Herne. Lutz Grimm, Amtsgerichtschef in Wanne, und sein Herner Kollege Klaus Schrüfer sprechen im Interview über schwierige Entscheidungen und Mitleid.

  • Lutz Grimm, Amtsgerichtsdirektor in Wanneund sein Herner Kollege Klaus Schrüfer sprechen im Interview über schwierige Entscheidungen
  • In manchen Fällen habe man durchaus so etwas ähnliches wie Mitleid für die Angeklagten
  • Sicherheitsvorkehrungen vor Gericht sind streng, immer wieder finden Wachtmeister Messer oder Glasflaschen

Die schwarze Richter-Robe hängt am Bügel, der Schatten der Justitia blickt um die Ecke. Das große Gemälde im Direktorenbüro des Amtsgerichts Herne hat der Vorgänger hängen gelassen. Klaus Schrüfer (58) und sein Wanner Kollege Lutz Grimm (44) haben dort mit WAZ-Redakteurin Karoline Poll über den Alltag bei Gericht, Mitleid mit Angeklagten und ganz besondere Fälle gesprochen.

Während es beim Landgericht in Bochum um Mord und Totschlag geht, beschäftigen Sie sich am Amtsgericht mit Scheidungen und Diebstählen. Ist Ihnen das nicht zu unspektakulär?

Klaus Schrüfer: Der Alltag ist nicht immer spektakulär. Weder hier noch am Landgericht. Am Amtsgericht bedient man eine größere Bandbreite. Die großen Strafprozesse laufen zwar am Landgericht, dort hat man aber auch Verfahren, mit denen man jahrelang beschäftigt ist. Das ist nicht jedermanns Sache.

Die „lockere Atmosphäre“ empfinden die beiden Richter beim Amtsgericht, wie hier in Herne, als attraktiv.
Die „lockere Atmosphäre“ empfinden die beiden Richter beim Amtsgericht, wie hier in Herne, als attraktiv. © Stefan Kuhn

Lutz Grimm: Und die Atmosphäre beim Amtsgericht ist lockerer. Wir haben mehr mit den Leuten und mit deren Alltagsproblemen zu tun.

Was für Alltagsprobleme sind das?

Grimm: Scheidungen, Sorgerechtsstreitigkeiten, aber auch Nachbarschaftsprozesse, Mietstreitigkeiten und solche Sachen. Mit diesen eher alltäglichen Dingen hat man häufiger zu tun als beim Landgericht, wo es ja doch eher um Problemsituationen geht, denen die meisten Menschen in ihrem Alltag nicht so oft begegnen.

Wollten Sie eigentlich immer schon Richter werden?

Schrüfer: Das ist sicher für die meisten Jurastudenten eine Option. Ich wäre aber auch Anwalt geworden, wenn es mit dem Richteramt nicht geklappt hätte.

Grimm: Ich habe zunächst eine Bankausbildung gemacht, hätte mir auch vorstellen können, in der freien Wirtschaft zu arbeiten.

Haben Sie als Richter schon einmal eine Entscheidung im Nachhinein bereut?

Schrüfer: Es hat Entscheidungen gegeben, die nicht richtig waren. In einem Fall hat sich dann später herausgestellt, dass Zeugen nicht die Wahrheit gesagt haben. Wenn ein Angeklagter mit einem Urteil einmal besser wegkommt, als er es eigentlich verdient hätte, kann man als Richter damit meist ganz gut leben. Es hat allerdings einen Fall gegeben, bei dem jemand in Haft geraten ist, der dort nicht hingehörte. Der mutmaßliche Geschädigte hatte gelogen. Das ist jetzt schon mehr als 20 Jahre her, trotzdem kann ich mich daran noch gut erinnern.

Grimm: Es ist schon so, dass man bei schwierigen Entscheidungen mit sich hadert, ob man alles richtig gemacht hat. Da ich allerdings auf Rückmeldungen angewiesen bin, die ich nur selten erhalte, ist mir kein Fall in Erinnerung, in dem ich grundlegend falsch entschieden habe.

Haben sie in den Strafprozessen manchmal Mitleid mit den Angeklagten?

Schrüfer: Mitleid ist nicht ganz der richtige Ausdruck. Aber es gibt Fälle, bei denen eigentlich ein ehrlicher Kerl vor dir sitzt. Man hat dann das Gefühl, wenn der jemanden hätte, der ihn an die Hand nimmt, dann würde er nicht straffällig. Du merkst, eigentlich fehlt ihm nur ein bisschen Halt.

Grimm: In den Jugendstrafsachen merke ich besonders, dass die jungen Menschen Strukturen brauchen, um im Leben zurecht zu kommen. Und die finden viele Jugendliche nicht. Ihren Eltern fehlt häufig die Durchsetzungskraft und dann ist man als Gericht dazu da, die Lücke zu füllen, zu einem Zeitpunkt, wenn es eigentlich schon sehr spät ist.

Schrüfer: Manchmal gibt es auch eine schlagartige Besserung, wenn eine Freundin kommt, die eine Ansage macht und sagt, dass es so nicht weiter geht. Dann kriegen manche die Kurve.

Gibt es Fälle, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Schrüfer: Ja, klar. Insbesondere wenn es um nachvollziehbare menschliche Probleme geht.

Grimm: In den Jugendsachen frage ich mich häufig, wie diese Jugendlichen überhaupt noch eine Chance auf ein geregeltes Leben bekommen sollen. Da kann man sich schon ausrechnen, dass die wieder bei Gericht auftauchen werden. Das ist nicht einfach, man überlegt auch, was man selber für Mittel hat.

Welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es denn eigentlich beim Amtsgericht?

Schrüfer: Wir haben Einlasskontrollen. Die Leute werden ähnlich wie beim Flughafen kontrolliert. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen trotzdem immer noch Dinge mitbringen, die wir als Waffe bezeichnen würden.

Am Amtsgericht Wanne arbeitet Lutz Grimm. Dort habe er auch schon kritische Situationen erlebt, erzählt er.
Am Amtsgericht Wanne arbeitet Lutz Grimm. Dort habe er auch schon kritische Situationen erlebt, erzählt er. © Rainer Raffalski

Zum Beispiel?

Schrüfer: Messer, Schnappmesser. Da haben manche auch gar kein schlechtes Gewissen. Sie sagen, dass sie das immer bei sich haben.

Grimm: Die Wachtmeister sammeln auch Glasflaschen ein, auch diese können zum Beispiel als Waffe eingesetzt werden.

Gab es schon einmal gefährliche Situationen?

Grimm: Wir hatten in Wanne-Eickel in diesem Sommer eine Situation, in denen Wachtmeister einschreiten mussten. Glücklicherweise waren wir aufgrund entsprechender Hinweise darauf vorbereitet.

Erzählen Sie von Ihrem Alltag als Richter. Wie viele Verhandlungen haben Sie am Tag?

Schrüfer: Es gibt keinen Richter, der jeden Tag Verhandlungen führt. Wir müssen Prozesse auch vor- und nachbereiten. Im Regelfall haben wir zweimal in der Woche Verhandlungen. Auch die Prozesse sind unterschiedlich lang. Eine Scheidung etwa dauert nur zehn Minuten, andere Verfahren können sich über mehrere Stunden hinziehen.

Wie intensiv bereiten Sie die Prozesse vor?

Schrüfer: Wir schauen uns die Akten in allen Rechtsgebieten genau an und prüfen die Rechtslage. Dabei versuchen wir, das Verfahren so zu lenken, dass es schnell entschieden werden kann.

Grimm: Ich bearbeite ja zu einem großen Teil Jugendsachen. Da geht es in erster Linie nicht um Bestrafung, sondern vor allem darum, wie man erzieherisch auf die Jugendlichen einwirken kann. Man muss da früh schauen, ob es Wege gibt, auch außerhalb des Verfahrens auf die Jugendlichen einzuwirken.

Haben Sie eigentlich auch privat gerne recht?

Grimm: Das ist in einem Juristen-Haushalt wohl ein Grundproblem.

Schrüfer: Meine Frau würde Ihnen diese Frage sicher mit ,Ja’ beantworten.

>> WEITERE INFORMATIONEN: Zu den Personen

Klaus Schrüfer hat in Hattingen Abitur gemacht und an der Ruhr-Universität Bochum Jura studiert. Bevor der Sprockhöveler zum Amtsgericht nach Herne kam, hat er auch schon in Wanne gearbeitet. Der 5 8-Jährige hat zwei Kinder und spielt Fußball.

Lutz Grimm (44) hat vor seinem Jura-Studium an der Ruhr-Universität eine Bankausbildung gemacht. Der Wattenscheider lebt mit seiner Lebensgefährtin in Bochum. Seit zwei Jahren arbeitet er wieder Wanne.

Als Direktor des Amtsgerichts haben beide vor allem auch Verwaltungsaufgaben.