Mit neuen Püress will das Herner Marien Hospital Menschen mit Schluckbeschwerden wieder Appetit machen. WAZ-Leser durften kosten – und staunten.

Blaue Wurst? Schwarzer Fisch? Was ist das denn? Fragend sehen sich Monika Träger, Bärbel Laftsidis und Sascha Suer an. Auch Suvad Memovic, Chefkoch der „Guten Stube“ (früher: Parkrestaurant), ist irritiert. Und vor allem: Die Lebensmittel sehen nicht nur farblich anders aus als gewohnt, sie schmecken auch völlig anders.

Senioren häufig betroffen

Das Quartett ist zum Testessen ins Herner Marien Hospital gekommen. Dabei geht es jedoch nicht um Gerichte, die die Patienten normalerweise am Hölkeskampring serviert bekommen, sondern um neu entwickelte Spezialangebote für Menschen mit Schluckbeschwerden. Davon sind vor allem Senioren betroffen, häufig als Folge neurologischer Erkrankungen wie Parkinson, Demenz und Schlaganfällen. Ein „Verschlucken“ ist für sie nicht nur unangenehm, sondern kann lebensbedrohlich sein, wenn der Speisebrei nicht in der Speiseröhre und im Magen landet, sondern in den Atemwegen und eine Lungenentzündung verursacht. Deshalb bekommen diese Patienten Spezialnahrung – meistens wenig appetitlichen, mehr oder weniger flüssigen Brei - freundlicher formuliert: Püree.

Sieht aus wie Möhren, riecht wie Möhren, schmeckt wie Möhren, konnte sich Monika Träger überzeugen.
Sieht aus wie Möhren, riecht wie Möhren, schmeckt wie Möhren, konnte sich Monika Träger überzeugen.

Ein halbes Jahr getüftelt

„Wer eh schon Probleme mit dem Essen und Trinken hat, nimmt freiwillig dann gar nichts mehr zu sich“, weiß Prof. Rainer Wirth. Der Direktor der Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation des Herner Marien Hospitals und sein Team haben sich deshalb mit den Köchen des Krankenhauses zusammengetan und ein halbes Jahr lang getüftelt und probiert, wie sich das Püree alternativ zubereiten lässt - indem es wieder in eine Form gebracht wird, die dem ursprünglichen Lebensmittel entspricht: Was wie Brokkoli riecht und schmeckt, sieht auch wie Brokkoli aus. Mit der Verwirrung durch die „blaue Wurst“ und den „schwarzen Fisch“ wollten die Köche den Testern deutlich machen, „welch großen Einfluss das Aussehen auf den Essgenuss hat“, schmunzelt Ramin Homayouni, Chefkoch der St. Elisabeth Gruppe. Das ist ihnen gründlich gelungen: Selbst Profi Suvad Memovic muss bei den Fake-Lebensmitteln passen.

Anfangs etwas skeptisch: Sascha Suer und Bärbel Laftsidis.
Anfangs etwas skeptisch: Sascha Suer und Bärbel Laftsidis.

Nach dieser Erfahrung hellen sich die Gesichter der Testesser auf, als sie die Lebensmittel in der richtigen Kombination serviert bekommen: „Das schmeckt wirklich gut und intensiv“, lobt Suvad Memovic. Sascha Suer nickt. Er ist zu dem Test gekommen, weil seine Oma einen Knick in der Speiseröhre hat und deshalb manchmal mit Schluckproblemen kämpft. „Ich wollte wissen, was sie eventuell alternativ essen kann“, sagt er. Die beiden Testerinnen bleiben skeptischer. Vor allem Monika Träger geht ihre Proben zögerlich an. „Man kann’s essen“ sagt sie, stimmt aber Bärbel Laftsidis zu: „Wenn man nicht richtig schlucken kann, ist das ganz bestimmt eine gute Alternative zu patschigem Brei auf dem Teller.“

Geschmacksneutrales Bindemittel gefunden

Lange haben die Köche der Elisabeth Gruppe gebraucht, bis sie etwas gefunden hatten, was das unterschiedlich fein Pürierte in Form hält, die Farbe nicht verändert, hitzebeständig und vor allem geschmacksneutral ist. Sie fanden schließlich ein Bindemittel, das aus einer Rinde hergestellt wird. Die fertig zubereiteten Lebensmittel werden nun püriert, mit dem Bindemittel angedickt, wie beim Plätzchen backen in spezielle Silikonformen gegeben und dann 24 Stunden gefroren. Danach lassen sie sich wie gewünscht wieder erhitzen und servieren. Einhelligen Beifall gibt es für die ebenfalls für die Patienten im Marien Hospital kreierten „Smoothies“: Sie sind nicht nur der Renner auf der Geriatrie, sondern auch in der Mitarbeiter-Kantine.

Ramin Homayouni (l.) und Suvad Memovic probieren eine der Vorspeisen.
Ramin Homayouni (l.) und Suvad Memovic probieren eine der Vorspeisen.

Neben der erhofften größeren Akzeptanz der pürierten Lebensmittel durch die neue Produktionsweise – bei den Gemüsen klappt das schon -- gebe es noch etliche weitere Vorteile, erklärt Prof. Rainer Wirth. „Wir wissen genau, was in den Gerichten an Zutaten und Nährstoffen enthalten ist“, sagt er. So enthalte gekaufte Ware häufig nur 30 bis 40 Prozent des eigentlichen Rohstoffs, dafür aber jede Menge Hühnerklar für die Bindung. Das allein sei schon für Allergiker schädlich. Die selbst produzierten Pürees enthielten dagegen einen Anteil von 70 Prozent Rohstoff. Außerdem ließen sich die Pürees durch die eigene Herstellung individuell auf die Patienten abstimmen und könnten bei Bedarf noch mit weiteren Nährstoffen angereichert werden. Denn durch die geringen Mengen, die alte Menschen äßen, gerieten sie schnell in eine Unterversorgung, so Prof. Wirth.

Am Mittwoch, 21. März, 17 Uhr, findet im Marien Hospital Herne eine Patientenveranstaltung zum Thema „Wenn das Schlucken zum Problem wird“ statt.