Herne. . Die Zahl der Reformhäuser ist auch in Herne gesunken. Was diese Spezialkräfte ausmacht, sagt Reformhaus-Mitarbeiterin Delia Pitz-Adolps.
Die Reformhausbewegung feiert in diesem Jahr ihr 130-jähriges Bestehen. Allerdings: Die Zahl der Reformhäuser ist bundesweit in den vergangenen Jahren beständig gesunken - auch in Herne. Das Reformhaus Pitz in Eickel gehört neben jenem in der Pinguin-Apotheke in Herne-Mitte zu den letzten seiner Art. Delia Pitz-Adolps, Mitarbeiterin im Reformhaus Pitz, erläutert im Gespräch mit der WAZ die Ursachen.
Frau Pitz, eigentlich müssten Reformhäuser doch angesichts des nun schon lange anhaltenden Trends zu gesunder Ernährung und natürlicher Kosmetik boomen, doch das Gegenteil ist der Fall. Woran liegt es?
Pitz-Adolps: Einer der Faktoren ist sicherlich, dass zum Beispiel Bio-Lebensmittel heute leichter zu bekommen sind als in früheren Jahren. Das ist nichts Besonderes mehr. Die Drogeriemärkte, aber auch die Supermärkte haben dieses Thema entdeckt und es nach vorne getrieben. Dadurch ist das Sortiment heute breiter gefächert. Aber auch die Hersteller von Bio-Produkten sind selbst in neue und andere Märkte gegangen. Deshalb stehen die Reformhäuser mit ihrem Sortiment nicht mehr allein da.
Haben die Reformhäuser den Trend zu natürlichen Produkten verschlafen?
Auf keinen Fall, wobei ich nicht für die Reformhäuser an sich sprechen kann, sondern nur für uns selbst. Als Reformhaus standen wir schon immer für Qualität, für gute Lebensmittel, für gute Kosmetik und für Tierschutz. Das tun wir auch heute noch, doch andere Anbieter haben nun einen Teil unserer Tradition übernommen.
Aber Reformhäuser gelten bei manchen Menschen als etwas veraltet oder gar verschnarcht.
Das mag den äußeren Anschein haben, aber inhaltlich ist das keineswegs so. Unsere Branche mag etwas konservativer als andere Märkte sein, lebt aber immer weiter, es kommen immer wieder neue Dinge hinzu, Reformhäuser sind eine Branche, die nie schläft. Die Mitarbeiter werden ja ständig weitergebildet, um auf dem neuesten Stand zu sein. Sei es beim Thema Allergie oder beim Thema Ernährung. Wir springen nicht auf jeden Trend, bleiben unserer Linie treu. Deshalb noch einmal ein klares Nein: Wir sind nicht verschnarcht. Rein äußerlich unterscheidet sich die Atmosphäre in unserem Geschäft von den großen Anbietern, aber sie hat etwas Gemütliches und Einladendes.
Wo liegen Ihre Stärken?
Ganz klar in der Beratung und mit Fachwissen. Nur damit geht und steht ein Reformhaus. Deshalb nehmen wir Drogeriemärkte oder Supermärkte gar nicht so sehr als Konkurrenz wahr. Das Sortiment ist ja trotz allem immer noch anders aufgebaut. Die Kunden können auch sehr gut wechseln. Für manche Dinge gehen sie in einen Drogeriemarkt, für andere kommen sie zu uns. Die Kunden gehen nicht nur in eine Geschäft. Ich glaube, dass die Kunden es mögen, dass sie heute mehr Auswahl haben.
Und ich habe den Eindruck, dass Sie eine besondere Nähe zum Kunden haben. . .
. . .ja, das ist so. Das ist ja das Schöne. Es ist ein Miteinander mit unseren Kunden. Die Kunden glauben und vertrauen uns. Aus diesem Grund haben wir auch nicht jeden Schnickschnack. Wir bieten nur das an, hinter dem wir selbst stehen und von dem wir selbst überzeugt sind.
Aber wird Ihre Kundschaft nicht immer älter?
Man meint das immer, gerade auch, weil Eickel statistisch ein relativ alter Stadtteil ist, aber es hat sich über die Jahre immer die Waage gehalten. Von der Mischung der Kundschaft her sind wir auch für die Zukunft gut aufgestellt.
>>>INFO
Das Reformhaus geht auf den Berliner Textilhändler Carl Braun zurück. Dieser eröffnete vor dem Hintergrund der damaligen Lebensreformbewegung und auf Nachfrage von Mitgliedern eines Berliner Naturheilvereins und Anhängern der ersten vegetarischen Bewegung im Herbst 1887 ein Geschäft mit dem Namen „Gesundheitszentrale“. Dieses Geschäft gilt als Keimzelle der Reformhäuser.
Laut eines Berichts der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ist in den vergangenen 20 Jahren die Zahl der Reformhäuser von etwa 2500 auf 1200 gesunken.