Herne. Der Wanne-Eickeler Robin Alexander berichtet als Welt-Redakteur aus dem politischen Machtzentrum. Sein Buch „Die Getriebenen“ ist ein Bestseller.
- Einen Monat nach der Grenzöffnung erkannte Robin Alexander die historische Dimension
- Für seine Recherchen mit Beteiligten und an den Orten des Geschehens nahm er Sonderurlaub
- Das gesamte Berliner Spitzenpersonal sprach mit Robin Alexander – mit Ausnahme der Kanzlerin
„Fake News“ – dieses Thema hatte sich die Grünen-Ratsfraktion für ihren Maiempfang von ihrem Gastredner Robin Alexander gewünscht (die WAZ berichtete). Das klingt einerseits logisch: Alexander kennt sich als Hauptstadtjournalist mit dem Nachrichtengeschäft bestens aus. Andererseits erscheint der Wunsch, über erfundene Neuigkeiten zu sprechen, unlogisch. Der 42-jährige Welt-Redakteur steht für äußerst seriös recherchierte Fakten und Nachrichten.
Dazu muss man wissen, dass Alexander seit Jahren das bundespolitische Geschehen journalistisch verfolgt. Zunächst bei der taz, später bei der Welt. Für Alexander selbst ist dieser Wechsel ein kürzerer Weg, als es zunächst erscheinen mag. Den Gegensatz zwischen taz und dem Springer-Verlag, zu dem die „Welt“ gehört, gebe es nicht mehr, beide Zeitungen träfen sich im Liberalen. Er sei längst nicht der einzige, der diesen Wechsel vollzogen habe. Prominentes Beispiel: Der in der Türkei inhaftierte Deniz Yücel schrieb ebenfalls für die taz.
Alexanders Expertise ist in Talkshows gefragt
Robin Alexander nennt als sein Berichtsgebiet ganz nüchtern „Kanzleramt und Unionsparteien“. Er kennt sich aus in diesem besonderen Berliner Kosmos, in dem Politiker längst nicht nur die große Bühne vor den Fernsehkameras bespielen, sondern auch in zahllosen Hintergrundgesprächen versuchen, ihre Botschaft loszuwerden und die Deutungshoheit über Entwicklungen zu behalten – oder zu gewinnen. Auch wenn er es selbst niemals sagen würde: Der gebürtige Wanne-Eickeler gilt inzwischen als einer der besten Kenner von Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit seiner Expertise war er in der Vergangenheit gefragter Gesprächspartner im Presseclub oder in verschiedenen Talkshows zu Gast. Noch in der vergangenen Woche diskutierte er bei Sandra Maischberger.
Seit wenigen Wochen ist Alexander auch Bestsellerautor: Mit seinem Sachbuch „Die Getriebenen“ hat er jene Monate im Spätsommer 2015 nachgezeichnet, als Deutschland seine Grenzen für Tausende Flüchtlinge öffnete.
Der Autor erkannte die historische Dimension
„Ich hatte immer schon Anfragen von Verlagen für ein Merkelbuch, doch das habe ich nie gemacht, weil ich nicht gewusst habe, was ich über das Bekannte hinaus Neues beitragen kann“, erzählt Alexander im Gespräch mit der WAZ-Redaktion. Die Überlegung, ein Buch zu schreiben, sei ihm etwa vier Wochen nach der Grenzöffnung am 4. September gekommen. „Anfang Oktober habe ich gemerkt, dass wir eine historische Situation hatten. Das war etwas Anderes als der Ukraine-Konflikt oder die Eurokrise.“
Gespräche mit allen Spitzenpolitikern
Im vergangenen Jahr nahm sich Robin Alexander Sonderurlaub, um die Abläufe und Entscheidungen minutiös zu recherchieren. Er reiste nach Budapest, nach Wien, nach Brüssel, um die Orte des Geschehens in Augenschein zu nehmen und mit Beteiligten zu sprechen. In Berlin unterhielt er sich mit dem gesamten Spitzenpersonal der Bundespolitik. Manche nahmen sich mehrere Stunden Zeit für die Gespräche, andere durchforsteten ihre Terminkalender, um nachzuvollziehen, wo sie zur fraglichen Zeit waren. „Ich hatte den Eindruck, dass es für einige Politiker etwas Therapeutisches hatte, zu erzählen“, so Alexander. Manche schienen innerlich mit dieser Zeit noch nicht fertig zu sein.
Nur Angela Merkel sagte ab
Alexander schildert, dass alle Spitzenpolitiker mit ihm gesprochen hätten – bis auf eine Ausnahme. Auf seine schriftliche Anfrage bei Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ihm ihr Pressesprecher eine Absage geschrieben. Allerdings mit dem Hinweis, dass die Kanzlerin auch für kein anderes Buchprojekt zur Verfügung stehe. Das passt in die allgemeine Beobachtung, dass die Bundeskanzlerin in diesen Dingen sehr zurückhaltend und kontrolliert ist.
Das Ergebnis von Alexanders Recherchen ist ein spannendes Protokoll – mit neuen Erkenntnissen zur sogenannten Flüchtlingskrise –, aber auch ein Blick hinter die Kulissen des inneren Machtzirkels. „Ich hatte den Anspruch zu erzählen, wie Politik funktioniert. Die Leute sollen das Gefühl bekommen, wie die Dinge in Berlin funktionieren.“ Alexander glaubt, dass auch das Volk noch nicht fertig ist mit dieser dramatischen Zeit – als auch in Herne in Sporthallen und auf Sportplätzen Zeltlager entstanden. Das Buch könne das Bedürfnis befriedigen, diese Zeit zu erklären.
Überrascht über Verkaufszahlen
Und offenbar scheint dieses Bedürfnis groß zu sein. „Die Getriebenen“ erklomm Platz 1 der Sachbuch-Bestseller-Liste. „Das hat mich total überrascht“, sagt Alexander. „Ich wusste, dass das Buch Nachrichtenwert hat, weil ich Sachen hatte, die neu waren. Aber ich hätte nicht gedacht, dass das Interesse so groß ist.“ Es sei schon gut, wenn ein politisches Buch eine Auflage von 12 000 Exemplaren erreiche, der Siedler-Verlag druckte 120 000. Allerdings weiß Alexander nicht, wie viele davon bereits verkauft sind.
Inzwischen hat das Buch internationale Resonanz erfahren. Financial Times, Guardian, Figaro, Le Monde: Die großen westeuropäischen Zeitungen haben es besprochen, vor wenigen Tagen erschien eine Besprechung in einer chinesischen Zeitung.
Alltag mit Staatsbesuchen bei Trump und Putin
Inzwischen ist Robin Alexander in den Alltag zurückgekehrt. Was so Alltag ist bei einem politischen Hauptstadt-Redakteur: Er begleitete Angela Merkel zum Staatsbesuch bei Donald Trump und zum Staatsbesuch bei Wladimir Putin. Nicht auszuschließen, dass er irgendwann einen weiteren Bestseller aus dem Zentrum der Macht vorlegt.
>> ZUR PERSON
Nach seinem Abitur am Gymnasium Eickel studierte Robin Alexander in Leipzig Geschichte und Journalistik.
Ab 2001 war er Redakteur bei der taz in Berlin, 2006 war er Gründungs-Redakteur der deutschen Vanity Fair, 2008 folgte der Wechsel zur Welt und Welt am Sonntag. Seit 2010 ist er Berichterstatter für das Kanzleramt.
2013 ist er mit dem renommierten Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet worden, außerdem war er Co-Moderator von Stefan Raabs „TV Total Bundestagswahl“.
Robin Alexander ist verheiratet und hat drei Kinder.