Herne darf 2018 keine Schulden mehr machen. Im WAZ-Interview sagt Kämmerer Hans Werner Klee, warum er dafür auch diese Steuer anheben will.

  • Kämmerer Hans Werner Klee sagt im WAZ-Interview, warum er die Grundsteuer B stärker anheben will
  • Städtischer Finanzchef beklagt explodierende Sozialkosten und fordert Hilfe von Bund und Land
  • Grund für hohen Schuldenstand sei auch die Beteiligung an Kosten für die deutsche Einheit

Im kommenden Jahr muss Herne erstmals den Haushaltsausgleich schaffen, sprich: Die Stadt darf, wenn überhaupt, nur noch sehr begrenzt neue Schulden machen — so will es der „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ mit dem Land. Ist das realistisch? Darüber sprach die WAZ mit Kämmerer Hans Werner Klee.

Als Sie Anfang September Ihren Haushaltsentwurf für 2018 vorgestellt haben, klaffte noch ein Loch von 9,3 Millionen Euro im Stadtsäckel. Wird Ihnen da nicht Angst und Bange?

Nein, denn ich sehe am Horizont noch eine Perspektive für einen ausgeglichenen Haushalt. Das liegt daran, dass die Rahmenbedingungen für die Schlüsselzuweisungen des Landes, unsere größte Einnahmequelle, zwischenzeitlich geklärt wurden. Das Land hat uns mitgeteilt, dass sich die Schlüsselmasse stark nach oben verändert hat und der Verteilungsmechanismus zunächst der alte bleibt. Das bedeutet für uns in 2018 eine Verbesserung um 10 Millionen Euro. Damit hätten wir kein Loch mehr von 9,3 Millionen Euro, sondern sogar ein leichtes Plus. Trotz der insgesamt sehr angespannten Lage verspüre ich dadurch eine gewisse Erleichterung.

Kämmerer Klee will die Grundsteuer B im Januar stärker anheben als geplant.
Kämmerer Klee will die Grundsteuer B im Januar stärker anheben als geplant. © Patrick Pleul, dpa

Ins Plus rutschen Sie nach jetzigem Stand aber auch nur dadurch, weil Sie deutliche Steuererhöhungen planen. Konkret: Die Grundsteuer B soll im Januar nicht nur von 600 auf 695, sondern sogar auf 775 Hebesatzpunkte steigen.

Genau. Deshalb spreche ich auch nur von einer „gewissen Erleichterung“.

Was, glauben Sie, sagt der Bürger zu Ihren Steuer-Plänen?

Der sagt natürlich: Oh Gott, schon wieder eine Grundsteuererhöhung. Für mich sind Steuererhöhungen immer nur das letzte Mittel. Deshalb müssen wir überall schauen, wo wir an anderer Stelle sparen können, um die drohende Grundsteuererhöhung möglichst eindämmen zu können. Im Übrigen: Man muss auch hier immer die Relationen sehen.

Und die sehen wie aus?

Nehmen wir das Ranking der Hebesätze und schauen auf Nachbarkommunen, da wären wir selbst mit der Erhöhung auf 775 Hebesatzpunkte noch lange nicht auf einem Spitzenplatz. Witten etwa hat 910, Haltern 875, Herten 795, und Hagen 750 Hebesatzpunkte. Und Bochum denkt ebenfalls über einen Anstieg auf 795 nach.

Was bedeutet das fürs Portemonnaie der Bürger?

Da stehen wir sogar recht gut da. Bei aktuell 600 Hebesatzpunkten zahlt jeder Einwohner im Schnitt 146 Euro Grundsteuer B pro Jahr. Bei einer Anhebung auf 775 wären wir etwa bei rund 190 Euro pro Einwohner und Jahr. Damit würden wir uns unter 22 Kommunen in NRW bezogen auf die Einnahmen von Platz 21 auf Platz 19 verbessern. Heißt: 18 Kommunen haben immer noch eine höhere Grundsteuer als wir. Im Übrigen: Bochum kassiert aktuell 249 Euro Grundsteuer B pro Einwohner und Jahr. Würden wir diesen Betrag in Herne einfordern, wären das über 1000 Hebesatzpunkte.

Trotz dieser Vergleichszahlen: Hätte eine stärkere Anhebung des Grundsteuer B für den Wohnungsmarkt in Herne nicht negative Folgen?

Die zusätzlichen Kosten könnten Vermieter natürlich über die Nebenkosten auf die Mieter umlegen. Generell kann man aber sagen: Auch wenn es in Herne wenig Wohnungsleerstände gibt, haben wir im Vergleich zum Umfeld ein moderates Mietniveau. Daran würde auch eine stärkere Grundsteuererhöhung nichts ändern.

Warum gibt es immer wieder neue Löcher im städtischen Haushalt? Kann die Verwaltung nicht wirtschaften?

Doch. Aber die Sozialkosten explodieren. Über 50 Prozent unserer Einnahmen gehen mittlerweile für Sozialkosten drauf — und keiner tut was. Das ist mehr als ungesund und gefährdet die Gleichheit der Lebensverhältnisse in Deutschland.

Haben Sie Beispiele?

Nehmen wir die Flüchtlingskosten. Geduldete Flüchtlinge werden vom Bund nur drei Monate lang finanziert, danach kommen wir vollständig für ihre Kosten auf; betroffen sind zurzeit 230 Menschen. Sind sie als Flüchtlinge anerkannt und haben keine Arbeit, rutschen sie in Hartz IV, zurzeit sind das rund 1700 Leistungsbezieher, und für sie zahlen wir trotz der Bundesbeteiligung die Kosten der Unterkunft in Millionenhöhe mit. Es gibt noch weitere Beispiele, etwa Gesetzesänderungen beim Unterhaltsvorschuss- oder beim Kinderbildungsgesetz: In Berlin und in Düsseldorf werden Entscheidungen getroffen, und wir müssen das ausbaden, obwohl wir das gar nicht können.

Also lautet ihre Forderung: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen?

Ganz klar: Ja! Dazu gibt es gar keine Alternative. Bund und Land müssen das bezahlen, wozu sie gesamtgesellschaftlich verpflichtet sind. Wir brauchen dazu eine Neuordnung der Kommunalfinanzierung, weil wir sonst nicht in der Lage sind, mittelfristig ausgeglichene Haushalte zu produzieren

In ihrem Haushaltsplan steht auch, dass die städtischen Töchter, also allen voran Herner Sparkasse und Stadtwerke, mit Millionenbeträgen den Haushalt stützen sollen. Die dürften nicht begeistert sein.

Das wird für die Zukunft natürlich nicht einfach. Jetzt haben die Stadtwerke 250 000 RWE-Aktien verkauft und die gleiche Menge wird bis Jahresende folgen. Damit werden wir rund ein Viertel der RWE-Bestande veräußert und so die Mittel für 2018 aufgebracht haben. Die kommen aber im Wesentlichen aus der Substanz. Das geht einige Jahre, aber natürlich nicht auf Dauer.

Herne hat über eine Milliarde Euro Schulden, darunter knapp 600 Millionen Euro Kassenkredite. Hat die Stadt früher, als noch Geld da war, über ihre Verhältnisse gelebt?

Nein, das sind die Versäumnisse der Vergangenheit von Bund und Land: Sie haben die Städte nicht mit den nötigen Finanzmitteln ausgestattet, die sie brauchen. Kassenkredite sind im Wesentlichen die Finanzierung der Verluste der Vergangenheit. Deshalb müssen wir auch das Altschuldenproblem lösen. Und, so meine dritte Forderung, gleichzeitig die Investitionsfähigkeit der Kommunen stärken.

Im Übrigen: Unsere Schulden sind auch deshalb so hoch, weil wir beispielsweise die deutsche Einheit mitfinanziert haben. Da wir das Geld dafür nicht hatten, mussten wir es leihen. Mit Zinsen und Zinseszinsen waren das bis zu 220 Millionen Euro. Die Förderung nach Himmelsrichtung muss endlich aufhören: Wir brauchen eine Förderung nach Bedürftigkeit.

>> ZUR PERSON: Hans Werner Klee

Ende 2012 wählte der Stadtrat den damals parteilosen Hans Werner Klee zum Kämmerer, sein Gegenkandidat hieß damals Markus Schlüter, seinerzeit CDU-Fraktionschef, der knapp unterlag. 2013 dann beerbte Klee den langjährigen städtischen Finanzchef Peter Bornfelder.

Der promovierte Betriebswirt Klee war bis 2010 Geschäftsführer der RAG Montan Immobilien, anschließend war er mit Oberhausens Ex-Oberbürgermeister Burkhard Drescher Gesellschafter der BDC Consulting.

Der 59-Jährige, der nach seiner Wahl zum Kämmerer der SPD beitrat, ist gebürtiger Hürther, lebt aber seit vielen Jahren in Bochum-Langendreer; in Herne hat er einen Zweitwohnsitz. Klee ist verheiratet und hat zwei Söhne.