Politik sich des Themas angenommen hat, verfolgt Schmitz mit Interesse, aber es fehle noch der große Gruppenaufmarsch. Wie eine konzertierte Aktion für die Pflege aus Sicht von Schmitz aussehen kann? Mehr Geld alleine sei nicht die Lösung, die Arbeitsbedingungen müssten auch attraktiver werden, es müsse die Leidenschaft geweckt werden, Patienten menschlich zu versorgen. Für gute Pflege müsse man sich Zeit nehmen.
Elisabeth-Gruppe zahlt freiwillig 5 Prozent mehr
Die Herner Elisabeth-Gruppe zahlt ihren 220 Fachpflegekräften freiwillig seit März fünf Prozent mehr Gehalt. Dafür investiert die Krankenhaus-Gruppe nach eigenen Angaben rund 750 000 Euro.
Man würde gerne allen Pflegern mehr zahlen, so Geschäftsführer Theo Freitag, doch das sei nicht finanzierbar.