Herne. . Senioren sprechen mit Cranger Realschülern über den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. Die Jugendlichen hören sehr aufmerksam zu.

Gebannt lauschen die Jugendlichen der Realschule Crange, als sich Gerhard Uhle zu ihnen setzt. „Man muss sich das einmal vorstellen: Mein Vater hat damals nur heimlich Radio gehört und zog dazu noch die Decke über den Kopf“. Es ist eine von vielen Erinnerungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die dem gebürtigen Bochumer im Gedächtnis geblieben sind. Gerhard Uhle gehört zu den Senioren, die sich am Mittwoch im Zuge des Zeitzeugenprojektes mit Schülern der zehnten Realschulklassen unterhielten.

Was er vor 1945 nicht verstand, wurde ihm am Ende des Zweiten Weltkrieges erst klar: Hätten die Nazi-Schergen mitbekommen, dass sein Vater ausländische Sender hörte, „wäre er verhaftet worden“. Erlebnisse wie diese haben ihn geformt. „Ich bin Demokrat, gehöre einer Partei an, auch wenn ich nicht mit allen Entscheidungen einverstanden bin“. Eindringlich appelliert er an die Jugendlichen, dass auch sie sich in einer demokratischen Partei engagieren.

Aufarbeitung ließ zu wünschen übrig

Zeitzeugen berichten „von früher“. Im Bild: Ernst Köpke.
Zeitzeugen berichten „von früher“. Im Bild: Ernst Köpke. © Bastian Haumann

Ernst Köpke, 85 Jahre alt und in Schlesien geboren, spricht offen an, dass die geschichtliche Aufarbeitung der NS-Zeit in seiner Schulzeit, Anfang der 50er-Jahre, zu wünschen übrig ließ. „Geschichte hörte bei uns mit dem Ersten Weltkrieg auf“. Der Zeitzeuge geht auch darauf ein, dass es ganz in der Nähe seines Heimatdorfes ein KZ gegeben habe, die Nazis hätten auch Gefangene durch das Dorf geführt. Doch durch die Propaganda, dass es sich angeblich um Verbrecher handele, habe man gerade als Kind solchen Aussagen Glauben geschenkt.

Ob er denn eigentlich auch jüdische Mitbürger gekannt habe, wollen Schüler von einem weiteren Zeitzeugen wissen. Sie erfahren, dass es durchaus Kontakte gab. Die Nazis hätten es aber durch die Aufrufe, jüdische Geschäfte zu boykottieren, und vor allem auch aufgrund ihres gewaltsamen Auftretens geschafft, die Bevölkerung einzuschüchtern. Die jüdischen Mitbürger seien immer mehr ausgegrenzt worden.

Flucht wegen ständiger Bombenangriffe

Die Nazis schufen einen streng hierarchisch organisierten Staat, erläuterte Ernst Köpke. Und Reinhold Krohm (86) berichtete, dass man als junger Mensch eigentlich keine Wahl hatte als der Hitler-Jugend beizutreten. Geschickt habe es das Regime geschafft, durch Fahrten und Wanderungen ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen.

Ganz still werden die Jugendlichen, als Krohm schildert, wie er später, als das Ruhrgebiet ständig zum Ziel von Bombenangriffen wurde, nach Mecklenburg kam - mit vielen anderen Kindern und deren Müttern. Am Ende des Krieges „sind wir von dort wieder geflohen“. Die Bilder von Menschen, die auf der Flucht starben, sind ihm heute noch vor Augen.

Schüler zeigen sich beeindruckt

„Es war für mich sehr beeindruckend, wie die Zeitzeugen als Kinder oder Jugendliche die NS-Zeit erlebt haben und wie sie heute darüber denken“, sagte Simsar Berkan nach dem Treffen in der Aula der Realschule Crange. Für Sarah Hoffmann war es „sehr wichtig, aus erster Hand zu erfahren, wie es damals wirklich war“.


    Johannes Haase
   Johannes Haase © TK

Genau diese Bedeutung hatte auch Organisator Horst Spieckermann (76) zum Auftakt der Zusammenkunft herausgestellt. Schulbücher könnten Daten, Fakten und Kommentare liefern, aber wie es im Alltag zuging, das komme dort nicht wirklich zur Sprache. Die Realität der damaligen Zeit zu vermitteln, das sei schon von Anfang an Ziel der Zeitzeugen-Reihe gewesen, unterstrich Schulleiter Reiner Jorczik. Mittlerweile habe man das Projekt zum elften Mal seit dem Jahr 2008 auf die Beine gestellt.

Die beiden Geschichtslehrerinnen Yeliz Yilmaz und Pia Klems berichteten, dass das Thema Nationalsozialismus, Entstehung und Ideologie bei den Jugendlichen sehr gefragt sei. Eingehend habe man auch über die Ursachen der Judenverfolgung gesprochen. Für Luisa Plischka (16) waren die Zeitzeugenberichte hilfreich, um zu verstehen, wie die Nazis jüdische Mitbürger immer mehr ausgegrenzt haben.

Johannes Haase ist sehr bewusst geworden, wie sehr die Menschen in damaliger Zeit gelitten haben.