herne. . Die Bibliothekarin hat seit 2002 die Herner Stadtbibliothek geleitet. Mit der WAZ sprach sie über moderne Büchereien und die Lust am Lesen.

Nach 41 Jahren in der Herner Stadtbibliothek gibt Karin Anlau f (65) Ende März die Leitung ab an ihre Stellvertreterin Ingrid von der Weppen. Ute Eickenbusch sprach mit ihr über die Aufgaben einer modernen Bibliothek und die Lust am Lesen.

Frau Anlauf, der Buchhandel klagt schon lange über sinkende Umsätze. Ist die Krise auch in den Stadt-Bibliotheken angekommen?

Karin Anlauf: Die Ausleihzahlen sind zwar gesunken, aber ich denke, das ist nicht darauf zurückzuführen, dass das Lesen von Büchern nicht mehr den Stellenwert hat. Vielmehr sind die Interessen der Bibliothekskunden heute breiter gefächert. Internet und andere Medien nehmen größeren Raum ein. Die Bibliotheken sind heute auch Lernort und Aufenthaltsort. Wir haben viele Zeitungs- und Zeitschriftenleser, die vor Ort lesen und gar nichts entleihen. Die Besucherzahlen sind konstant, sogar leicht steigend.

Was macht Bibliotheken attraktiv?

Wir haben eine aktuelle Medienvielfalt, bieten einen frei zugänglichen Lernort, einen Ort an dem Begegnung stattfindet, sind Informationsdienstleister. Der Bibliothekskunde findet bei uns nicht nur Bestseller, sondern auch ältere Titel und Klassiker. Augenfällig ist das, wenn etwa der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen wird. Wir haben die Bücher der Autoren im Bestand, während die Verlage sie erst neu auflegen müssen. Der Medienwandel wird von den Bibliotheken immer mitvollzogen. Die neue Herausforderung sind seit 2012 die digitalen Medien. Sie machen 6,5 Prozent der Gesamtausleihe aus.

Haben Sie das so erwartet?

Die digital Ausleihe geht ins sechste Jahr: Bibliothekar Torsten Hachtel und Bibliotheksleiterin Karin Anlauf.
Die digital Ausleihe geht ins sechste Jahr: Bibliothekar Torsten Hachtel und Bibliotheksleiterin Karin Anlauf. © Ralph Bodemer

Prognostiziert wurde mehr. Und dass das gedruckte Buch ein Auslaufmodell ist, aber das stimmt nicht. Wir haben auch junge Leute, denen ich ein E-Book vorschlage, wenn ein Buch gerade ausgeliehen ist, und die sagen: Nein, ich habe lieber ein Buch in der Hand.

Sind digitale Medien preiswerter für die Bibliotheken?

Nein. Ein Buch hat eine Laufzeit von etwa acht Jahren, dann ist es verschlissen. Da die digitalen Medien nicht verschleißen, sagen viele Verlage: Die Lizenz, die die Bibliothek gekauft hat, erlischt nach ein oder zwei Jahren. Will die Bibliothek das Buch weiter anbieten, muss sie die Lizenz erneut erwerben. Neu sind die Überlegungen der Verlage, die Lizenzen nicht am Erstverkaufstag anzubieten, sondern erst verspätet nach einem halben Jahr oder einem Jahr. Dadurch leidet dann die Aktualität.

Wie kriegt man raus, was die Leute lesen wollen?

Die Lektoren beobachten die Bestsellerlisten, den aktuellen Buchmarkt, die Trends und werten die Ausleihstatistiken aus. Besonders aktuell ist unser Bestseller-Angebot. Sobald die neue Spiegel-Liste erscheint, kaufen wir die Titel, so dass sie gleich entliehen werden können.

Woran orientiert man sich noch?

Unsere Kunden können Wünsche äußern, die Fachkollegen verfolgen Literatursendungen im Fernsehen, werten Buchhandelskataloge aus, lesen Buchkritiken.

Welchen Auftrag hat eine Bibliothek über die Ausleihe hinaus?

Fans des SommerLeseClubs im vergangenen Jahr: Marina (l.) und Vivian.
Fans des SommerLeseClubs im vergangenen Jahr: Marina (l.) und Vivian. © Ralph Bodemer

Uns ist die Leseförderung sehr wichtig. Wir beteiligen uns an den Landesprojekten SommerLese-Club und JuniorLeseClub, und das sehr erfolgreich. Wir bieten Autorenbegegnungen, das ist auf jeden Fall motivierend für die Kinder, selbst zum Buch zu greifen. Es finden regelmäßige Vorlesestunden und Bilderbuchkinos statt. Das ist unser gesellschaftspolitischer Auftrag: Den Zugang zu unserem Angebot Kindern und Jugendlichen möglichst kostenlos zu gewähren.

Was können Sie Schülern anbieten?

Wir sind Bildungspartner für die Schulen und stellen zum Beispiel Themenkisten und Klassensätze für den Unterricht bereit. Außerdem führen wir in die Bibliotheksbenutzung ein. Wir machen fit für Facharbeiten und Referate. Viele Schüler treffen sich auch am Nachmittag in Lerngruppen und bereiten sich zum Beispiel auf das Abitur vor. 179 Arbeitsplätze gibt es insgesamt.

Wofür würden Sie als Bibliothek Geld ausgeben, wenn Sie mehr davon hätten?

Das Schönste wäre, wenn man zusammen mit Architekten noch einmal neu planen könnte. Wir sind ja auch durch die Räumlichkeiten in unseren Möglichkeiten eingeschränkt. Die Stadtbibliothek Köln hat im Eingangsbereich einen sogenannten „Makerspace“ mit 3D-Druckern, iPads etc. eingerichtet, wo Bürgerinnen und Bürger neue Technologien ausprobieren und erlernen können. Uns fehlt auch ein großer Veranstaltungsraum, ein Lesecafé. Im niederländischen oder dänischen Bibliothekswesen ist die Bibliothek lebendiger Mittelpunkt der Gemeinde, das drückt sich auch in modernen Bauten aus. Das sind so Visionen.

Zurück zum Lesen. Viele junge Leute lesen ja keine Literatur mehr. Warum lohnt es sich, einen Roman in die Hand zu nehmen?

In meiner Lesebiografie hat die Stadtbibliothek Duisburg eine wichtige Rolle gespielt. Ich lese Erzählungen und Romane, seit ich mich mit zehn Jahren in Duisburg-Bergheim angemeldet habe, und das hat nie aufgehört. Das Lesen eines Romans setzt die Fantasie in Gang, es findet ein eigenes Kino im Kopf statt, es werden Emotionen geweckt. Nach dem „Leseknick“ im Alter von zehn bis zwölf Jahren, können junge Menschen aber durchaus wieder zu Lesern werden, wenn sie ein Thema berührt.

Ein eindeutiges Plädoyer für das Lesen also?

Für mich persönlich schon, aber ich habe kein Rezept. Lesen ist für mich das Ein- und Abtauchen in andere Welten, um etwas über andere Gesellschaften oder auch Religionen zu erfahren, um den Erfahrungshorizont zu erweitern. Anders als beim Film kann ich das Tempo beim Lesen selbst bestimmen.

Was planen Sie für den Ruhestand – außer Lesen?

Ich habe immer gerne gearbeitet. Bibliothekarin war mein Traumberuf. Was ich genieße, ist, dass ich Zeit habe. Auch die Zeit, alles auf mich zukommen zu lassen. Vermissen werde ich die Kollegen. Aber die sehen mich auf der anderen Seite der Informationstheke wieder.

>>> Zur Person

Karin Anlauf (65) ist in Duisburg aufgewachsen.

An der Fachhochschule Köln schloss sie ihr Studium als Diplom-Bibliothekarin ab.

In der Stadtbibliothek Herne ist Karin Anlauf seit dem 1. Februar 1977 beschäftigt.

Sie war zunächst Leiterin der Kinder- und Jugendbibliothek, bevor sie 1985 die Leitung der Wanner Stadtbibliothek übernahm.

1992 wurde sie in Herne stellvertretende Bibliotheksleiterin. Seit 2002 ist sie Leiterin.

Karin Anlauf wohnt mit ihrem Lebenspartner in Herne-Mitte.

>>> STADTBIBLIOTHEK IN ZAHLEN

207 594 Besuche in den drei Einrichtungen inklusive Bücherbus, Veranstaltungen und Einführungen.

4 560 Stunden hatten die Bibliotheken 2017 geöffnet hatten. Pro Öffnungsstunde ergeben sich durchschnittlich 45,5 Besuche.

94 832 virtuelle Besuche

9730 Personen wurden erreicht bei 320 Veranstaltungen

4 348 Personen nahmen an 201 Einführungen in die Bibliotheksbenutzung teil

20 611 aktive Bibliotheksausweise existierten 2017. Rechnerisch haben damit 12,8 Prozent der Bevölkerung einen Ausweis. „Die tatsächliche Nutzerzahl liegt jedoch höher, da viele Familien, Paare, Vertreter von Schulen und anderen Institutionen auf einen Bibliotheksausweis ausleihen“, so die Stadtbibliothek.