herne. . Nach zehn Jahren verabschiedet sich Leiter Josef Mühlenbrock vom Archäologie-Museum. Im WAZ-Interview blickt er zurück und in die Zukunft.
Zehn Jahre hat Josef Mühlenbrock (50) das LWL-Museum für Archäologie in Herne geleitet. Ende Mai verabschiedet er sich und geht erst mal auf Reisen. „Den Kopf frei bekommen“, wie er sagt, bevor er im September die Leitung des LWL-Römermuseums in Haltern übernimmt. WAZ-Redakteurin Ute Eickenbusch sprach mit ihm über seine Herner Zeit.
Herr Dr. Mühlenbrock, ist Ihr Büro schon aufgeräumt?
Nein, ich hab noch nicht mal wirklich angefangen. Es ist natürlich noch ganz viel zu tun im laufenden Tagesgeschäft. Aber das wird in den nächsten zwei Wochen passieren.
Wie oft arbeiten Sie denn im Büro und wieviel passiert außerhalb?
Es gibt Phasen, in denen man viel im Büro und Haus macht, wenn eine Ausstellungseröffnung bevorsteht, die Objekte kommen, die Leihgeber kommen mit den Kurieren, die Gestaltung hat Fragen … Dann gibt es auch Phasen, wo es mehr nach außen geht: Kooperationen mit anderen Museen oder man ist auf Tagungen. Es ist auch wichtig, eine Vernetzung hinzubekommen. Eine Ausstellung allein zu machen ist selten, schon aus Kostengründen. Da schaut man, wie kommt man mit mehreren zusammen, die ähnlich ticken, um etwas Gemeinsames kostengünstiger zu machen.
Warum haben Sie eigentlich Archäologie studiert?
Das hat schon mit Haltern zu tun. Ich bin ja in Haltern zum Gymnasium gegangen. Viele hassen Latein, ich fand das immer richtig klasse, weil wir Lehrerinnen hatten, die das super spannend gemacht haben. Wir sind auch immer mal auf Ausgrabungen gegangen. Da hat sich für mich schon ein Interesse für das Thema entwickelt. Dann habe ich nach dem Abi eine Tour gemacht durch Israel, Jordanien und Ägypten. Auf der Tour wurde es noch mal klarer, da gab es römische und ägyptische Spuren. Da merkte ich: Die Römer interessieren mich schon sehr.
Was waren Ihre persönlichen Sternstunden in Herne?
Das war natürlich schon die Kulturhauptstadt 2010 mit unserem Projekt „AufRuhr 1225“. Die Ermordung des Kölner Erzbischofs war ein spannendes Thema, das hier auch stark verortet ist. Da hatten wir auch ein Budget, mit Drittmitteln und Mitteln der Kulturhauptstadt war einiges an Geld da, so dass wir nicht nur eine schöne Ausstellung machen konnten, sondern uns auch ein gutes Marketing leisten. Wie groß die Bestürzung in der Bevölkerung war, als die Motte am Ende weg musste. Die Ausstellung hatte 166.000 Besucher, das haben wir sonst in zwei Jahren. Da war natürlich das ganze Ruhrgebiet angefixt durch Kultur. Das ist für mich das Highlight, nach wie vor.
Wie wichtig sind Besucherzahlen?
Man würde lügen, wenn man sagen würde, Zahlen spielen überhaupt keine Rolle. Wenn eine Kalkulation für eine Ausstellung aufgestellt wird, gibt es natürlich eine Besuchererwartung. Da werden die Eintritte schon eingerechnet, die man im Vorhinein ausgeben darf, aber die müssen wieder reinkommen. Und wenn nicht, muss man sie an anderer Stelle einsparen. Insofern muss man schon realistisch schauen, wieviel Besucher kommen werden. Auch bei der Auswahl von Themen, wir wollen ja nicht an den Besuchern vorbei arbeiten. Deshalb auch so Themen wie „Schuhtick“ oder „Pest“ im nächsten Jahr. Jetzt die „Irrtümer und Fälschungen“ mit dem Einhorn, das zieht auch sehr. Aber für mich sind Besucherzahlen nicht das einzige Maß einer guten Ausstellung. Das Feedback der Besucher finde ich mindestens genauso wichtig.
Wie wichtig ist ein Echo in der Fachwelt?
Es ist eher selten, dass sich wirklich Wissenschaftler äußern. Presse ist natürlich wichtig. Zum Beispiel ist jetzt ein Bild der dpa mit dem Skelett des Einhorns quer durch die deutsche Medienlandschaft gegangen. Eine Frau aus Husum schrieb mich am Tag darauf an. Sie hatte einen Fehler entdeckt in der Rekonstruktion des Skeletts. Wenn sich aus Husum jemand die Mühe macht zu antworten, dann ist die Pressearbeit doch gut gelaufen. Der ORF hat jetzt auch über „Irrtümer und Fälschungen“ gedreht, weil es in der Wiener Schatzkammer auch ein Horn eines vermeintlichen Einhorns gibt. Das ist natürlich toll.
Wo ordnen sie „Irrtümer und Fälschungen“ ein in der Attraktivität?
Im oberen Mittelfeld. Das ist keine „AufRuhr“-Ausstellung, aber eine gut laufende Sonderausstellung, für die wir noch auf viele Besucher hoffen.
Hatten Sie selbst im Museum auch mal mit Fälschungen zu tun?
Ja, aber das war erledigt, als ich kam. Für einen der Kuben hatte das Team einen Schädel ausgewählt. Man dachte, er sei 26 000 Jahre alt. Aber der Professor, der ihn beprobt hatte, stellte sich als Riesenscharlatan heraus. Bei der zweiten Beprobung wurde er auf 1720 datiert.
Wie sieht es mit Schäden und Diebstahl aus?
Kaputt gegangen ist nichts groß. Es passiert mal, dass von einem Objekt eine Ecke abplatzt. Einen Diebstahl hatten wir nicht bei den Objekten, die packen wir auch in Vitrinen. Aber im Forscherlabor im Bereich Anthropologie haben wir einen nachgemachten Oberschenkel eines Menschen, den man vermessen kann, um festzustellen, wie groß die Person war. Das ist das meistgeklaute Objekt im Museum. Wir haben es dann an ein Stahlseil gebunden.
Was war denn Ihre schönste Reise?
Am spannendsten, aber auch am anstrengendsten sind die Vietnam-Reisen gewesen. Ich glaube, ich war fünf Mal in Vietnam. Bei einer Reise hatten wir mal zwei, drei Tage länger, da konnten wir zumindest mal in die Halong-Bucht fahren und einmal nach My Son in die Tempelstadt. Das war schon toll zu erleben. Im letzten Jahr war ich noch mal in Stonehenge, weil wir für 2021/22 eine Stonehenge-Ausstellung geplant haben. Eine Reise nach Florenz war auch ganz spannend. Da mussten wir für Stern TV vorher einen Einspieler produzieren im Museum Salvatore Ferragamo.
Sie haben das Kulturhauptstadtprojekt herausgehoben. Wo stoßen Sie in normalen Zeiten eher an finanzielle Grenzen, beim Personal oder bei Projekten?
Beides. Unser Museum hat ein relativ kleines Team, mit Projektstellen 15 bis 20 Personen, die wirklich bis zum Anschlag arbeiten. Und für die Ausstellungen gibt es immer ein gedeckeltes Budget. Man rechnet aus, wieviel man braucht, inklusive einer Summe für Gestaltung und Marketing. Wenn es dann etwas teurer wird, bleibt zum Schluss nur noch das Marketing, das gekürzt werden kann. Das ist immer schade.
Was können Sie sich an Werbung leisten?
Herne hat so viele schöne Ausstellungen, die es wert wären, dass man viel weitläufiger darüber erfahren sollte. Was wir haben, reicht für die Stadt Herne und ein bisschen drum herum, so dass wir Bodenkleber an drei, vier ausgewählten Bahnhöfen hinbekommen. Was nützt es, für zwei Wochen eine Werbefläche zu mieten, Werbung braucht einen Werbedruck. Bei „AufRuhr“ sind wir an die Bäcker-Innung herangetreten und haben die Bäckerei-Tüten mit dem Motiv bekleben können, das waren Millionen im Ruhrgebiet. Das war ein Glücksfall. Die Gelder für Astrid Jordans halbe Stelle, die für uns das Marketing macht, haben wir über Kulturpatenschaften eingeworben. Firmen die bereit waren, uns über mehrere Jahre die Summe x zur Verfügung zu stellen. Neue Stellen gibt es kaum.
Wie wichtig ist der Förderverein?
Ich finde: extrem wichtig. Den Förderverein in Herne hab ich als sehr lebendig erlebt. Ruth Pingel, die Vorsitzende, ist ein Energiebündel, die ihre Begeisterung nicht verbergen kann. Das sind am Thema interessierte Mitglieder, die zu Exkursionen fahren und Vorträge veranstalten. Geld vom Förderverein können wir gezielter einsetzen, als wenn es in den großen LWL-Topf geht.
Was ist ihr letzter Termin im Kalender?
Eine Abschiedsfeier mit den Kollegen im „Schichtwerk“, dem Museumscafé. Am Wochenende davor gibt es noch ein wissenschaftliches Kolloquium zum Thema Pest. Diese Tagung werden wir komplett online streamen. Das wird man bei Facebook sehen können.
Haben sie inzwischen Pläne für Ihr Mini-Sabbatical?
Ich werde nach Tibet und Nepal auf eine Tour gehen für knapp drei Wochen. Da wollte ich immer schon mal hin. In Rom und Süditalien möchte ich Freunde besuchen und einfach mal die Zeit genießen, den Kopf frei bekommen und offen sein für etwas Neues. In ein volles Gefäß passt nichts mehr rein. Deshalb muss es erst mal wieder etwas leerer werden.
>> INFO: Zur Person
Josef Mühlenbrock (50) studierte nach dem Abitur Archäologie, Alte Geschichte, Latein und Kunstgeschichte in Münster.
Mit einem Stipendium ging er 1995 nach Rom und schrieb 1997 seine Doktorarbeit über römische Architektur.
Während seines Studiums arbeitete er bei Ausgrabungen in Westfalen und als wissenschaftlicher Referent in Münster und Haltern.
2008 übernahm er die Leitung des LWL-Museums für Archäologie in Herne. Zum 1. September tritt er seine neue Stelle in Haltern als Leiter des LWL-Römermuseums an. Sein Nachfolger in Herne steht noch nicht fest.