herne. . Bei der Gedenkveranstaltung der Stadt forderte OB Dudda zum Engagement für eine offene Gesellschaft auf. Es gab noch weitere Veranstaltungen.
- Im Gedenken an die Pogromnacht fanden in Herne und Wanne-Eickel verschiedene Veranstaltungen statt
- OB Frank Dudda forderte am Standort der ehemaligen Synagoge an der Langekampstraße eine offene Gesellschaft
- Schüler und Gewerkschaften legten Kranz am Shoah-Mahnmal nieder und hielten Schweigeminute ab
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in Deutschland jüdische Geschäfte und Gotteshäuser in Brand gesteckt – so auch in Herne und Wanne-Eickel. Im Stadtgebiet gab es am Donnerstag Gedenkveranstaltungen. So gedachten Schüler der Erich-Fried-Gesamtschule mit dem DGB und Verdi am Shoah-Mahnmal und die Grünen am Standort der ehemaligen Synagoge an der Schaeferstraße der Opfer. Die offizielle Kundgebung der Stadt fand am Standort der ehemaligen Synagoge an der Langekampstraße in Wanne-Eickel statt.
Musik aus den Synagogen-Melodien
„Rat und Verwaltung der Stadt Herne / Zum Gedenken“ steht auf den Bändern des Blumenkranzes, der vor der Gedenktafel liegt. Der Platz ist gut gefüllt, die Polizei hat die Straße abgesperrt. Gregor Beckemeier und Wolfhard Hupperts, Musiklehrer der Gesamtschule Wanne-Eickel, sorgen für die musikalische Gestaltung.
„Wir suchen Stücke, die für den Anlass angemessen sind“, erklärt Beckemeier. Das erste Stück stammt aus den Synagogen-Melodien von Louis Lewandowski. „Die Stücke sind eigentlich für Orgel konzipiert, wir haben sie für Querflöte und Gitarre umgeschrieben.“
Das Erbe des Nationalsozialismus
Nach dem Musikstück ergreift Oberbürgermeister Frank Dudda das Wort: „Die Pogromnacht steht für den Übergang zum systematischen Massenmord an Millionen Menschen in ganz Europa“, sagt er. Er erinnert an die Gräueltaten und auch daran, dass viele Bürger damals nicht nur weggesehen, sondern gejubelt haben, als die Synagogen brannten. „Heute schämen wir uns dafür.“
Der OB macht deutlich, dass der Standort der ehemaligen Synagoge ein Erinnerungsort ist, der nachdenklich machen soll. „Es ist unsere Aufgabe, uns mit dem Erbe des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen“, fordert er. Dazu zähle die Unterstützung von Projekten wie „Zweitzeug*innen.“ Dudda will ein deutliches Zeichen setzen gegen Fremdenhass und Faschismus, gegen Zerstörung und Gewalt. Im Hinblick auf die Ergebnisse der letzten Wahlen fordert er: „Gemeinsam müssen wir uns dafür engagieren, dass die Menschen keine Angst vor Neuem und Fremden haben. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Hass und Intoleranz in unserer Gesellschaft verbreiten.“
Verbindung zum jüdischen Leben
Das zweite Musikstück „Palaces of time“ stammt von der amerikanisch-jüdischen Songwriterin Basya Schechter. „Mir ist wichtig, die Verbindung zum jüdischen Leben heute herzustellen“, sagt Gregor Beckemeier. „Und zu zeigen, was uns an jüdischer Kultur entgeht.“ Die Melodie singt Schülerin Salima Boybauan. Die 18-Jährige ist im Geschichts-LK und will nach dem Abi Geschichte und Germanistik studieren. „Ich finde es erschreckend, wie viele Menschen heute noch negativ gegenüber Juden eingestellt sind“, sagt sie. „In meinem Freundeskreis setzen sich die wenigsten mit dem Nationalsozialismus auseinander. Das kann ich nicht verstehen.“
Dass die Wissenslücke bei Jugendlichen groß ist, bestätigt Geschichtslehrerin Maja-Ruth Greling: „Ich habe heute in der 9 gefragt, was die Pogromnacht ist. Sie konnten nichts damit anfangen.“ Das liege am fehlenden Problembewusstsein. Wenn man aber mit Schülern spreche, sei das Interesse da, die Betroffenheit groß. „Sie können nicht begreifen, dass noch 25 Prozent der Deutschen antisemitisch eingestellt sind.“
„Natürlich denkt man darüber nach, es ist ja heute noch relevant. Ich habe wenig Verständnis dafür, dass es überhaupt passiert ist“, sagt Jule. Die 18-Jährige nimmt mit ihren Mitschülern an der Gedenkveranstaltung „Mein Licht gegen das Vergessen“ teil. Organisatoren sind die DGB-Geschichtswerkstatt und die DGB-Jugend Herne sowie die Erich-Fried-Gesamtschule mit dem Unterrichtsfach Kohlengräberland und dem Projekt „Schule mit Courage“.
Schüler fordern: Schaut nicht weg!
Nach einer Schweigeminute legen die Schüler am Shoah-Mahnmal am Willi-Pohlmann-Platz Rosen nieder und ziehen danach zum Mahnmal an der Bebelstraße. Tobias Roth und Cheima Amor-Spooren von der Verdi-Jugend und Julia-Marie Kirstein und Angelina Lachenicht von der Erich-Fried-Gesamtschule lesen im Wechsel den vorbereiteten Text vor. Sie erinnern an die zahlreichen Bürger, die vor völkischem Denken und Rassenwahn flüchten mussten und die Opfer des Nationalsozialismus wurden.
„Wir sagen ,Nein!’ zu Hass und Gewalt gegenüber Schutzsuchenden, Ausländern und Menschen anderer Religion“, betonen sie. „Wir finden uns nicht damit ab, dass Flüchtlinge ertrinken und sagen ,Nein!’ zu geistigen Brandstiftern in den sozialen Netzen.“ Eintreten wollen sie hingegen für Menschlichkeit, Solidarität, Frieden und Gerechtigkeit. „Wir bitten euch: Schaut nicht weg!“ Dazu zitierten sie aus Bertold Brechts Stück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui.“
Lied der Moorsoldaten macht Hoffnung
Verdi-Sekretär Norbert Arndt gibt zu bedenken, dass die Tradition des Gedenkens nicht zu einem Ritual verkommen dürfe: „Wir sollten uns für einen Moment vor Augen führen, was vor 79 Jahren in unseren Städten passiert ist.“ Das Gedenken solle Denkanstöße geben. „Auch wenn wir erleben mussten, das erstmals wieder Faschisten in die Parlamente gewählt wurden, dürfen wir die Hoffnung auf Solidarität nicht aufgeben.“
Das Lied der Moorsoldaten, das am Mahnmal zu hören war, könne Hoffnung machen, das bewusster Widerstand zum Ziel führe. „Das kommt aber nicht von alleine. Deshalb müssen wir uns widersetzen und laut ,Ja’ sagen zu Solidarität und einem glücklichen Leben für alle.“