Herne. Das Verhältnis der Lebenden zu den Toten hat sich gewandelt. Das Familiengrab alter Prägung weicht "pflegeleichten" und kostengünstigen Bestattungsformen. Auch die Laufzeiten werden kürzer.
"Pflegeleicht" und "preiswert" sollen die Gräber der Moderne sein, Stätten der letzten Ruhe, die immer seltener eine Ewigkeit dauert, sondern vielleicht zwölf oder 25, höchstens 30 Jahre. Pflegeleicht und preiswert, das sind Attribute, die erst einmal schlecht in Einklang zu bringen sind mit der Aura eines Friedhofes. Und doch sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Lagen vor 20 Jahren noch 95% aller Toten in Herne im Sarg, ist im laufenden Jahr jede zweite Beerdigung eine Urnenbestattung.
Kein Zweifel, es hat ein Wandel stattgefunden im Verhältnis der Lebenden zum Tod. Als Leiter des städtischen Fachbereichs Stadtgrün sieht Heinz-Jürgen Kuhl das Thema mit der Nüchternheit eines Verwaltungsmenschen. Die Grabwahl spiegelt für ihn die Sorge einer älter werdenden Bevölkerung, dass niemand da sein wird, um mit Blumen und Schaufel die Grabstelle aufzusuchen. Weil Sohn oder Tochter selbst alt oder krank sind, weil sie fern der Heimat wohnen. "Der Kauf von Wahlgräbern ist in den letzten 20 Jahren deutlich zurückgegangen", sagt Kuhl. Liegezeiten würden nicht mehr verlängert, ja sogar die Nutzungsrechte vorzeitig zurückgegeben. Gegen eine Ablösung übernimmt die Stadt für die restliche Laufzeit dann die Pflege. Die Konsequenz aus alledem: "Wir haben viel zu viel Friedhofsfläche." Zwar laufen die Nutzungsrechte irgendwann aus, doch bis dahin "müssen wir die Infrastruktur unterhalten", sagt Kuhl. Wege pflegen, Müll entsorgen, Wasser vorhalten für die wenigen, die noch ihre Angehörigen besuchen. Ein Dilemma, das sich in den Friedhofsgebühren niederschlägt, die laut Kuhl vor allem aber deshalb so hoch sind, weil immer noch nicht die 16 Mio DM teure Sanierung des Nordfriedhofs Ende der 80er Jahre verkraftet ist.
Die Möglichkeit, die Asche zu verstreuen wird nicht angenommen
Das Geld beschäftigt aber nicht nur die Friedhofsträger, weiß Kuhl. 15% der an sich fälligen Gebühren kann die Stadt jährlich in den Wind schreiben, weil Hinterbliebene nicht zahlen. Andere wählen gleich preiswertere Formen: die Urnenbestattung, die Grabkammer und demnächst voraussichtlich die Kolumbarien als steinerne Ruhestätte. Die ersten werden 2009 auf dem Hauptfriedhof eingerichtet. Kaum genutzt wird dagegen die Möglichkeit, die Asche auf einem besonderen Feld zu verstreuen. Ein Trend aus der ehemaligen DDR, so Kuhl, der hier kaum Anhänger findet.
Die Grabkammer war von allen Möglichkeiten bisher die am meisten gewählte. Reihe für Reihe werden die Kammern - von Flatterband wie eine Großbaustelle umgeben - derzeit zum zweiten Mal belegt, wobei der pure Beton neben dem frischen Grab so manchem Trauernden die Seele zusätzlich beschwert. Das sei nicht zu ändern, bedauert Heinz-Jürgen Kuhl. Auf die nach zwölf Jahren ausgeräumten Grabkammern noch einmal Rasen aufzubringen, sei einfach zu teuer.
Dass im laufenden Jahr das Urnengrab erstmals der Grabkammer den Rang abläuft, liegt möglicherweise daran, dass es inzwischen komplett mit einer Grabplatte abgedeckt werden kann, was eine Pflege überflüssig macht. Auch ein anonymes Urnenfeld hält die Stadt auf dem Wiescherfriedhof vor. 80 bis 90 Bestattungen finden hier jährlich statt von Verstorbenen, die das so gewünscht haben. Nicht immer leicht für Hinterbliebene, die im Gegensatz zur Friedhofsverwaltung nicht wissen, wo genau die Urne liegt. Ihnen bleibt allein die Möglichkeit, Blumen und Kerzen am Rande des Feldes aufzustellen und auf einer Bank zu verweilen.
Wie sieht der Friedhof der Zukunft aus? "Auf jeden Fall kleiner", sagt Kuhl. "Wir halten doppelt so viel Fläche vor, wie wir brauchen." Nach und nach werden die Flächen entwidmet und ausgegliedert. Ganze Areale abzutreten an private Friedhofsgärtnereien wie in Gelsenkirchen, davon hält er nichts: "Da holen wir uns die Konkurrenz auf den eigenen Friedhof."