Herne. . Der vom Künstlerpaar Christo verpackte Reichstag erschien edel, Schloß Strünkede wirkt dagegen wie in Lumpen gesteckt: Verhüllungen im Vergleich.
Manche Leute erinnern sich, wenn sie vor dem mit Jutesäcken verhüllten Schloß Strünkede stehen, an ein ganz anderes Kunstereignis. Im Jahr 1995 hat das Künstlerpaar Christo und Jean-Claude in Berlin den Reichstag verpackt. Hat Ibrahim Mahama die Idee etwa geklaut? Auch Christo war nicht der erste Künstler, der Dinge verpackt oder verhüllt hat. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts haben Künstler Dinge in Stoffe gehüllt und verschnürt. Das Publikum war damals völlig irritiert und hat sich gefragt, was da drin sei. Eine Antwort haben sie nie bekommen.
Aluminiumbedampftes Gewebe gegen Jutesäcke
Bei Christo wussten alle, dass unter den Stoffbahnen der Reichstag ist. Und unter den Jutesäcken von Ibrahim Mahama ist Schloß Strünkede. Das sieht man sogar noch. Aber wo sind die Unterschiede?
Christo lässt für seine Verhüllungsaktionen extra Stoffe weben: aluminumbedampftes Polypropylengewebe. Ibrahim Mahama nimmt alte, gebrauchte Jutesäcke, die er auseinandertrennen und zu Bahnen vernähen lässt. Allein die unterschiedlichen Materialien verleihen den Gebäuden ein ganz anderes Aussehen. Der verhüllte Reichstag scheint edel, der Stoff glänzt im Sonnenlicht. Schloß Strünkede wirkt eher schäbig. Christo geht es um die Neutralität des Materials, Ibrahim Mahama ist die Geschichte der Säcke wichtig. Die lässt sich an jedem Einzelnen durch seinen Aufdruck und die Beschriftung erkennen. In den Säcken spiegelt sich der wirtschaftliche Gebrauch. Sie erzählen so auch etwas von der weltweit agierenden Wirtschaft und der Verarmung der Menschen in Afrika.
Christo betont bei dem Reichstagsprojekt durch die Schnüre, die um das ganze Gebäude laufen, die Form des Gebäudes. Er verpackt das Gebäude. Bei Schloß Strünkede hängen die Stoffbahnen eher locker vom Dach und wehen manchmal auch leicht im Wind. Es ist verhüllt.
Beide Projekte sind zeitlich begrenzt. Beide haben für eine gewisse Zeit den gewohnten Blick auf die Gebäude in Frage gestellt. Und sie haben die Betrachter zum Denken angeregt. Auch zum Ärgern.
Viele Herner Bürger empfinden, dass Schloß Strünkede schön ist. Ist es auch. Aber es ist auch ein Symbol für eine Zeit, in der dort ein Ritter herrschte, der seine Herner sicherlich nicht immer freundlich, vor allem wenig demokratisch behandelte.Die Menschen haben in einfachen Hütten und Häusern gelebt, von denen heute keine mehr in Herne stehen. Gut, dass diese Zeit hier in Herne lange vorbei ist!
24 Jahre bis zur Realisierung einer Künstler-Idee
Vor der Verhüllung des Reichstags haben sich viele Berliner und auch viele Politiker gegen das Projekt des Künstlerpaar Christos gewandt. Der damalige Bundestagspräsident Karl Carstens beispielsweise befürchtete, dass der Symbolcharakter des geschichtsträchtigen Gebäudes Schaden nehmen könnte. Hat es nicht. Christo und Jeanne-Claude brauchten rund 24 Jahre von der ersten Idee bis zur Realisierung. So lange hat es in Herne nicht gedauert.
In Berlin pilgerten fünf Millionen von Besuchern zum verhüllten Reichstag, um ihn anzuschauen. So viele werden es Herne vielleicht nicht sein. Aber wer weiß?