Herne. . Auch wenn alle Kitaplatz in Herne belegt sind, versprechen Stadt und Politik: Wir lassen keine Familie im Regen stehen. Ein Interview.
Die WAZ berichtete in dieser Woche im überregionalen Teil über riesengroße Probleme, einen Kita-Platz zu finden. Mit der zuständigen Dezernentin Gudrun Thierhoff und dem Vorsitzenden des Ausschusses für Kinder, Jugend, Familie, Ulrich Klonki (SPD), sprach WAZ-Redakteurin Gabriele Heimeier über die aktuelle Situation in Herne.
Wie sieht es zum 1. August, dem Beginn des Kindergartenjahres, mit dem Platzangebot aus?
Thierhoff: Zum Stichtag haben wir im Bereich der Kinder unter drei Jahren eine Versorgungsquote von knapp 33 Prozent, für Kinder über drei Jahren liegen wir bei 98 Prozent.
Klonki: Das sah zum Beispiel 2016 anders aus. Da hatten wir für Kinder über drei Jahren eine Versorgungsquote von 103 Prozent. Wir haben jetzt das Phänomen, dass die Quote sinkt, obwohl wir permanent bauen und die Platzzahl steigt.
Thierhoff: Das liegt daran, dass wir schlicht mehr Kinder haben, durch steigende Geburtenzahlen, Zuzüge und Zuwanderung. Hinzu kommt, dass Eltern ihre Kinder zunehmend eher in die Kita geben, weil sie möchten, dass sie möglichst früh gefördert werden. Das ist auch gut so.
Wie steht es um die Versorgungsquote in den Stadtteilen? Ist es irgendwo besonders eng, gibt es an anderen Stellen Luft?
Klonki: Das lässt sich nicht so einfach sagen. Da muss man genau in die Kita-Bezirke sehen. Wir bauen zum Beispiel eine Kita in der Mont-Cenis-Straße 144. Diese Kita kommt aber eher Herne-Mitte zugute, obwohl sie im Stadtbezirk Sodingen liegt.
Thierhoff: Wir haben momentan in den Einrichtungen, das muss man sagen, keine Plätze frei, wohl aber in der Tagespflege.
Die Tagespflege bei Tageseltern, sei es bei ihnen zu Hause, in Pflegenestern, Kleinen Kitas oder Großpflegestellen wird in Herne gleichrangig zum Kita-Platz eingestuft. Sehen die Eltern das auch so?
Thierhoff: Manche Eltern haben Hemmungen, ihre Kinder in die Tagespflege zu geben. Ich finde das sehr bedauerlich. Vielleicht liegt das einfach daran, dass viele nicht wissen, dass sie keinen Cent mehr in der Tagespflege bezahlen als in der Kita.
Klonki: Die Tageseltern sind alle ausgebildet und qualifiziert. Sie bieten die gleiche räumliche Ausstattung und den gleichen Personalschlüssel wie die Kindertagesstätten.
Die Stadt hat vor einigen Jahren erhoben, dass 42 Prozent der Eltern einen Platz für ein Kind unter drei Jahren wünschen. Hat dieser Wert Bestand?
Thierhoff: Es kann sein, dass er heute höher liegt, auch wegen der Berufstätigkeit von Frauen. Für uns bietet der Wert eine gute Orientierung bei der Planung.
Klonki: Für die Politik ist das keine Zielmarke. Ich bin erst zufrieden, wenn wir in jedem Stadtbezirk fünf Plätze frei haben. Dann haben wir genug gebaut. Egal, ob das bei 42 Prozent Versorgungsquote der Fall ist, bei mehr oder weniger. Im übrigen: Es wird immer von Kindern im Alter von null bis drei Jahren gesprochen. Das trifft die Realität nicht. Es sind nur sechs bis sieben Prozent der Kinder bis zu einem Jahr in der Betreuung, 25 Prozent der Ein- bis Zweijährigen, aber deutlich über 55 Prozent der Zwei- bis Dreijährigen. Deshalb plädiere ich für mehr Gruppen für Zwei- bis Sechsjährige.
Seit einigen Jahren gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Hat es in Herne schon mal Klagen gegeben?
Thierhoff: Bisher keine einzige.
Klonki: Alle Träger haben großes Verständnis für Notsituationen. Hier wird keine Familie im Regen stehen gelassen. Für Kinder, die ein Jahr vor der Einschulung stehen, finden wir immer eine Lösung.
Thierhoff: Jugendamt und die Kita-Träger sehen dann gemeinsam, wo es möglich ist, eine Gruppe aufzustocken. Für ein Kind, das kurz vor der Einschulung steht, ist ein Kita-Besuch allein wegen der Gruppenerfahrung völlig unverzichtbar.
Nach welchen Kriterien werden Kita-Plätze vergeben? Macht jeder Träger, was er will?
Thierhoff: Jeder Träger hat eigene Auswahlkriterien. Es ist mit den Trägern verabredet, dass sie soziale Aspekte berücksichtigen wie ,alleinerziehend’ oder ,berufstätig’. Grundsätzlich soll die Belegung in den Kitas die Zusammensetzung des Umfelds widerspiegeln. Dazu haben wir auch Controlling-Instrumente eingerichtet.
Klonki: Die Gesprächsbereitschaft der Träger ist gestiegen, als wir mal durchblicken ließen, dass wir uns die Zuschussvergabe ansehen könnten. Wer 100 Prozent öffentliche Zuschüsse bekommt, muss sich auch an Spielregeln halten.
Thierhoff: Wir alle sind für das Funktionieren der Stadtgesellschaft zuständig und verantwortlich. Auch freie Träger. Das funktioniert in Herne aber sehr gut und verlässlich.
Gibt es mittlerweile ein zentrales Anmeldeverfahren?
Thierhoff: Noch nicht, aber wir wollen ein online-Verfahren einrichten.
Klonki: Bis 2019/20 soll das zentral laufen. Dann können wir Doppelanmeldungen vermeiden. Außerdem möchten wir künftig bei den Hausbesuchen von Eltern Neugeborener sofort das Interesse an einem Kita-Platz erfragen. Das wird dann entsprechend festgehalten. Wir möchten eigentlich, dass jedes Kind ab zwei Jahren eine Kindertagesstätte besucht.
Was sagt der Kämmerer dazu, wenn Sie ständig neue Kitas bauen?
Thierhoff: Wir machen das schon abgestimmt. Und: Es gibt den Rechtsanspruch auf einen Platz.
Klonki: Darüber hat es hier nie Diskussionen gegeben – egal, bei welchem Kämmerer.
Viele Träger klagen, dass sie kein Personal mehr finden . . .
Klonki: Das ist bei den städtischen Einrichtungen bislang kein Problem. Da sind wir schon etwas privilegiert. Aber: Am Emschertal-Berufskolleg konnten zum zweiten Mal in Folge nur zwei statt drei Eingangsklassen für die Ausbildung zu Erzieherinnen und Erziehern gebildet werden, weil Lehrer fehlen. Aber die neu ausgebildeten Kräfte fehlen uns natürlich auch. Und mache entscheiden sich nach der Ausbildung noch für ein Studium.
In dem überregionalen WAZ-Artikel war zu lesen, dass Eltern erhebliche Vorleistungen erbringen müssen, um einen Kita-Platz zu bekommen. Ist Ihnen so etwas in Herne bekannt?
Thierhoff: Nein, in keiner einzigen Einrichtung.
Klonki: Nein, nein, nein.
Hat die Stadt etwas von der einmaligen 500-Millionen-Euro-Finanzspritze des Landes bekommen?
Thierhoff: Ja, haben wir. Wir haben knapp 4,5 Millionen Euro für alle Träger bekommen, für die Stadt sind das für die Jahre 2016/17/18 zusammen 1,3 Millionen Euro. Das werden wir in die Digitalisierung der Kitas stecken. Da hinken wir völlig hinterher. Wir brauchen WLAN, schnellere Datenleitungen, Notebooks, Tablets ...
Klonki: ... manche Erzieherinnen machen diese Arbeiten von zu Hause aus, weil das schneller geht.
Thierhoff: Jeder Träger kann aber selbst entscheiden, was er mit dem Geld macht. Es ist auch eher als eine Art Überbrückungsgeld zu sehen, bis das neue Kibiz, das Kinderbildungsgesetzt, kommt.
Was erwarten Sie außer dieser Finanzspritze von Land und Bund?
Klonki: Zum Beispiel, dass Eltern keinen Beitrag fürs Mittagessen zahlen müssen; das gehört einfach dazu. Und wir müssen Kitas dort bauen können, wo die Menschen leben. Die Grundstückspreise werden zunehmend zum Problem.
Thierhoff: Das neue Kibiz muss eine auskömmliche Finanzierung garantieren. Zum Beispiel auch für einen Vertretungspool, damit Krankheitsausfälle und ähnliches abgedeckt werden können. Und: Wir brauchen einheitliche Elternbeiträge. Es kann nicht sein, dass überall andere Beiträge oder auch gar keine erhoben werden.
>> STADT STELLT AUSBAUPROGRAMM VOR
In der Herner Kita-Landschaft ist in den vergangenen Jahren einiges in Bewegung kommen.
Gab es früher neben der Stadt im wesentlichen Einrichtungen der evangelischen und katholischen Kirche, der Lebenshilfe, den Hiberniakindergarten, die Makita und einige Elterninitiativen, so sind jetzt freie Träger wie die Arbeiterwohlfahrt (Awo) und Plan B dazu gekommen.
In der Sitzung des Ausschusses für Kinder, Jugend, Familie am Dienstag, 20. März, 16 Uhr, großer Saal im Rathaus Herne, stellt die Stadt das Ausbauprogramm für die nächsten Jahre vor. Die Sitzung ist öffentlich.