Herne. Polizeipräsidentin Kerstin Wittmeier verrät, wie sich die Kriminalität in Herne entwickelt hat. Sie lebt lieber im Ruhrgebiet als auf Sylt.
- Herne hat mit 8,63 Prozent einen deutlichen Rückgang in der Gesamtkriminalität zu verzeichnen
- Überwachung des Shoah-Mahnmals am Willi-Pohlmann-Platz sei nicht angedacht
- Respekt vor Polizisten habe abgenommen,gefühlt seien vor allem junge Männer problematisch
Kerstin Wittmeier ist seit 2015 Polizeipräsidentin im Polizeipräsidium Bochum und damit auch zuständig für Herne und Witten. Nun kam die 52-Jährige erstmals zum Interview in die Herner WAZ-Redaktion.
Sie sitzen im Polizeipräsidium in Bochum, das auch für Herne und Witten zuständig ist. Wie behalten Sie den Überblick darüber, was in den einzelnen Städten Ihres Präsidiumsbereiches passiert?
Kerstin Wittmeier: Die Pressestelle informiert mich jeden Morgen darüber, was an wichtigen Ereignissen passiert ist. Außerdem gibt es jeden Tag eine Besprechung unter dem Titel „Tägliche Lage“; dabei wird geschaut, was in den letzten 24 Stunden passiert ist. Ein weiteres Instrument ist der monatliche Kriminalitätsreport. Daran kann ich - aufgeschlüsselt nach den einzelnen Städten - ablesen, wie sich bestimmte Kriminalitätsphänomene entwickeln.
Wie gut kennen Sie Herne?
Gut, zumal ich auch privat regelmäßig hier bin. Ich gehe sehr gerne in den Mondpalast, habe mich sogar ein wenig mit Prinzipal Christian Stratmann angefreundet. Ich kann aber nicht sagen, dass ich mich hier in jeder Ecke auskenne.
Weniger Gesamtkriminalität in Herne
Sie wohnen aber nicht im Bereich des Polizeipräsidiums. . .
Nein, ich wohne in Duisburg, das hat Vorteile. Als Person des öffentlichen Lebens wird man in der Öffentlichkeit ganz anders wahrgenommen – ich habe drei Kinder – und da ist es gut, wenn eine Trennung zwischen Dienst und Privatleben besteht. Ich habe das ganz deutlich beim Fall Marcel H. bemerkt, da bin ich bei meinem Auftritt in der Pressekonferenz, die übertragen wurde, erkannt worden. Unsere Nachbarn hatten vorher gar nicht gewusst, in welcher Funktion ich tätig bin. Da wird man durch solch ein Ereignis plötzlich mit ganz anderen Augen betrachtet. Man ist ja auch Privatmensch und möchte nicht immer dienstlich gesehen werden.
Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger ist nicht gut. Woran liegt das?
Das kommt daher, dass wir es insgesamt mit einer größeren Verunsicherung zu tun haben. Zum Beispiel durch die Flüchtlingssituation, durch Anschläge wie in Nizza, aber auch durch die Medien, in denen heute alles rasend schnell verbreitet wird. Und das hat auch mit Wahrnehmungen im eigenen Umfeld zu tun. Wie jetzt durch den Fall Marcel H. kann bei Bürgern eine sehr hohe Verunsicherung eintreten oder durch Wohnungseinbrüche. Das hat aber mit der tatsächlichen Kriminalitätslage oft gar nichts zu tun. Wir hatten zuletzt beispielsweise auch in Herne wieder deutliche Rückgänge bei der Gesamtkriminalität – minus 1344 Straftaten, das sind 8,63 Prozent. Diese positive Entwicklung führt leider nicht dazu, dass die Menschen sich sicherer fühlen.
Keine Videoüberwachung am Shoah-Denkmal
Stichwort Videoüberwachung: Das Shoah-Denkmal in Herne-Mitte wurde mehrfach geschändet, die neue Landesregierung will die Videoüberwachung stärken. Wäre sie am Willi-Pohlmann-Platz hilfreich?
Die Frage ist ja immer, ob das Ausmaß an Straftaten für eine Videoüberwachung rechtlich ausreicht. Selbst an einem Ort wie dem Bermuda-Dreieck in Bochum haben wir jeden Tag durchschnittlich drei Straftaten. Selbst dort würde es am Ende für eine konstante Video-Überwachung nicht reichen - also auch nicht am Willi-Pohlmann-Platz.
Zuletzt haben Beamte mehrfach ihre Schusswaffen genutzt, dabei es gab Tote, einen davon auch in Herne. Sollte die Polizei nicht besser mit Distanz-Elektro-Impulsgeräten ausgestattet werden?
Die Kollegen müssen vor Ort entscheiden, was sie einsetzen. Sie haben das Pfefferspray, den Einsatzmehrzweckstock, der ausziehbar ist, die Pistole und dann womöglich noch einen Taser zur Auswahl. Was immer Beamte nutzen: Jede Benutzung muss hinterher durch die Staatsanwaltschaft überprüfbar sein. Zum Herner Fall: Da ging ein Mann mit einem gezückten Messer auf Beamte los, sie mussten schnell reagieren und die Schusswaffe war alternativlos. Wir stehen einem Pilotversuch mit dem sogenannten Taser offen gegenüber.
Mangelnder Respekt ist ein Problem
Die Übergriffe auf Polizisten in NRW steigen, wie entwickelt sich die Zahl im Bereich des Polizeipräsidiums Bochum?
Die Zahl nimmt hier auch zu. Im Vergleich der Jahre 2015 und 2016 gibt es einen deutlichen Anstieg. Man muss dazu sagen, dass wir zu den Gewalttaten nicht nur körperliche Übergriffe, sondern auch jedes Beleidigungsdelikt zählen. Die Zahl der Taten ist von 638 auf 1008 gestiegen. Das liegt natürlich teilweise daran, dass es einfach mehr Übergriffe gibt. Aber: Auch die Sensibilität der Beamten, die Übergriffe zu melden, ist gestiegen. Auch bei den Verletzten ist die Zahl gestiegen, von 64 auf 122. Und jeder Verletzte ist einer zu viel.
Hat diese Entwicklung etwas mit mangelndem Respekt zu tun?
Ja, diese Wahrnehmung habe ich. Und zwar nicht nur gegenüber der Polizei, sondern auch gegenüber anderen Ordnungskräften, wie der Feuerwehr. Welche Personengruppen sich respektlos verhalten, erheben wir nicht. Gefühlt sind es eher die jungen Männer. Wir haben aber erhoben, dass weibliche und männliche Polizisten gleichermaßen Opfer eines solchen Deliktes werden.
Könnte der Einsatz von Bodycams diese Übergriffe verhindern?
Die Zielrichtung dieser Bodycams ist ja eine präventive Wirkung. Es läuft seit kurzer Zeit ein Pilotprojekt in fünf Behörden, zum Beispiel in Duisburg, bei dem der Einsatz getestet wird. Man wird statistisch belegen können, ob man etwas damit erreicht hat. Ich würde erst einmal abwarten, was nach zwei Jahren dabei herumkommt. Wenn das ein Instrument ist, was zielgerichtet eingesetzt werden kann und von dem die Kollegen etwas haben, dann sollten auch wir das nutzen.
Köpfe rollen zu lassen ist nicht ihr Führungsstil
Wir haben zuletzt über Beamte berichtet, die nach Dienstschluss in Wachen zusammengesessen und Alkohol getrunken haben. Danach wurden neue Wachleiter für Herne und Wanne-Eickel bestellt. Sie wollten auch Disziplinarmaßnahmen prüfen. Was ist daraus geworden?
Die sind noch nicht abgeschlossen, da erwarte ich in den nächsten Wochen eine abschließende Entscheidungsvorlage. Disziplinarmaßnahmen sind aber nicht das Entscheidende. Sondern: der Umgang mit dem Thema. Das ist in den letzten Wochen aus meiner Sicht sehr gut aufgearbeitet worden. Wichtig ist, dass die Kollegen wissen, dass Alkohol nicht in Diensträume gehört. Ich habe Führungskräfte, die gesagt haben, ja, da haben wir nicht richtig hingeguckt, das haben wir schleifen lassen. Wir tun alles, damit so etwas nicht wieder vorkommt. Im Übrigen: Mir ist bei dem Thema ganz wichtig, dass die Personalentscheidungen mit der Alkoholsache gar nichts zu tun haben. Dass Uwe Hillen, der Wachleiter aus Wanne-Eickel, jetzt als Nachfolger von Udo Lotte nach Herne wechselt, der in den Ruhestand tritt, war schon vorher so geplant. „Hier müssen Köpfe rollen“ — das ist nicht mein Führungsverständnis. Das Thema Umgang mit Alkohol betrifft uns alle – nicht nur die Führungskräfte, denn an allen Wachstandorten ist Alkohol gefunden worden.
Rot-Grün hat die Einführung der Kennzeichnungspflicht für Polizisten beschlossen, Schwarz-Gelb will sie wieder abschaffen. Zurecht?
Die Kennzeichnungspflicht betrifft ja nur die Bereitschaftspolizei, denn dort kann es bei voller Ausstattung schon einmal sein, dass die Beamten nicht erkennbar sind. Deshalb ist die Grundidee zu sagen, ich muss individuell feststellen können, wer mein Gegenüber ist, nachvollziehbar. Ich glaube aber, dass wir die Kennzeichnungspflicht gar nicht brauchen. Das Ziel ist es ja, jemanden zu ermitteln — zum Beispiel nach Situationen, die nicht ganz einvernehmlich gelaufen sind. Dieses Ziel erreichen wir aber auch so. In meiner Zeit als Polizeipräsidentin gab es nicht einen einzigen Fall, der mir bekannt ist, bei dem ein Beamter nicht ermittelt werden konnte. Es wird ja alles dokumentiert. Für Polizisten ist das eher ein emotionales Thema, weil sie sagen, dass es Misstrauen ihnen gegenüber bedeutet.
Politik soll für ausreichend Personal sorgen
Herner SPD-Landtagsabgeordneter Vogt hat kritisiert, dass die Zahl der Polizisten im Präsidium in den nächsten Jahren rückläufig ist und die neue Landesregierung dafür verantwortlich gemacht. Die weist die Vorwürfe aber zurück und sieht die Verantwortung eher bei Rot-Grün. Wer hat Recht?
Es kann bei diesem Thema dahinstehen, wer Recht hat, denn den Bürgern kommt es darauf an, Polizei im öffentlichen Raum wahrzunehmen. Das Polizeipräsidium Bochum hat sich schon seit 2012 Gedanken zur Personalstruktur gemacht. Schon damals war absehbar, dass wir mindestens 92 Stellen bis zum Jahr 2020 sparen müssen. Das hat mit der vom Land koordinierten Verteilung der Kräfte zu tun, die zum Beispiel die Belastung im Bereich der Kriminalitätsentwicklung und Verkehrsunfallentwicklung der einzelnen Behörden berücksichtigt. Die Politik ist hier gefordert, für ausreichend Personal in allen Behörden des Landes zu sorgen. Und natürlich freuen wir uns über jede zusätzliche Stelle.
Wie weit sind Sie mit dem Abbau der Stellen?
Von den 92 Stellen haben wir schon rund 70 eingespart. Bis 2020 fehlen uns also noch 22 Personen. Ab dem 1. September können wir konkret sagen, was das für dieses Jahr bedeutet. Es werden aber wahrscheinlich ein bis zwei Stellen in Herne weniger sein. Das ist nicht schön, aber es ist verkraftbar.
Cranger Kirmes ist Routine
Wie ist die Polizei in puncto Sicherheit auf die Cranger Kirmes vorbereitet?
Wir haben da ja schon eine gewisse Routine. Wir sind personell sehr gut aufgestellt, werden auch von der Direktion Verkehr und der Bereitschaftspolizei unterstützt. Insgesamt liegt die Zahl der Beamten im dreistelligen Bereich, und wir sind positiv gestimmt, dass alles gut läuft. Die Besucher müssen sich aber auch wieder auf stichprobenartige Taschenkontrollen einstellen.
Ist darüber nachgedacht worden, das Gelände zu umzäunen?
Ja, wir haben darüber nachgedacht. Aus meiner Sicht ist das aber in dem Bereich, den wir in Crange vorfinden, fast unmöglich. Er liegt innerstädtisch, es gibt viele Anwohner und zur Not muss zum Beispiel auch mal ein Krankenwagen rein. Da muss man dann abwägen zwischen dem Risiko, was wir eingehen, und dem Nutzen einer Maßnahme, die aus unserer Sicht nur schwer umsetzbar ist.
Gehen Sie auch privat über die Cranger Kirmes?
Ja, ich bin auf jeden Fall bei der Eröffnung dabei. Aber in diesem Jahr ist es für mich ganz ungünstig, weil ich ab Freitag, wenn die Kirmes startet, Urlaub habe und in der Woche danach weg bin.
Wahr oder falsch? Das antwortet die Polizeipräsidentin
Auf Sylt lebt es sich angenehmer als im Ruhrgebiet.
Wittmeier: Falsch! Auf Sylt ist nichts los.
Die Stadt Herne spielt im Polizeipräsidium nur die zweite Geige hinter Bochum.
Falsch! Zu Herne hatte ich von Anfang an eine ganz besondere Beziehung. Ich liebe zum Beispiel den Mondpalast, deshalb hängt mein Herz schon an Herne. Auch habe ich zu Oberbürgermeister Frank Dudda einen engen Kontakt. Also auf keinen Fall die zweite Geige.
Bitte ergänzen Sie: Mein Lieblingstatort ist. . .
Gar keiner, ich gucke gar keinen „Tatort“. Wir gucken zu Hause im Fernsehen fast ausschließlich Dokumentationen.
Mein Traumberuf war. . .
Psychologin. Da hatte ich immer Interesse dran und überlegte lange, ob ich das nebenbei noch studiere.
ZUR PERSON
> Kerstin Wittmeier ist in Flensburg geboren und auf Sylt aufgewachsen. Ihr Vater war bei der Marine und wurde auf die Nordseeinsel versetzt. Nach der Schule studierte sie in Göttingen Sozialwissenschaften.
> Nach dem Studium arbeitete sie unter anderem bei den Bezirksregierungen in Arnsberg und Düsseldorf, im NRW-Innenministeriums, bei der Wasserschutzpolizei. Zuletzt war Kerstin Wittmeier von 2010 bis 2015 Polizeipräsidentin in Oberhausen.
> Die 52-Jährige lebt in Duisburg, ist seit 2016 mit ihrem langjährigen Lebensgefährten verheiratet und hat drei Kinder (16, 18 und 24 Jahre alt).