Herne. . Der Herner Wilfried Richter ist ein Exot: Mit 86 Jahren verfolgt er noch sehr aufmerksam die Börse. Aktien sind sein Lebensunterhalt.

  • Richter hat sich in den 70er-Jahren von der Versicherungspflicht befreien lassen
  • Er hat rund 30 Titel in seinem Portfolio und schichtet zwei- bis dreimal pro Monat um
  • Drei Stunden am Tag studiert der Herner die Kurse und Unternehmen

In den kommenden Tagen will das Landgericht Köln ein Urteil verkünden. Grob skizziert geht es um die Frage, ob die Deutsche Bank die Anleger bei der Übernahme der Postbank benachteiligt hat. Auch der Herner Wilfried Richter wartet mit Spannung auf dieses Urteil. Er gehört zu jenen, die sich benachteiligt fühlen und gegen die Deutsche Bank geklagt haben. Für Richter geht um mehrere tausend Euro.

Richter ist das, was man einen Kleinanleger nennt. Das klingt zunächst nicht außergewöhnlich. Ist es aber doch. Das beginnt schon mit der Tatsache, dass die Deutschen kein Volk der Aktionäre sind, selbst in der seit Jahren anhaltenden Phase der mickrigen Sparzinsen halten die meisten gebührenden Abstand zu Börsengeschäften, die mehr Rendite versprechen. Richter dagegen verfolgt auch mit seinen 86 Jahren in seiner Wohnung in Herne-Süd das Aktiengeschäft täglich und äußerst aufmerksam. Das hat seinen Grund: Aktiengeschäfte sind seine Existenzgrundlage.

Drei Stunden pro Tag Aktien-Analyse

An dieser Stelle wird es noch außergewöhnlicher: Anfang der 70er-Jahre, er war damals Geschäftsführer eines Unternehmens, ließ Richter sich von der Rentenversicherungspflicht befreien. Die entsprechenden Beträge flossen in eine Lebensversicherung, Richters Arbeitgeber steuerte seinen Pflichtanteil ebenfalls bei. Als er 1996 in Rente ging, wanderte ein dicker Batzen Geld auf Richters Konto - mit dem er seitdem so umgehen muss, dass er bis zu seinem Lebensende reicht. Allerdings zählt zur ganzen Wahrheit, dass er auch eine kleine gesetzliche Rente und eine kleine Betriebsrente erhält. Die Ansprüche stammen aus jener Zeit, als er noch kein Geschäftsführer war. Die gesetzliche Rente reiche gerade so für seine Krankenkassenbeiträge, so Richter.

Richter geht mit seinen Anlagen Risiken ein. Bislang ist er insgesamt im Plus.
Richter geht mit seinen Anlagen Risiken ein. Bislang ist er insgesamt im Plus. © Frank Rumpenhorst

Stellt sich die Frage: Warum verzichtet jemand auf die scheinbar sichere Rente und setzt seine Existenz dem Risiko des Börsengeschehens aus? Er habe schon in den 70ern erkannt, dass die Rente wegen des Rückgangs der Geburtenzahlen gar nicht so sicher ist, erzählt er im Gespräch mit der WAZ. „Außerdem war ich schon immer Aktienfan.“

220 Prozent Gewinn mit der Lieblingsaktie Zooplus

Fan - das klingt nach Begeisterung, die aber amateurhaft ist. Doch Richter ist alles andere als ein Amateur. Er ist inzwischen so etwas wie ein Aktien-Analyst. Drei Stunden pro Tag verbringt er damit, sich mit Informationen über Unternehmen „vollzusaugen“. Auf seinem Computerbildschirm verfolgt er die Notierungen der verschiedenen Aktien-Indizes. Der Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ist für Richter Pflichtlektüre.

Bei einigen Unternehmen, an denen er Anteile hält, hat er sich in den Presseverteiler aufnehmen lassen, um auf dem Laufenden zu sein, außerdem besucht er regelmäßig die Hauptversammlungen. Nicht, um eine Gratiswurst mit Brötchen zu essen, Richter geht es um Informationen. Neben den Reden der Vorstandsvorsitzenden interessieren ihn die anschließenden Diskussionen. „Es gibt viel klügere Leute als mich. Die Fragen, die sie stellen, und die Antworten des Vorstandsvorsitzenden sind wichtig für mich als Kleinaktionär“. Außerdem lerne er die Produkte der Unternehmen kennen und komme mit Mitarbeitern ins Gespräch.

Richter denkt nicht ans Aufhören

All diese gewonnenen Erkenntnisse setzt er später in Käufe und Verkäufe um. Etwa 30 verschiedene Titel hat er in seinem Portfolio, zwei bis dreimal im Monat schichtet er um. „Ich gehe Risiken ein, aber das musste ich auch als Geschäftsführer“, sagt Richter und fügt an, dass er in seinem Herzen ein Unternehmer sei. Mal werden die Risiken belohnt - mal bestraft.

Selbstverständlich hatte auch Richter Aktien der großen Energieversorger. Weil die als Anlage so sicher schienen (Strom braucht man immer), bezeichneten Börsianer sie früher als „Witwen- und Waisenpapiere“. Die Energiewende schickte die Papiere Richtung Süden, im Klartext: Richter erlitt heftige Verluste. In einem anderen Fall ging es bislang steil bergauf. Richters Lieblingsaktie ist Zooplus. Das Unternehmen verkauft Tierfutter online. Richter stieg ein, nachdem er gelesen hatte, dass die RAG-Stiftung Anteile erworben hatte. Bislang habe er 220 Prozent Gewinn gemacht, erzählt er. „Man kann sich gar nicht vorstellen, mit was man alles Geld verdienen kann.“

Über all die Jahre sei er insgesamt gesehen im Plus, erzählt Richter, ans Aufhören denkt er nicht. „Mein Beruf ist es, mein Vermögen zu mehren.“