Herne. . 1968 und die Folgejahre in Herne und Wanne-Eickel: Die WAZ startet eine Serie mit Menschen, die damals dabei waren.
Wenn der Prophet zum Volk kommt: Als Studentenführer Rudi Dutschke Anfang 1968 im Saalbau in Wanne-Eickel diskutieren wollte, hatten die Stadtväter Angst vor Randale und erteilten ein Verbot. Dutschke wich in die Stadthalle nach Wattenscheid aus, und viele junge Menschen aus Wanne-Eickel und Herne zogen ihrem Idol hinterher. Einer von ihnen war Jörg Höhfeld, der Dutschke-Besuch ist für ihn ein Symbol der 68er-Bewegung und hat ihn geprägt.
Das Schwarz-Weiß-Bild mit Rudi Dutschke, Friedrich Steffen und Johannes Rau, der später NRW-Ministerpräsident und Bundespräsident wurde, ist eines der wenigen Zeitdokumente der 68er-Bewegung im Revier, und hätte eigentlich in Wanne-Eickel entstehen sollen. Jörg Höhfeld erinnert sich: „Es war halb so wild, insgesamt eine ruhige Diskussion. Klar, am Anfang kamen ein paar Leute mit Transparenten gegen den Vietnam-Krieg in die Halle, aber dann hat der Herner Moderator Friedrich Steffen gesagt ,jetzt haben wir das ja alle gesehen, und nun rollt es mal wieder zusammen!’.“
In bleibender Erinnerung ist Höhfeld, der später für die Grünen in den Herner Stadtrat zog, das Attentat auf Rudi Dutschke rund zwei Monate nach seinem Auftritt in der Nachbarstadt: „Das war am Gründonnerstag 1968. Wir saßen in einer Kneipe und überlegten, was zu tun ist.“ Dann hätten sie eigentlich nach Essen fahren wollen, zur Sachsenstraße, wo die WAZ, aber auch die Bildzeitung damals gedruckt wurde. „Dort wollten wir demonstrieren, weil die Bildzeitung gegen Dutschke und die Studentenbewegung gehetzt hatte. Aber wir konnten kein Auto organisieren, also blieben wir hier.“
Reichlich Demo-Erfahrung
Höhfeld hatte durchaus Demo-Erfahrung, war sogar bei der Demonstration gegen den Schah-Besuch 1967 in Berlin dabei gewesen, auf der der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde. Er trat in den Sozialistischen Hochschulbund ein. „In Berlin war man mobiler. Da wäre man mit der U-Bahn zum Springerhaus gefahren, das kannte damals jeder.“
Höhfeld studierte in der damals geteilten Stadt Politologie, später in Bochum Sozialwissenschaften, was ein echter 68er so studiert. Er wollte auch den Kriegsdienst verweigern, „ich stellte einen Antrag, aber der wurde nie behandelt.“ Einen großen Einfluss habe sein Umfeld in der evangelischen Jugend auf ihn ausgeübt, „da gab es eine ganze Reihe von Leuten, die verweigerten.“ Etliche Freunde dort hätten das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht, so wie er später auch.
Der Ostermarsch
Was im Jahr 1968 für ihn im Rückblick noch wichtig war: „Auf dem Ostermarsch 68 war mehr los als sonst. Das lag wohl auch am Attentat auf Rudi Dutschke.“ Heute ist Höhfeld nicht mehr dabei: „Der Ostermarsch ist mir zu einseitig geworden. Zu den Konflikten, wo die Deutschen nicht dabei sind, wird mir zu wenig gesagt, zum Beispiel zu den russischen Bombenangriffen auf Syrien.“ Im Mai 68 war Höhfeld bei einem Marsch auf Bonn dabei: „Wir protestierten gegen die Notstandsgesetze, gegen die Einschränkung der bürgerlichen Freiheit. Und dann kam die Nachricht: in Paris ist Generalstreik.“
Der Generalstreik in Paris habe auch den deutschen Studenten die Hoffnung gegeben, dass die hiesigen Gewerkschaften zu einem politischen Streik gegen die Notstandsgesetze aufrufen. „Immerhin wurde hier das Briefgeheimnis weitestgehend ausgehebelt, Wohnungen konnten auf bloßen Verdacht hin gestürmt werden“, blickt Jörg Höhfeld auf den Mai 1968 zurück.
In die Aktionen der 68-er reihten sich auch die so genannten „Rote-Punkt-Aktionen“ ein, bei denen in zahlreichen deutschen Städten von 1968 bis 1971 gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr demonstriert wurde – auch in Bochum und Herne. Menschen setzten sich auf die Gleise und blockierten die Straßenbahnen. „1971 wollten wir eine Aktion am Buschmannshof in Wanne starten. Doch wir waren zu wenig Leute, also bliesen wir das Ganze ab“, erinnert sich Höhfeld.
Universität besetzt
Gegen den „Muff unter den Talaren“ der Universitätsprofessoren demonstrierten Studenten an den Hochschulen. „Viele Dozenten hatten ja eine nationalsozialistische Vergangenheit“, sagt Höhfeld. „In Bochum, wo ich 1968 studierte, besetzten wir Audimax und Dekanat.“ Der damalige Rektor der Uni Bochum war Kurt Biedenkopf, er galt als eher liberal. „Doch es half nichts, Biedenkopf musste die Polizei rufen, obwohl er das gar nicht wollte.“
Wie sieht Höhfeld 1968 aus der Sicht eines 72-Jährigen? „Die größten Auswirkungen gab nicht auf wirtschaftlichem, sondern auf gesellschaftlichem Gebiet. Die Gesellschaft ist offener geworden, heute kann man mit langen Haaren herumlaufen oder mit kurzen, mit Glatze oder Bart, wie man es will.“ Auch das Verhältnis zur Sexualität habe sich massiv geändert, das Schulsystem sei besser und die Erziehungsmethoden: „Die nicht-autoritäre Pädagogik hat sich durchgesetzt. Kinder haben mehr Rechte und eine eigene Persönlichkeit.“