Herne. . In Herne ist die Zahl der Gewerbeanmeldungen deutlich gestiegen. Joachim Grollmann und Susanne Stegemann erläutern die Hintergründe.

  • Ein Grund für die Steigerung ist die Professionalisierung des Startercenters
  • Ein aktueller Trend ist die Gründung in der Nebenberuflichkeit
  • 80 Prozent der Neugründungen sind Solo-Unternehmen

Diese Nachricht ließ vor wenigen Tagen aufhorchen: Die Landesstatistiker hatten in einer Untersuchung der wirtschaftlichen Entwicklung von NRW herausgefunden, dass es 2014 in Herne im Vergleich zu 2000 erstaunliche 46,7 Prozent mehr Gewerbeanmeldungen gegeben hat. Joachim Grollmann, Chef der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Herne, und Susanne Stegemann, Leiterin des Startercenters der WFG, erläutern im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann, wie sie das Gründungsgeschehen in Herne sehen.

Eine Steigerung von mehr als 40 Prozent bei Gründungen. Hat Sie dieser Wert überrascht?

Grollmann: Auf der einen Seite hat es mich gewundert, auf der anderen Seite aber wiederum nicht. Herne ist häufig bei vielen Rankings auf einem der hinteren Plätze, beim Gründungsgeschehen liegen wir aber inzwischen erfreulicherweise im Mittelfeld. In diesen Bereich haben wir seit 2000 21 Kommunen in NRW hinter uns gelassen. Überrascht hat uns allerdings die Höhe der Steigerung. Das erklärt sich allerdings dadurch, dass wir 2000 von einem niedrigen Niveau gestartet sind und wir seither viel Arbeit in dieses Thema investiert haben.

Stegemann: Ein weiterer Faktor ist eine deutliche Professionalisierung. Wir haben 2008 das Startercenter gegründet. Hat sich in der Vergangenheit eine Halbtagskraft um Gründer gekümmert, haben wir jetzt ein ganzes Team.

Wie viele potenzielle Gründer beraten Sie?

Stegemann: Wir haben von 2000 bis 2016 mehr als 4000 Erstberatungen durchgeführt. Dabei gibt es eine Wechselwirkung. Steigt die Zahl der Arbeitslosen, steigt auch die Zahl derjenigen, die sich selbstständig machen wollen. 2010 und 2011 hatten wir einen besonderen Andrang. Seit einigen Jahren ist die Zahl der Erstberatungen auf etwa dem gleichen Niveau bei etwa 280.

Wie groß ist die Spanne der Gründungsideen?

Stegemann: Es ist immer wieder spannend, wer als nächstes durch die Tür kommt. Das kann die Logopädin sein, die inzwischen sechs Mitarbeiter hat. Es kann sich aber auch um eine Ausgründung eines Herner Unternehmens handeln, wie beispielsweise Flexolut IT. Das Unternehmen hat sich im Innovationszentrum in Herne angesiedelt. Ein Trend aktuell ist die Gründung in der Nebenberuflichkeit. Man will noch den festen Job behalten, hat aber eine Geschäftsidee. Es kommen aber auch Leute, die neben ihrer Rente eine Selbstständigkeit planen.

Die Herner Steigerungsrate ist auch deshalb erstaunlich, weil Herne, das Ruhrgebiet und Deutschland insgesamt nicht als Land der Gründer gelten.

Grollmann: Das ist ein Mentalitätsproblem. Israel und die USA sind lebendige Gegenbeispiele. In den USA denkt man zuerst an die Chancen, die eine Geschäftsidee hat, in Deutschland denkt man zuerst an das Risiko. Wenn jemand in den USA mit seiner selbst gegründeten Firma keinen Erfolg hatte und vom Markt verschwindet, hakt man das unter „Erfahrungen“ ab. In Deutschland ist man als Versager abgestempelt, der auch noch schlechte Kreditaussichten für die Zukunft hat. Wir müssen unsere Mentalität ändern.

Auch wenn Gründer in Zukunft vielleicht eher ihre Chancen sehen, muss ein Startercenter nicht auch auf Risiken hinweisen?

Stegemann: Wir beraten die Menschen bis zu dem Punkt, an dem sie selbst entscheiden können, ob sie das Risiko einer Selbstständigkeit eingehen wollen. Man muss auch mal abraten können. Wir beobachten in letzter Zeit aber auch zunehmend junge Kreative, die in ihrem Studium eine Idee entwickeln und irgendwann merken, dass es dafür einen Markt gibt. Sie schlittern quasi in die Selbstständigkeit. Auch das ist eine Zielgruppe, auf die wir zugehen wollen.

Wie kommen Sie an diese Zielgruppe heran?

Stegemann: Nicht unbedingt, indem man ihnen erklärt, wie man einen Businessplan schreibt, dazu muss man neue Instrumente entwickeln. Wir haben im November erstmals die Karaokeshow „Gründungs-Chaoten“ veranstaltet. Doch am Ende muss man auch diesen Gründern vermitteln, wie wichtig ein Businessplan ist. Darüber hinaus haben wir uns mit den Nachbarstädten vernetzt, um der Zielgruppe möglichst viel zu bieten. Im Kreativquartier in Wanne planen wir demnächst ein sogenanntes Ressourcencamp, um eine Plattform für kreative Gründungen zu schaffen.

Kommen wir noch einmal zurück auf die Steigerungsrate. Die liest sich enorm, doch wie ist der Effekt auf die Arbeitsplätze?

Grollmann: Über 80 Prozent der Neugründungen sind Solo-Unternehmen, die eine Dienstleistung anbieten. Eine Großansiedlung wie die des Logistik-Unternehmens Duvenbeck bringt zwar mehr Arbeitsplätze nach Herne als alle Gründungen eines Jahres. Es ist klar, dass wir bei der Schaffung von Arbeitsplätzen ohne große Unternehmen nicht weiter kommen. Aber junge Unternehmen bringen Innovationskraft und Schwung in die Stadt. Beim Thema Gründungen war Herne in der Vergangenheit auch deshalb benachteiligt, weil es keine Hochschule oder Fachhochschule hier gibt. Deshalb ist es der richtige Ansatz, den Forschungsverbund Ruhr-Valley anzusiedeln. Daraus können ganz neue Gründungsgeschichten und damit eine verstärkte wirtschaftliche Dynamik entstehen.