Herne. . Graf’s Reisen feiert 90-jähriges Bestehen. Maike Graf-Thüring und Michael Thüring sprechen über die Besonderheiten eines Familienunternehmens.

Graf’s Reisen feiert in diesem Jahr runden Geburtstag. Das Familienunternehmen aus Röhlinghausen wird 90 Jahre alt. Maike Graf-Thüring und Michael Thüring, die technische Geschäftsleitung, erläutern im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann, was ein Familienunternehmen besonders macht und wie man es schafft, sich in einem umkämpften Markt zu behaupten.

Der 90. Geburtstag - empfinden Sie angesichts des Alters des Unternehmens Stolz?

Maike Graf-Thüring: Wenn man mal die Zeit hat, darüber nachzudenken, ist man schon stolz. Immerhin sind es Oma und Opa gewesen, die die Firma vor 90 Jahren gegründet haben, und der Vater sowie Onkel haben diese aufgebaut und vergrößert. Es gibt ja immer weniger Familienunternehmen.

Michael Thüring: Wenn sich ein Unternehmen 90 Jahre am Markt behauptet hat, nicht stehen bleibt, gewachsen ist mit den Jahren, sich immer allen Problemen gestellt und den Wandel in allen Bereichen gemeistert hat, dann ist das eine tolle Leistung.

Sie haben zwei Stichworte genannt: Was macht ein Familienunternehmen aus? Und wie schafft man es, 90 Jahre und länger erfolgreich am Markt zu agieren?

Maike Graf-Thüring: Beim Familienunternehmen merkt man, dass es ein stärkeres Miteinander ist. Ob mein Vater, Onkel oder Cousine, wir sind hier immer vor Ort. Es gibt nicht die extremen Hierarchien wie in anderen Firmen, jeder spricht mit jedem. Ich habe früher in anderen Unternehmen gearbeitet, da waren die Mitarbeiter teilweise nur eine Personalnummer.

Ist das langfristige Denken auch ein anderes? Es heißt ja, dass Familienunternehmen nicht in Aktienkursen, sondern in Generationen denken.

Maike Graf-Thüring: Das auf jeden Fall. Man reagiert auch schneller. Wenn man merkt, dass etwas nicht so gut funktioniert, versucht man, so schnell wie möglich Abhilfe zu schaffen. In großen Unternehmen müssen Veränderungen erst durch zig Abteilungen laufen, ehe eine Entscheidung getroffen wird.

Wie schafft man es, so lange Erfolg zu haben?

Michael Thüring: Weil man den Markt beobachtet, sich den Gegebenheiten anpasst und sich die Firma innovativ verändert.

Wo liegen Veränderungen oder auch Probleme, denen man sich stellen muss?

Michael Thüring: Wir haben seit einiger Zeit das Problem, Fahrpersonal zu bekommen. Wir könnten zum Beispiel in der Spedition noch mehr Aufträge annehmen, wenn wir mehr Fahrer hätten. Der Mangel bezieht sich auf alle Bereiche, ob Güter- oder Personenverkehr. Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, aber es hat sich nicht ausreichend verbessert. Wir könnten sofort mehrere Reisebusfahrer einstellen. Aber der Job ist nicht allzu beliebt. Die Menschen wollen abends wieder zu Hause sein und nicht mehrere Tage unterwegs in Europa sein.

Bremst der Mangel den Wachstum?

Michael Thüring: Ich glaube ja, weil viele Unternehmen im Güter- und Personenverkehr Aufträge nicht mehr annehmen können, aufgrund der Fahrersituation.

Graf’s Reisen, der Name sagt es ja schon, ist einer der großen deutschen Anbieter für Busreisen. Inwieweit hat sich dieser Markt verändert?

Michael Thüring: Durch den Fernbus ist Busfahren wieder mehr im Fokus, aber das Reisegeschäft mit dem Bus stagniert ein wenig.

Was sind die Gründe?

Michael Thüring: Ein Grund waren sicher die Anschläge. Nach den Anschlägen in München, Berlin, Brüssel oder Paris, was ja für uns alles klassische Ziele sind, gab es einen Knick, weil die Menschen Angst hatten. Das hat uns zu schaffen gemacht in den Saison 2016/17. Es gab auch einen Einbruch bei den Tagesfahrten.

Maike Graf-Thüring: Der lokale Unternehmer hängt immer auch vom Weltgeschehen ab. Paris war immer ein Renner. Aber deshalb ist es auch gut, dass wir verschiedene Geschäftsfelder haben, denn so kann man die Ausfälle etwas kompensieren. Das war immer schon ein Vorteil unserer Firma.

Inwiefern spielt das Internet eine Rolle bei den Reisebuchungen?

Michael Thüring: Heutzutage kann man sich seine Städtereise im Internet selbst zusammenstellen. Deshalb müssen wir unseren Kunden ein besseres Angebot machen. Wir können ihnen sagen: Wir fahren Sie direkt zum Hotel, Sie müssen nicht erst vom Bahnhof mit der U-Bahn fahren, wir bieten eine Stadtrundfahrt und verschiedene Ausflugsziele an. Dies ist im Preis inklusive. So müssen wir versuchen, die Kunden zu halten und neue zu gewinnen.

Erreichen Sie denn so junges Publikum?

Maike Graf-Thüring: Es hängt immer davon ab, was der Mensch will. Und davon, wie oft er im Internet daneben gegriffen hat. Es gibt Fälle, dass Menschen ihren Urlaub im Netz gebucht hatten und vor Ort merkten, dass es das Hotel gar nicht gibt. Dann ist es schon ein Unterschied, wenn man einen Ansprechpartner hat.

Michael Thüring: Deshalb stirbt das Reisebüro nicht, im Gegenteil, es kommen wieder mehr Kunden.

Gibt es eine Renaissance des Service, bei dem Kunden bei einer Reise alles Organisatorische abgenommen wird.

Michael Thüring: Das könnte in der Zukunft verstärkt der Fall sein. Es kommt auch auf die Altersklasse an. Busreisekunden sind die Menschen, die im Schnitt etwas älter sind, sie nutzen das Internet meistens nicht für Reisebuchungen.

Maike Graf-Thüring: Das ist, wie schon erwähnt, typabhängig. Wenn ich nicht gerne organisiere, buche ich lieber eine Reise, die komplett angeboten wird und suche mir nicht alles selbst zusammen.

Schauen wir mal in die Zukunft: Wo geht die Reise für das Unternehmen hin?

Michael Thüring: Im Bereich des Reiseveranstalters werden wir neue, interessante Ziele anbieten. Die Lust aufs Reisen muss zukünftig im Vordergrund stehen. Deshalb gibt es bei unserem Frühlingsfest eine Reisemesse und Reisevorträge, wo sich Spezialisten vorstellen.

Weg von den Klasssikern?

Michael Thüring: Man muss die Klassiker ein wenig umwandeln. Nur Standard funktioniert nicht mehr so gut. Man muss dem Gast etwas bieten.

Maike Graf-Thüring: Trotzdem bleiben die klassischen Ziele, weil ja immer Kunden hinzukommen. Daher müssen die Reisen immer optimiert werden.

Schauen wir auf die Zukunft des Unternehmens: Zurzeit führen die zweite und die dritte Generation das Unternehmen, wie sieht es mit der Nachfolge aus?

Maike Graf-Thüring: Die vierte Generation wächst gerade heran, aber wir müssen abwarten, wie sie sich entwickelt. Wir haben nie gesagt: Du musst unbedingt in der Firma arbeiten, denn diesen Job hier muss man lieben. Deshalb wollen wir mal abwarten. Es wäre jedoch schön, wenn uns die vierte Generation ablösen würde.

>> KLEINER BLICK IN DIE CHRONIK

Ein kleiner Blick in die lange Firmenhistorie:


1928:
Gründung mit einem Mehrzwecklaster. Zu Beginn fuhr Anton Graf Arbeiter zur Schicht zu den Chemischen Werken Hüls in Marl, Obst und Gemüse auf den Markt, an Wochenenden Ausflügler in die Heide bei Haltern.


1945: Die Wehrmacht requiriert Fahrzeuge der Firma, später legten Bombenangriffe das Unternehmen in Schutt und Asche. Der Familie blieb fast nur das nackte Leben.

1949: Mit einem neuen Reisebus startet der Fernreiseverkehr, erst nach Holland, später nach Frankreich und Italien. Ende der 50er ist das Unternehmen auf sieben Busse und drei Lkw gewachsen. Im Laufe der Jahrzehnte wird die Busflotte immer wieder erneuert und in Sachen Technik und Ausstattung auf den neuesten Stand gebracht.

1967: Mit einem Tagesausflug mit Weinprobe an die Nahe wird das Unternehmen selbst zum Busreiseveranstalter. Im Jahr 2003 stellte das Handelsblatt fest, dass Graf’s Reisen die unangefochtene Nummer Eins unter den deutschen Busreise-Veranstaltern ist. Zu diesem Zeitpunkt zählt Graf rund 270 000 Reisegäste pro Jahr. Zählt man noch Berufs-, Linien- und Schulbusverkehr hinzu, sind es pro Jahr 3,4 Millionen Passagiere.

1970-1975: Innerhalb von fünf Jahren wächst das Firmengelände in Röhlinghausen um rund 12 000 Quadratmeter, später kommt das Grundstück an der Berliner Straße hinzu.
2013: Graf’s Reisen steigt in einen neuen Wachstumsmarkt ein und fährt für den Fernbusanbieter Flixbus. Die erste Strecke, die Graf bedient, ist Köln-Berlin.