Hannes Loenhoff wurde mit neun Jahren im Jungvolk angemeldet. Es folgten Hitlerjugend, Flak-Wehrmänner und später die Front in Polen. Er dachte mit seinen Kumpels eher an die Mädels
In seinem Lazarett-Ausweis, den Hannes Loenhoff (79) samt Dienstmarke ganz ordentlich in einer Klarsichthülle bewahrt, ist sein Entlassungsdatum per Schreibschrift eingetragen - es ist der 16. Februar 1945. "Dieser Tag ist mein zweiter Geburtstag", sagt Loenhoff, denn nur Tage zuvor wurde er als Notfall mit Schussverletzung von der Front in den OP-Saal gebracht.
Im Winter 1945, mit 18 Jahren, kämpfte Loenhoff an der polnischen Front bei Ratibor. "Ich war sechs Monate dort, da zerfetzte eine russische Gewehrkugel meinen Schenkel", erinnert er sich nach über 60 Jahren. Doch der Weg an die Front lief "reibungslos und völlig automatisch", er habe sich auch nie als Nazi oder Kriegsverbrecher gefühlt. "Wir waren jung und es war eine völlig unpolitische Handlung", sagt der Ex-Lehrer.
Sein Vater, Studienrat und NSDAP-Mitglied, habe ihn mit neun Jahren beim Jungvolk angemeldet. "Mit 14 Jahren kam ich in die Hitlerjugend. Da bist du in der Pubertät mit den Kumpels, denkst an Mädels und nicht an Krieg."
Die Vorwürfe, die jetzt gegen seine Generation, darunter Martin Walser, Dieter Hildebrandt und Siegfried Lenz erhoben würden, seien völlig absurd. "Wir waren alle noch Kinder", fügt er hinzu.
Jetzt, 60 Jahre später, redeten vor allem diejenigen, die überhaupt keine Ahnung hätten. "Ich kann mich erinnern, dass bei uns im Bücherregal jüdische Literatur stand", sagt Loenhoff. Und von den Deportationen in die Vernichtungslager habe man überhaupt nichts gewusst.
Mit 16 sei er mal nach Auschwitz gekommen, doch zwei Kilometer vor der Stadt sei alles abgeriegelt gewesen. Natürlich habe er von den KZ gehört, doch er habe es für Feindpropaganda gehalten. "Ich habe nichts gesehen. Für mich und meine Freunde war der Kriegsdienst so eine Art 'Abenteuer' in Uniform", sagt Hannes Loenhoff. Doch dieses "Abenteuer" endete an der Kriegsfront - dort verlor er beim ersten Einsatz einen Freund durch Kopfschuss und später starb sein bester Kumpel in Kriegsgefangenschaft an Typhus. "Spätestens da war unsere Jugend und die Leichtigkeit vorbei", sagt er und schaut zu Boden.
Nachdem er das Lazarett in Eisleben, der heutigen Partnerstadt von Herne, verlassen habe, begann die Flucht gen Westen. "Wir mussten ums Überleben kämpfen", sagt Loenhoff. Auf der Flucht habe sein Vater auf Müllhalden nach Brot gesucht. "Meine Eltern haben ihren gesamten Schmuck bei Bauern verkauft, damit wir was Essen konnten", sagt er. Doch die Eheringe haben sie behalten, fügt er hinzu - und schaut wieder zu Boden Loenhoff hat sich vorgenommen, dass er keines seiner vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter, jemals in einer Uniform sehen muss. "Und es ist mir gelungen", freut er sich.
"Ich kann mich erinnern, dass im Bücherregal jüdische Literatur stand"
Foto: Winfried Labus, pi