Ein Interview mit Prof Dr. Santiago Ewig vom EvK zur Diskussion um Fahrverbote. Er meint: Nicht nur auf den Diesel einschlagen.

In Wanne-Nord liegen die Stickstoffdioxid-Werte weiter über den Grenzwerten. Die Stadt will mit zahlreichen Maßnahmen aus dem Masterplan klimafreundliche Mobilität gegensteuern. Aber auch Fahrverbote sind noch möglich. Die WAZ sprach mit Prof. Dr. Santiago Ewig (58), Chefarzt am Thoraxzentrum Ruhrgebiet, Kliniken für Pneumologie und Infektiologie, evangelisches Krankenhaus Herne, rund ums Thema Stickoxide.

Wie gefährlich sind Stickoxide?

Ewig: Die Belege sind geführt für die akuten Effekte der Stickstoffdioxide (NO2) auf die Atemwege. Das ist das, was am besten gesichert ist, und zwar im Sinne einer Verschlimmerung eines Asthmas. Es gibt für die Langzweitwirkungen Hinweise für Effekte auf das Herz- Kreislaufsystem, vielleicht sogar auf die Tumorgenese, aber die sind nicht so gut gesichert. Aber immerhin sind es Hinweise, die physiologische Plausibilität haben.

Professor Santiago Ewig.
Professor Santiago Ewig. © Rainer Raffalski

Was halten Sie von Einschätzungen, dass Stickoxide jährlich zu tausenden Todesfällen führen?

Es gibt drei Einschätzungen von verschiedenen Gesellschaften. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagt, dass Aussagen in Bezug auf Folgen für die Sterblichkeit noch zu unsicher sind, um das Risiko zu beziffern. Die US-Umweltbehörde EPA sieht dieses Risiko auch nicht als ausreichend gesichert. Die europäische Umweltagentur EUA sieht das anders. Sie hat tatsächlich für Deutschland für das Jahr 2014 genau 12 860 vorzeitige Todesfälle durch NO2 geschätzt.

Unterschied, ob man im Grünen wohne oder an der A40

Wie realistisch ist das?

Ich persönlich wäre mit diesen Zahlen vorsichtig, weil es Schätzungen sind, die auf angenommenen Ursache-/Wirkungs- bzw. Konzentrations-Wirkungskurven basieren. Das muss man jedoch mit aller Vorsicht sehen. Aber ich denke, alle drei Organisationen sind sich darin einig, dass hier ein Potential für eine Gefährdung da ist, was allein schon rechtfertigt, dass etwas geschehen muss, um dieses zu reduzieren.

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Wie stark ist die Schadstoffbelastung für jemanden um die 30, der eigentlich gesund ist, viel Sport macht?

Das hängt ganz davon ab, wo er wohnt. Im Gegensatz zum Feinstaub hängt die individuelle NO2-Belastung von der Nähe zu Verkehrsknotenpunkten ab. Zudem davon, wie lange ich ihr ausgesetzt bin. Es ist ein Unterschied, ob ich im Grünen wohne oder direkt an der A40.

Was bedeutet die Belastung für einen Menschen, der gesundheitlich vorbelastet ist?

Ist man Asthmatiker, ist man gefährdet. Kinder haben ein erhöhtes Risiko, Asthma zu entwickeln. Alles andere, was NO2 angeht, bleibt noch ungeklärt, vor allem im Hinblick auf die Langzeitfolgen. Grundsätzlich gilt: NO2 alleine zu betrachten, ist problematisch. NO2 dient eher als Marker für eine übergreifende Verschmutzung mit Rußpartikeln und dergleichen. Die einzelnen Bestandteile kann man oft gar nicht genau auseinanderdividieren.

Nicht nur auf den Diesel einschlagen

Ist die aktuelle Debatte um den Diesel gerechtfertigt?

Mir persönlich erscheint es angemessen, die NO2-Problematik nicht isoliert zu sehen, sondern gemeinsam mit anderen Schadstoffexpositionen. Wir haben das Phänomen, dass die Stickoxidproblematik hauptsächlich über den Diesel kommt. Aber die Benziner, vor allem die Einspritzer, sind wesentlich problematischer im Hinblick auf Feinstaub, übrigens auch auf andere Emissionen wie CO2, die ein wenig in den Hintergrund geraten sind. Die Gesundheitsrisiken hinsichtlich Atemwegs- und Herz-Kreislauf Erkrankungen aufgrund von Feinstaub sind ja sogar gravierender und besser belegt als für NO2. Das heißt, wenn ich isoliert nur NO2 betrachte, komme ich wahrscheinlich nicht zu den richtigen Schlussfolgerungen, was im Hinblick auf Motorenausstattung und Verkehrsregulierung getan werden müsste. Das heißt politisch gesehen, dass es nicht die Lösung sein kann, nur auf den Diesel einzuschlagen.

Wird das Thema aufgebauscht?

Ja, sicherlich. Es ist ein Gesetz unserer aktuellen politischen Kultur, dass man einiges an Aufregung braucht, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das hat ja auch sein Gutes, aber man sollte die Aufregung nicht überbewerten. Wichtig ist, was als Schlussfolgerung kommt. Unsere Gesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), bemüht sich zusammen mit Toxikologen und Epidemiologen, vernünftige Einschätzungen zu liefern und die Politik entsprechend zu beraten, das Ganze also auf den rationalen Boden zurückzubringen. Es soll nicht so klingen, als wollte ich das Problem kleinreden, im Gegenteil, aber man muss es in seiner Komplexität behandeln.

Fahrverbote müssen Ausnahme bleiben

Sind Fahrverbote überhaupt sinnvoll?

Es wäre falsch zu meinen, durch Fahrverbote für Diesel sei das Problem gelöst. Abgesehen von den ganzen Problemen, die in der praktischen Umsetzung zu erwarten sind. Wer soll das Ganze kontrollieren? Wie wird es rechtlich gehandhabt? Wer bezahlt das? Das wird sich keine Politik antun. Es muss anders gehen, soweit es irgend möglich ist. Man sollte Fahrverbote auf absolute Ausnahmen beschränken, wenn sie überhaupt in Erwägung gezogen werden.

Welches Auto fahren Sie?

Einen Benziner, aber ich fühle mich damit nicht besser.

Grenzwerte für Asthmatiker wichtig

Habe ich eine Möglichkeit, mich zu schützen?

Nein, ich glaube nicht, dass das möglich ist. Vor allem nicht beim Feinstaub, weil dies eine regionale Belastung ist und man in Ballungsräumen auch im Grünen nicht davor geschützt ist. Das einzige, was man persönlich tun kann,: einiges Gewissen darauf zu verwenden, was man selbst fährt.

Das heißt, wir können nur hoffen, dass die Politik einige gute Entscheidungen trifft?

Für Asthmatiker ist besonders wichtig, dass Grenzwerte eingehalten werden. Sie wurden ja schon reduziert. Ich persönlich habe den Eindruck, dass das auf den Weg kommt. Man müsste einen ganz anderen Schwerpunkt auf den Nahverkehr legen. Ich bin häufiger in Spanien, in Barcelona. Man sieht dort, dass z.B. die Nahverkehrsanbindung durch Züge wesentlich besser klappt. Ich denke, da sind noch viele Themen, die noch nicht diskutiert wurden, weil sich im Moment alles darauf konzentriert, wie man den Motor mit seinen Emissionen gebändigt kriegt. Da sind aber noch viele andere Dinge, die in diesem Zusammenhang verkehrspolitisch dringend der Bearbeitung bedürfen.