Herne. . Die Stadt hat Kritik an ihrer Rolle nach der Eskalation im Wohnblock Emscherstraße zurückgewiesen. Vorwürfen sieht sich auch die CDU ausgesetzt.
- Auf CDU-Antrag berichtet die Stadt im Hauptausschuss über Situation im Wohnblock Emscherstraße
- Verwaltung weist Vorwürfe zurück, dass sie nach Massenschlägerei im März 2016 zu wenig unternommen habe
- Politik fordert mehr soziale Angebote für Siedlung; Stadt will Dialog mit Bewohnern suchen
Die Stadt habe nichts zu verbergen und werde in der Sitzung alles „Stück für Stück“ abarbeiten – so hat Oberbürgermeister Frank Dudda am Mittwoch im Hauptausschuss einen von der CDU beantragten Sachstandsbericht eingeleitet. Das Thema: die Situation an der Emscherstraße und die Vorgänge nach einer Massenschlägerei zwischen jesidischen und libanesischen Bewohnern im März 2016. Nach dem Bericht und der Debatte stehen aber nach wie vor offene Fragen, Schuldzuweisungen und Kritik an Behörden im Raum. Zumindest in einem Punkt gibt es einen Konsens: Stadt und Politik sehen aufgrund „interkultureller Konflikte“ in dem Wanner Wohnblock Handlungsbedarf.
Die Stadt und die Jesiden
Wie berichtet, sind nach der Massenschlägerei am 27. März 2016 sowie Übergriffen und massiven Drohungen durch andere Bewohner rund 50 Jesiden aus der Emscherstraße geflüchtet. Die Stadt blendete diese unmittelbare Folge der Eskalation im Ausschuss fast komplett aus und konzentrierte sich vielmehr auf den Nachweis eigenen Handelns und den Hintergrund der Massenschlägerei beziehungsweise die Rolle der Jesiden.
Schon kurz nach der Schlägerei sei die Stadt tätig geworden und habe auch fortan ständig im Austausch mit Polizei, Staatsschutz und dem Zentralrat der Jesiden gestanden, erklärte OB Dudda. Bereits am 1. April und auch später habe es die „klare Ansage“ von Polizei und Staatsschutz gegeben, dass diese den ausreichenden Schutz aller Bewohner in der Siedlung gewährleisten könnten. Ein Muster ohne Wert, denn: Zu diesem Zeitpunkt wohnte schon längst kein Jeside mehr in Wanne.
Der polizeiliche Staatsschutz habe zudem erklärt, dass es sich am 27. März wohl nicht um eine religiös motivierte Auseinandersetzung, sondern um einen Einzelfall gehandelt habe. Am 14. April habe der Zentralrat der Stadt mitgeteilt, dass eine Rückkehr für die jesidischen Bewohner nicht mehr in Frage komme. Strafanzeigen („die Grundlage jeden Handelns“) habe es zu den einzelnen Vorfällen nicht vorgelegen. Und: Mit der Polizei habe es 2016 ständig Kontakt gegeben, zuletzt am 6. Dezember in großer Runde.
Die politische Ebene
Die CDU und auch die Grünen kritisierten die bisherige Informationspolitik der Stadt: Über den im Ausschuss von Dudda berichteten Ablauf habe die Politik zuvor keine Informationen erhalten. Der OB begründete dies damit, dass die Verwaltung das habe verhindern wollen, was nun eingetreten sei: eine öffentliche Stigmatisierung des Wohnblocks und eine Diskriminierung seiner 811 Bewohner. „Die Stadt hat hier eine Verantwortung“, sagte Dudda.
Vorwürfen sah sich aber auch die CDU ausgesetzt. Wie berichtet, hatte die Union im November 2016 in einer öffentlichen Pressemitteilung den Wohnblock als „Pulverfass“ bezeichnet, in dem „das Faustrecht“ herrsche. Dudda und Thomas Reinke (Grüne) warfen der Union und konkret CDU-Bürgermeisterin Andrea Oehler vor, nicht verantwortungsvoll mit diesem Thema umgegangen zu sein. Oehler und CDU-Fraktions-Chef Markus Schlüter wiesen dies zurück.
Die Situation in der Siedlung
Der Wohnblock Emscherstraße sei kein Kriminalitätsschwerpunkt und auch ordnungsrechtlich nicht auffällig, sagte Dudda unter Berufung auf die Polizei und den Kommunalen Ordnungsdienst. Interkulturelle Auseinandersetzungen insbesondere zwischen Jugendlichen gebe es in der Siedlung aber schon länger, weshalb die Stadt auch seit 2008 vor Ort ein Angebot der Evangelischen Jugend finanziere. 2011 habe es Spannungen mit polnischen Bewohnern und 2013 mit Menschen türkischer Herkunft gegeben. Das habe sich aber gelegt. Die Fluktuation im Wohnblock sei groß, so Dudda.
Wie geht es weiter?
Bei einem „Bürgerforum“ am 23. März in der Siedlung (wir berichteten) suche die Stadt den Kontakt zu den Bewohnern, um „ein Packende“ zu finden, so Dudda. Das Vertrauen in staatliche Institutionen sei nicht sehr groß. Die Chancen, dass auch der Vermieter - die Wohnungsgesellschaft Altro Mondo aus Hannover - der städtischen Einladung zum Forum folge, seien eher gering, sagte Sozialdezernent Johannes Chudziak. Als nachteilig habe sich erwiesen, dass die Gesellschaft die Aufgaben des vor Ort ansässigen Hausmeisters auf eine Liegenschaftsverwaltung übertragen habe. Mit Blick auf den Umfang des bisherigen Jugendhilfe-Angebots in der Siedlung - 0,9 Stellen für Sozialarbeit und Hausaufgabenhilfe - forderte (nicht nur) SPD-Fraktions-Chef Udo Sobieski: „Das reicht nicht, da müssen wir nachlegen.“ Jugenddezernentin Gudrun Thierhoff betonte, dass die Probleme nicht allein durch Jugendarbeit zu lösen seien.
Das Fazit von Thomas Nückel
„Sehr enttäuscht“ vom Auftreten der Stadt zeigt sich der Herner FDP-Landtagsabgeordnete Thomas Nückel, der der Ausschusssitzung als Gast beiwohnte. Er kritisierte gegenüber der WAZ, dass die Verwaltung sich hinter formalen Aspekten verschanze und die Vertreibung der Jesiden verharmlose. „So ein erheblicher Vorgang muss aufgearbeitet werden, damit er sich nicht wiederholt. Religiöse Minderheiten müssen geschützt werden“, so der FDP-Politiker, der im Landtag eine Kleine Anfrage zum Polizeieinsatz an der Emscherstraße gestellt hat.
Epilog
Klärungsbedarf hatte die CDU auch noch in einem weiteren Punkt angemeldet: Offensichtlich würden an der Emscherstraße lebende Personen „regelmäßig mit speziellen Bussen zu Arbeitseinsätzen abgeholt“, so der Hinweis der Union. Sozialdezernent Chudziak hatte dafür eine Erklärung: Viele rumänische Bewohner der Emscherstraße arbeiteten bei Westfleisch. Das Unternehmen organisiere den Transfer von Beschäftigten zum Arbeitsplatz.
>> INFO
Im Wanner Wohnblock Emscherstraße 76-96 leben nach Angaben der Stadt zurzeit 811 Menschen aus 24 Nationen.
321 Bewohner haben einen deutschen Pass - Deutsche stellen damit die größte Gruppe in der Siedlung. Außerdem leben dort laut Verwaltung unter anderem 276 Rumänen, 82 Türken, 52 Syrer und nur 20 Menschen mit libanesischem Pass.
Sozialdezernent Johannes Chudziak erklärte, dass wohl eine „große Zahl“ der 321 Deutschen einen Migrationshintergrund habe.