Herne. Sindy Dzierzengas Frühstücksservice öffnet morgens ab vier Uhr. Ihre Kundschaft ist bunt gemischt. Manch einer hält ihr seit zehn Jahren die Treue.
- Hernerin betreibt ihren Laden an der Roonstraße seit zehn Jahren
- In den ersten drei Jahren konnte sie keinen Urlaub machen
- Mittlerweile hat sie viele Stammkunden, die seit Jahren kommen
„Was war letzte Woche? Krank?“, fragt Sindy Dzierzenga. „Nee, Urlaub“, antwortet der Gast und nippt an seinem Kaffee. „Urlaub. Das Wort kennen wir gar nicht“, sagt ein anderer, der zwei Brötchen und vier Eier vor sich hat.
Die Frühaufsteher kennen sich in „Sindy’s Frühstücksservice“. Und Sindy kennt sie. Alle. „Manche, die nehmen seit zehn Jahren das Gleiche“, sagt die 35-Jährige.
Für viele Herner gehören Kaffee, Zeitung und Sindy zusammen. Sindy weiß, was die Kundschaft will. Und die Kunden wissen das zu schätzen. „Moin“, sagt der Mann nur, der um kurz nach vier den Laden an der Roonstraße 25 betritt. Gibt sein Geld ab, bekommt eine Zeitung, die die Inhaberin gefaltet in ihrer Hand hielt. „Tschüss.“ Mehr ist nicht. „Manche sind gesprächig, andere noch muffelig“, sagt Dzierzenga. Mit den Gesprächigen redet sie über alles, über Urlaubspläne, über Schwiegereltern, über den neuen Freund ihrer Tochter. Oder über Motorräder. „Schon gekauft?“, fragt sie einen Stammkunden. „Nee, noch keinen Stellplatz.“ Er erzählt von den Schwierigkeiten, den Vor- und Nachteilen eines Naked Bikes. Sindy hört zu. Der Mann kommt fast jeden Tag. „Ich würd’ auch Sonntag kommen, aber da hat der Laden zu“, sagt er laut, extra laut, damit es die Inhaberin hört. Sie lacht.
Einbrecher werfen Scheiben ein
„Sonntag bestehe ich auf mein Frühstück. Da darf es auch mal neun oder zehn Uhr sein“, sagt sie. Montags bis samstags klingelt bei der 35-Jährigen um 2.45 Uhr der Wecker. Um 3.15 Uhr steht sie im Laden, bereitet Wurst, Käse und Brötchen vor, die ein Bäcker für sie herstellt. Immer mit dabei: Ari, ein siebenjähriger Husky. Mit müden Augen liegt er auf der Fußmatte, hebt den Kopf nur, wenn Randstücke vom Aufschnitt für ihn abfallen. Aber er kann auch anders. „Ich bin froh, dass er da ist. Er passt auf mich auf“, sagt Dzierzenga. Vor allem Samstagnacht, wenn die Gegend zur Bühne der Nachschwärmer wird. Zweimal haben sie die Scheiben schon eingeworfen von „Sindy’s Frühstücksservice“. Einem Einbrecher ist sie zum Glück noch nicht begegnet.
An die Anfänge kann Ari sich nicht erinnern. Das war vor seiner Zeit. Der Laden des Vorbesitzers lief schlecht, Sindy Dzierzenga verlor ihren Job. Drei Monate später kam ein Anruf, ob sie an dem Laden Interesse habe. Sindy übernahm das Lokal mit ihrem Mann Darius.
In den ersten drei Jahren haben die beiden keinen Urlaub genommen. Mittlerweile haben sie eine Stammkundschaft und können mal „Luft schnappen.“ Doch eine Sache hat sich nicht geändert: Hinter der Theke, da steht immer Sindy Dzierzenga. „Ich habe nur einmal gefehlt. Als der Blinddarm meines Kleinen kurz vor dem Durchbruch stand.“ Sie selbst ist hart im Nehmen: „Ich stand schon mit 40 Grad Fieber hinter der Theke.“
Arbeit macht Dzierzenga Spaß
Die Tür schwenkt auf, ein Mann in einem feinen, blauen Geschäftsanzug betritt das Lokal. „Guten Morgen, Herr Meier“, begrüßt sie ihn. Herr Meier muss heute nach München, mit dem Flieger. Die Männer, die nach ihm kommen, tragen andere Berufskleidung. Blaumänner. „Wir müssen heute nach Hannover“, sagt Karl-Heinz Walter. Der Verkaufsladen mache schon früh auf, deshalb seien sie hier. Vor einiger Zeit stellte Sindy die Öffnungszeiten um. „Bei vier Uhr ist meine Schmerzgrenze erreicht“, sagt Dzierzenga. Nach zehn Jahren arbeitet sie wie einstudiert. Einmal sei sie sonntags aufgestanden und wie in Trance zum Laden gefahren. Aber darüber kann sie lachen. „Wenn man keinen Spaß an der Arbeit hätte, könnte man das nicht machen.“
Dzierzengas Laden hat alles: Fleischwaren, Getränke, Zeitschriften, Alkohol, Zigaretten. Was der Mensch eben braucht. Sie beliefert auch Firmen und ältere Menschen. Ihr Mann hilft dann mit, manchmal packen auch die Kinder, zwölf und 15 Jahre, an und verdienen sich ein Taschengeld dazu. Ob sie der Arbeit ihr ganzes Leben nachgehen könne, wisse sie nicht. „Vielleicht steh’ ich später mit einem Rollator hinter der Theke und mache Essen auf Rädern.“
>> KOMMENTAR:
Was verleiht einer Stadt ein Gesicht? Sicherlich, die Häuser, die Industriebauten, Kirchen, Museen und die Landschaft. Aber die Ecken und Kanten im Gesicht machen die Menschen.
Eine Stadt lebt, weil Menschen in ihr arbeiten. Wo arbeiten sie, was lieben sie an ihrem Job? Und was nicht?
Eine Stadt lebt, weil Menschen in ihr leben. Wo trifft man sie? Wo amüsieren sie sich? Wo finden sie Hilfe und Freunde?
Eine Stadt ist wie ein Puzzle, das sich aus tausend Teilen zusammensetzt. In unserer Serie „24-h-Herne“ wollen wir wenigstens 24 davon betrachten. Über jede Stunde schreiben wir eine Geschichte, schauen sozusagen für 60 Minuten durch ein Fenster und konzentrieren uns immer auf das, was eine Stadt lebendig macht: der Mensch.