Herne. Angelina Weiß sitzt seit Jahren im Rollstuhl. Ihre Mutter hält einen Impfschaden für den Grund. Das LWL-Versorgungsamt möchte aber nicht zahlen.
Als ihre anderthalbjährige Tochter nach der letzten Impfung tagelang schreit, wird Mary Weiß unruhig. Was ist los mit der sonst so lebensfrohen Angelina? Dann hört das Weinen plötzlich auf, doch ihr Mädchen scheint wie ausgewechselt. Die Kleine wirkte apathisch. „Man konnte sie gar nicht mehr ansprechen. Irgendetwas war komisch.“
Knapp 17 Jahre später sitzt Angelina in der Sodinger Wohnung im Elektro-Rollstuhl. Die junge Frau schmust mit ihrem Meerschweinchen, erholt sich zuhause von einer Lugenentzündung – wieder einmal. Die Schwerbehinderte ist schwach, bekommt schwer Luft. Ihr Lachen hat sie nicht verloren. Therapiehund Benni springt um sie herum, leckt ihr durchs Gesicht. „Benni, nicht!“
Richter halten Beweise für nicht ausreichend
Auf dem Wohnzimmertisch liegen dicke Stapel Papier. Ihre Mutter bereitet eine weitere Klage vor. Sie hält es für erwiesen, dass ihre Tochter wegen eines Impfschadens schwerbehindert ist. Mary Weiß hat bereits das Versorgungsamt des LWL verklagt. Das versorgt Menschen mit anerkannten Impfschäden mit einer lebenslangen Rente. Doch Mary Weiß verlor in zweiter Instanz.
Die Richter urteilten, dass die Beweise nicht ausreichten, hatten Ärzte bei Angelina schließlich auch einen Gendefekt diagnostiziert. Der hat ganz ähnliche Symptome. Die junge Frau kann nicht richtig sitzen, laufen schon gar nicht. Das Atmen fällt ihr schwer. Doch warum es ihr so schlecht geht, ist offiziell nicht geklärt.
Junge Frau braucht viel Hilfe
Der LWL äußert sich gegenüber der Redaktion deutlich: Ein Impfschaden sei nicht erwiesen. „Wir können keine Rente bezahlen“, sagt ein Sprecher. Ein Gutachten sieht das anders: „Eine genetische Auffälligkeit schließt eine Impfreaktion nicht aus“, heißt es. Und einige Symptome passen laut Gutachter ebenfalls nicht zu einem Gendefekt.
Doch vor Gericht hatte die 44-Jährige damit keine Chance. Auf Gutachten folgte Gegengutachten. „Dabei will ich doch nur, dass Angelina versorgt ist.“ Laut Mary Weiß sind schon viele Fehler passiert. „In einem Gutachten stimmen nicht einmal die Geburtsdaten.“
Angelina arbeitet in einer Behindertenwerkstatt
Rückblick: In den Jahren nach der Fünffach-Impfung sei es mit ihrem Mädchen schubweise bergab gegangen. „Mit sechs Monaten konnten sie laufen“, sagt Mary Weiß und zeigt ein Bild aus besseren Zeiten. „Dann wurde es schlechter. Und alle haben weggeschaut.“ Die 44-Jährige fängt an zu weinen. „Man hat mir gesagt, dass sie das Erwachsenenalter nicht erreichen wird.“
Die 18-Jährige braucht heute viel Hilfe. „Bei jeder Erkältung schlafe ich vor ihrem Bett“, sagt ihre Mutter. 24 Stunden ist sie bei ihrer Tochter. „Arbeiten kann ich nicht mehr.“ Angelina selber arbeitet seit einigen Monaten in einer Behindertenwerkstatt. Da gefällt es ihr gut – auch wenn sie wegen ihrer zahlreichen Krankheiten nur selten da ist. Wie es weitergehen soll, weiß das Mutter-Tochter-Duo nicht. Mary Weiß kämpft weiter. „Ich will doch nur das, was mir zusteht.“
>>>Info: Gendefekt HMSN
Der Gendefekt, der bei Angelina Weiß festgestellt wurde, nennt sich HMSN und steht für erbliche, die Bewegungs- und Empfindungsnerven betreffende Krankheiten. Zunächst entwickelt sich ein Muskelschwund an den Füßen. Die Symptome steigen an den Unterschenkeln auf, betreffen später Hände und Unterarme.