Herne. . Karin Leutbecher hat vor 20 Jahren den Ambulanten Hospiz- und Palliativdienst (AHPD) in Herne mitgegründet – die 49-Jährige im WAZ-Interview.

Fünf Jahre nach Einrichtung der Palliativstation gründete sich vor 20 Jahren im Ev. Krankenhaus Herne der Ambulante Hospiz- und Palliativdienst (AHPD). Die Sozialarbeiterin Karin Leutbecher hat ihn mit aufgebaut. Mit ihr sprach WAZ-Redakteurin Ute Eickenbusch.

Frau Leutbecher, was hat Sie damals bewogen, zu dem klinischen Angebot für Schwerstkranke ein ambulantes einzurichten?

Karin Leutbecher: Es kam immer die Rückmeldung „Auf der Station wird man so gut versorgt“, auch multiprofessionell. Da war die Überlegung, wie wir die Brücke nach Hause schlagen können. Gemeinsam mit Walter Tschirch, der bis Herbst 2016 Vorstandsvorsitzender des Fördervereins gewesen ist, haben wir in Herne den ersten ambulanten Hospizdienst ins Leben gerufen. Damals wurden typischerweise die Hospizdienste in NRW durch Sozialarbeiter koordiniert. Dank einer Landesförderung konnte eine halbe Stelle teilweise finanziert werden. Der Rest musste damals, wie heute, aus Spenden finanziert werden.

Was fehlte den Patienten zu Hause, was sie Ihnen anbieten wollten?

Das eine war eine fachliche Beratung und Unterstützung. Und dann einfach die Möglichkeit, mit Hilfe von ehrenamtlich Mitarbeitenden, Menschen am Lebensende Zeit zu schenken, Gespräche zu führen und Angehörige zu entlasten. Wir hatten auch von vorneherein die Idee, dass man eng vernetzt arbeiten muss, z.B. mit dem Pflegedienst und dem Hausarzt.

Was können Angehörige von Ihnen erwarten - außer mehr Zeit?

In unserem hauptamtlichen Team finden die Betroffenen neutrale, fachlich versierte Ansprechpartner, mit unterschiedlichen beruflichen Schwerpunkten. Sie werden zu den verschiedensten Unterstützungsmöglichkeiten informiert und finden fundierte Beratung im Umgang mit Demenz, Abschied und Trauer. Oft hadern die Angehörigen mehr mit dem bevorstehenden Abschied und Tod als die Erkrankten selber. Daneben ist es ein ganz großer Wert, wenn man in einer Pflegesituation steckt, mal für zwei Stunden in Ruhe einkaufen zu gehen oder zum Friseur. In den ehrenamtlichen Begleitern gewinnen sie einen neutralen Gesprächspartner, mit dem man auch mal die eigenen Sorgen teilen kann und von dem man eine Rückkopplung bekommt.

Da entsteht ja im besten Fall eine intime Beziehung. Ich stelle mir vor, dass das nicht immer klappt.

Das ist eine der Hauptherausforderungen für uns, herauszufinden, wer könnte in der Begleitung hilfreich sein. Wir schulen unsere Ehrenamtlichen ja selbst, wir kennen alle sehr gut, wir wissen, wie sie zum Thema Krankheit stehen, ob sie Abschiedserfahrungen haben, wie sie mit sozial schwierigen Situationen umgehen, ob sie Angst vor Demenz und Komapatienten haben ... Dazu kommt eine gute Portion Bauchgefühl. Hat jemand eine ähnliche Berufsbiografie, kommt er aus dem gleichen Stadtteil? Das kann eine tolle Ergänzung sein, wenn jemand zu den Kranken sagt: Wir machen jetzt das, was sie sich wünschen. Wir hören Ihre Musik und ich lese Ihnen aus der Zeitung vor.

Passiert das, dass es nicht passt?

Das passiert, ist aber relativ selten. Ich kann es in den letzten Jahren an einer Hand abzählen. Weil wir gut vorsortieren und von beiden Seiten eine hohe Motivation da ist, aufeinander zuzugehen. Aber wenn es passiert, können die Patienten und Angehörigen oder natürlich auch die Ehrenamtlichen uns Bescheid geben.

Wie bereiten Sie denn die Ehrenamtlichen auf ihre Einsätze vor?

Jeder muss bei uns den Kurs „Leben bis zuletzt“ machen. Wir haben mit einem Kurs über knapp 30 Stunden angefangen, inzwischen sind wir bei 90 bis 100 Stunden. Da geht es stark darum, die eigene Motivation abzuchecken. Warum will ich gerade in dieses Ehrenamt und z.B. nicht mit Kindern oder Flüchtlingen arbeiten? Meistens ist das eine sehr persönliche Motivation. Und es geht um praktische Fragestellungen: Umgang mit Symptomen, Schmerzen oder Übelkeit. Kommunikation ist ein Thema. Zum Beispiel: Wie kommuniziere ich, wenn jemand nicht mehr spricht? Wir machen keinen Frontalunterricht, sondern Übungen, Rollenspiele und Gesprächsrunden. Das ist eine Schulung, die auch an die Selbsterfahrung geht. Man sollte bereit sein, sich zu hinterfragen, auch später in der Begleitung.

Erfordert der Umgang mit Demenzerkrankten eine besondere Schulung?

Auf jeden Fall. Wir sind zum dem Schwerpunkt im Laufe der Zeit gekommen. Anfangs haben wir überwiegend Krebspatienten betreut. Wir haben aber gesehen, dass der Bedarf in Altenheimen riesengroß ist. Auch da sind Menschen allein und brauchen Begleitung. Der Förderverein Lukas-Hospiz e.V. hat uns dann gefragt, ob wir den Schwerpunkt einführen wollen. Bei uns haben dann alle Ehrenamtlichen eine Grundschulung bekommen. Ehrenamtliche, die sehr stark in dem Bereich engagiert sind, bekommen noch eine zusätzliche Schulung.

Aber die Heime haben doch auch Fachkräfte ...

Wir sind als Hospizdienst in den Heimen genauso tätig wie bei dem Patienten zu Hause. Wir besuchen dort die Kranken. Im Heim sind die Menschen pflegerisch versorgt und nicht alleine gelassen, und trotzdem haben sie das Bedürfnis, dass sich jemand zu ihnen ans Bett setzt und die Zeit mitbringt, sich auf den einen Menschen zu konzentrieren.

Sie sind Teil des hiesigen Palliativ-Netzwerkes mit 30 Partnern. Ist Herne da besonders weit vorne?

Wir sind gut in der Öffentlichkeitsarbeit, haben auch Veranstaltungen zur Patientenverfügung ins Leben gerufen. Weit vorne sind wir bei der Integration der Heime in die Palliativ-Netzwerkarbeit. Ich persönlich wünsche mir, dass wir noch mehr Mediziner ins Netzwerk bekommen. Wir haben den Palliativkonsiliardienst (PKD) mit sechs Medizinern, wir haben einzelne Mediziner in Krankenhäusern, aber das könnten deutlich mehr sein.

Eine Frage zum Schluss: Wird durch die Professionalisierung den Angehörigen nicht die Begleitung ihrer Sterbenden aus der Hand genommen?

Unser Ziel ist es, die Angehörigen zu befähigen, dass sie so viel wie möglich selber schaffen. Aber am Lebensende tauchen viele Probleme auf und wir merken, dass die Angehörigen sehr hilflos sind und dann geht es doch noch ins Pflegeheim oder ins Hospiz. Auf die Frage, wo sie sterben möchten, antworten sie zu einem hohen Prozentsatz: „Zu Hause, bei meinen Lieben“. Aber die Lieben sind auch oft überfordert. Wir möchten die Menschen so unterstützen, dass sie wirklich zu Hause bleiben können. Es ist eine Gratwanderung: Ja, es braucht Professionalisierung, denn wir können viel tun, um Leid zu lindern, ob medizinisch, pflegerisch, psychosozial oder durch hilfreiche Informationen. Wichtig ist uns aber trotzdem, die Autonomie der Kranken und ihrer Familien zu bewahren und ihnen nichts abzunehmen.

>> WEITERE INFORMATIONEN:

Der AHPD begleitet mit derzeit 50 bis 60 Ehrenamtlichen um die 100 Patienten im Jahr.

Zum Team der Hauptamtlichen gehört neben Sozialarbeiterin Karin Leutbecher Karola Rehrmann als Religions- und Sozialpädagogin und Annegret Müller, Fachfrau für gerontopsychiatrische Pflege.

Der AHPD ist Mitglied im Palliativ-Netzwerk Herne, Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel e.V., dem 30 Mitglieder angehören, u.a. Krankenhäuser, ambulante Hospizdienste, das Lukas-Hospiz. Kontakt: 0800 / 900 91 91

Zum Auftakt des Jubiläumsjahres lädt der AHPD mit einem Chor am Sonntag (15.), 18 Uhr, zum Gottesdienst in die Kreuzkirche. Die Ausstellung „Demensch“ von Peter Gaymann ist noch bis 20. Januar in der Sparkasse zu sehen.

Info: HER 988290, info@ ahpd-herne.de, www.ahpd-herne.de, facebook.com/ahpd.herne