In der Forensik in Herne sitzen psychisch kranke Straftäter ein. Adeline Herweg arbeitet in diesem riskanten Umfeld - und liebt ihren Beruf.

  • Sobald Herweg das Stationszimmer verlässt, hat sie ein Funkgerät dabei, um Hilfe zu holen
  • Patientenzimmer betritt die 34-jährige Krankenpflegerin nie allein
  • Nachtschicht ist für Adeline Herweg wohltuend: „Tag kann sehr aufreibend sein“

Das Stationszimmer von Adeline Herweg ist hell erleuchtet. Von hier hat die 34-Jährige alles im Blick, die Monitore, die Flure, das Telefon, die Rufanlage. Im Hintergrund hängt ein Adventskalender, auf dem Tisch stehen Kaffee und Plätzchen, eine ganz normale Station abends um 23 Uhr. Aber das Arbeitsumfeld ist alles andere als normal. Adeline Herweg ist Krankenpflegerin in der LWL-Maßregelvollzugsklinik in Herne.

Herweg sagt: „Ich wollte in die Psychiatrie. Im ,normalen’ Krankenhaus hat man fünf Minuten Zeit für die Patienten, man arbeitet wie am Fließband. Das wollte ich nicht.“ Jeder denke bei der Forensik an Zwangsjacken und weiße Kleidung. Das Bild sei falsch: „Tatsächlich redet man sehr viel mit den Menschen.“

Nie allein in ein Patientenzimmer

In der hochgesicherten Forensik sitzen Menschen ein, die vom Gericht aufgrund ihrer Krankheit als nicht oder nur vermindert schuldfähig eingestuft worden sind. Herweg arbeitet in einem riskanten Umfeld. „Die Menschen hier haben eine Straftat begangen. Das ist nicht ungefährlich.“ Alleine betrete sie nie ein Zimmer, immer befinde sich ein Kollege im Hintergrund. Sobald sie das Stationszimmer verlässt, hat sie den Schlüsselbund und das Funkgerät dabei. In der Forensik muss das Pflegepersonal wachsam sein, jeder ist für die Sicherheit mitverantwortlich. „Wenn ein Kollege zehn Minuten weg ist, wird man schon aufmerksam.“

Die Patienten in der Herner Forensik leiden an Psychosen oder Persönlichkeitsstörungen. Der Aufbau von Beziehungen sei daher besonders wichtig, sagt Herweg. Sie seien eben psychisch krank - und das gelte auch für Vergewaltiger. „Ich stelle das Delikt in den Hintergrund. So unwahrscheinlich es scheint, man entwickelt ein Verständnis für den Patienten“ - ein Verständnis für die Krankheit und nicht für die Tat. Deshalb treffe sie zunächst den Patienten und schaue danach in die Akte. „Manchmal brauche ich dann auch ein, zwei Tage Abstand.“

Die Zimmertüren sind seit viertel vor zehn verschlossen. Sie werden erst wieder am nächsten Morgen geöffnet. Auf den Fluren herrscht nachts Stille, die Patienten schlafen in ihren Einzel- oder Doppelzimmern. Den Spätdienst mag Herweg nicht so sehr, dann sei immer viel los. „Manchmal ist es einfach wohltuend, nachts zu arbeiten. Der Tag kann sehr aufreibend sein.“

Dartscheibe im Flur

Krankheit, Verbrechen, geschlossene Psychiatrie - und dennoch findet in der Forensik ein normales Leben statt. Im Flur der Station hängt eine Dartscheibe. Innerhalb der fünfeinhalb Meter hohen Mauern gibt Küchen, Aufenthaltsräume mit Tischtennisplatten, eine Turnhalle, eine Holzwerkstadt und einen Lehrer, mit dessen Hilfe die Patienten Schulabschlüsse erreichen können.

Adeline Herweg knipst das Licht des Besucherzimmers an. Hier dürfen sich Patienten mit Eltern oder Geschwistern oder auch Partnerinnen zurückziehen. Eine Couch und ein paar Bilder sollen den Raum gemütlich machen. Die Sicht nach draußen wird gekreuzt von grauen Gitterstreben.

Die 34-Jährige schließt die Tür wieder ab. So geht das die ganze Zeit, Tür auf, Tür zu, abschließen. Kontrolle und Sicherheit sind auch in der Nacht ihre ständigen Begleiter.

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Herweg und ihre Kolleginnen arbeiten im Schichtdienst, tagsüber sind mindestens zwei bis vier Krankenpfleger auf der Station, nachts ist Herweg alleine, kann aber jederzeit Kollegen herbeirufen. Insgesamt sind sechs Pflegebeschäftigte nachts in der Klinik und unterstützen sich gegenseitig.

Konfliktsituationen gebe es jeden Tag, meist über alltägliche Fragen wie Zigarettenausgabe oder Fernsehzeiten. Therapeutisch nutze man s olche Konflikte als „Reibungsmilieu“. Sie lernen dadurch, mit ihren Gefühlen umzugehen und Konflikte konstruktiv zu lösen. Und Therapeuten, Ärzte und Krankenpfleger erhalten ein besseres Bild des Menschen - das kann für eine mögliche Entlassung entscheidend sein.