Herne. . Fahim S. (21) ist vor den Taliban aus Afghanistan nach Herne geflüchtet. Nun droht ihm die Abschiebung, deshalb hat er Angst um sein Leben.

  • Gelernter Schneider Fahim S. ist vor den Taliban aus Afghanistan nach Herne geflüchtet
  • Asylgesuch des 21-Jährigen wurde abgelehnt, nun droht ihm die Abschiebung in seine Heimat
  • Rückkehr kann Todesurteil bedeuten, sagt die Herner Flüchtlingsberaterin Katja Jähnel

Seine Geschichte steht für die vieler Flüchtlinge aus Afghanistan. Vor drei Jahren hat Fahim S. das Land verlassen, in dem er groß geworden ist, zur Schule ging und den Beruf des Schneiders erlernt hat. Als Mitarbeiter einer Jugendorganisation verteilte er Flugblätter zur Präsidentschaftswahl und geriet so in den Fokus der Taliban. Geschockt durch den Mord der Islamisten an einem seiner Freunde, floh der damals 17-Jährige aus seinem Dorf zu seinem Onkel in Kabul.

Doch die Taliban spürten ihn auf und drängten seinen Onkel, Fahim auszuliefern. „Da bin ich noch mal geflüchtet“, erzählt der heute 21-Jährige. Der Schneidermeister, der ihn ausgebildet hatte, besorgte einen Schlepper und bezahlte ihn. So konnte Fahim das Land verlassen – „über Aserbaidschan und Russland, mit dem Flugzeug, dem Auto und zu Fuß“. Bis er am 15. Juli 2014 in Hamburg ankam.

Asylgesuch wurde vom Bundesamt abgelehnt

Fahim S. erzählt seine Geschichte auf Deutsch, das er schon ganz gut gelernt hat. Über Umwege ist er in Herne gelandet. Jetzt sitzt er im Konferenzraum des Eine Welt Zentrums zwischen der Ehrenamtskoordinatorin Martina Wisnewski und Flüchtlingsberaterin Katja Jähnel. Sie begleiten ihn, seit er Herne „zugewiesen“ worden ist. Vor Gericht können sie ihn nicht vertreten, das übernimmt ein Anwalt aus Köln.

Denn Fahim kann nur bleiben, wenn seine Klage gegen den Entscheid des Bundesamtes für Migration (Bamf) Erfolg hat. Die Behörde hat sein Asylgesuch abgelehnt. Nicht als „offensichtlich unbegründet“, was schlechter für ihn wäre, wie Katja Jähnel erläutert. Aber doch „abgelehnt“, was zumindest eine aufschiebende Wirkung hat: Solange das Verfahren läuft, kann Fahim nicht ausgewiesen werden.

Anerkennungsquote ist deutlich gesunken

Um die 160 Afghanen leben nach Erkenntnis des Eine Welt Zentrums in Herne, und es sieht nicht gut aus für sie. „Die Anerkennungsquote ist gesunken, von 75 auf 40 bis 45 Prozent“, sagt Katja Jähnel. Die Bundesregierung habe für das gesamte Jahr mehrere tausend Flüge gebucht. Die Massenabschiebungen haben begonnen. „Dabei sind sich alle einig: Die Situation in Afghanistan lässt das nicht zu.“

Anfang Mai in Kabul:  Afghanische Sicherheitskräfte sichern den Tatort eines Selbstmordanschlags.
Anfang Mai in Kabul: Afghanische Sicherheitskräfte sichern den Tatort eines Selbstmordanschlags. © Massoud Hossaini / DPA

Es gebe nur eine Region, die als sicher gelte, und das sei eine Bergregion. „Täglich passiert etwas“, sagt Katja Jähnel. Die Angst der in Deutschland lebenden Afghanen sei berechtigt: „Man wird schnell umgebracht, erschossen oder überfahren.“ Unterzutauchen sei fast unmöglich. Die Taliban hätten ein gut funktionierendes Spitzelsystem aufgebaut. Jeder, der aus Deutschland zurückkehre, gelte per se als Verräter. „Eine Abschiebung kann ein Todesurteil sein“, ist sie überzeugt und stützt sich dabei auf die Erfahrungen der Ethnologin Friederike Stahlmann (siehe unten). Zynisch findet sie die Versicherung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Abgeschobene würden in Empfang genommen und zu ihrem Ziel geleitet.

Anschluss an Zionskirchengemeinde gefunden

Für Fahim hofft sie, dass er bleiben kann. Der 21-Jährige hat eine Wohnung an der Bahnhofstraße in Herne-Mitte bezogen. Seit zwei Jahren hat er Anschluss an die evangelische Zionskirchengemeinde in Horsthausen und ist sogar zum christlichen Glauben konvertiert - was in Afghanistan seine Gefährdung erhöht und dazu geführt hat, dass sich seine Familie von ihm abgewandt hat. Dass er zu ihnen wieder Kontakt bekommt, ist Fahims großer Wunsch. „Ich habe viel Angst“, sagt der junge Mann, der früher keine Krankheiten kannte. Jetzt ist er in psychotherapeutischer Behandlung.

Sein Nachteil könnte es sein, dass er allein gekommen ist. „Die Geflüchteten ohne Familien sind die ersten, die abgeschoben werden“, sagt Katja Jähnel. Zumindest in Nordrhein-Westfalen. „Es gibt auch Bundesländer, die einen Abschiebestopp beschlossen haben.“

Sollte er anerkannt werden, könnte Fahim auch eine Arbeit suchen. Ehrenamtlich hat er schon das eine oder andere ausprobiert. „Für Schneider gibt es keinen Markt“, weiß er. Aber mit 21 ließe sich über die Arbeitsagentur noch eine Ausbildung finden, ist Katja Jähnel zuversichtlich.

Afghanistan-Expertin hält Vortrag im Pluto

„Wie sicher ist Afghanistan?“, fragt die Ethnologin Friederike Stahlmann in einem Vortrag zur Situation in dem seit 40 Jahren kriegsgeschüttelten Land und den Risiken abgeschobener Asylbewerber. Die Veranstaltung des Eine Welt Zentrums findet am Freitag, 19. Mai, von 18.30 bis 21.30 Uhr im Wanne-Eickeler Stadtteilzentrum Pluto statt (Wilhelmstraße 89 a).

Die Sicherheitslage habe sich in letzter Zeit noch einmal deutlich verschlechtert, heißt es in der Ankündigung. Um Sammelabschiebungen zu rechtfertigen, seien von der Bundesregierung dennoch einige Gebiete des Landes als ausreichend sicher eingestuft worden.

Friederike Stahl, Mitarbeiterin des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung, hat selbst in Afghanistan gearbeitet und geforscht. An diesem Abend gibt sie Einblicke in die Ursachen der Sicherheitsrisiken und die Ausweglosigkeit der afghanischen Bevölkerung angesichts der alltäglichen Gewalt. Im Fokus stehen die besonderen Risiken, denen abgeschobene Asylbewerber ausgesetzt sind. Im Anschluss an den Vortrag gibt es die Gelegenheit zur Diskussion.

>>> MEHR INFOS ZUR SICHERHEITSLAGE

Nach Informationen des Eine Welt Zentrums wurden 2016 in Deutschland über 127 000 Asylanträge von Afghanen gestellt. 69 000 wurden entschieden. 13 800 erhielten Flüchtlingsschutz, 5800 subsidiären Schutz (Gefahr an Leib und Leben anerkannt); weitere 18 000 erhielten Schutz nach §60, Absatz 5 und 7 (Abschiebungsverbot). Damit ging die Schutzquote innerhalb weniger Monate von 78 Prozent auf 55,8 Prozent zurück.

Die Grünen in NRW haben einen Abschiebestopp nach Afghanistan gefordert. Die Bundesregierung hält an Abschiebungen nach Afghanistan fest. Dabei wird nach Erkenntnissen der Grünen auch in Regionen abgeschoben, die selbst nach Einschätzung der Bundesregierung unsicher seien.

Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt (SPD) will den landesweiten Abschiebestopp nach Afghanistan verlängern.