Als Kohlenhändler klein angefangen, kometenhaft aufgestiegen und wegen krummer Touren krachend abgestürzt – die Karriere des Erhard Goldbach in Kurzform.

In anderen Worten (nämlich denen des Herner Historikers Ralf Piorr): „Es ist bis heute der größte deutsche Steuerskandal. Niemand hat den Staat um mehr Geld betrogen, niemand saß für ein Wirtschaftsverbrechen länger im Knast; und es ist einfach die größte Herner Geschichte überhaupt.“

1956 – vor 60 Jahren – baut Goldbach an der Heerstraße in Crange seine erste Tankstelle. Es ist die Keimzelle eines Unternehmens, das in den 1970er-Jahren mit 260 Stationen unter dem blau-gelben Goldin-Logo zur größten freien Tankstellenkette Deutschlands anwachsen wird. Die Devise: „Immer zwei Pfennig billiger als die Konkurrenz.“ Dabei spielt dem Emporkömmling auch die Ölkrise 1973 samt Preisschock in die Karten. Bis 1978 klettert sein Jahresumsatz auf rund zwei Milliarden D-Mark.

Der Mann wird wie ein Popstar gefeiert: Ölkönig von Wanne, Robin Hood der Zapfsäulen, Graue Eminenz bei Westfalia Herne, das mit seinen Millionen in die Bundesliga will. Laut Ralf Piorr soll Bayern-Präsi Neudecker gefordert haben: „Schickt uns diesen Mann nach München!“ Der aber bleibt, zum Glück der Bayern-Bosse, im Kohlenpott. Bis zum Kollaps seines Kartenhauses (und dem postwendenden Lizenzentzug für die Westfalia, siehe Info-Kasten).

Obwohl es schon Anfang der 1970er-Jahre Hinweise auf massive Unregelmäßigkeiten und Missmanagement gab, rückt die Zollfahndung erst am 24. Juli 1979 an der Heerstraße zu einer Großrazzia an. Goldbach und seiner Geliebten gelingt zunächst die Flucht ins Ausland.

Ein gutes halbes Jahr später, nach „Aktenzeichen XY“-Berichterstattung und Interpol-Fahndung, wird er trotz abenteuerlicher Maskerade und Vollbart im beschaulichen Boppard verhaftet.

Den Sprit mit Altöl gestreckt

Das ganze Ausmaß seiner Machenschaften wird erst nach und nach deutlich. Aus heutiger Sicht wirkt es wie eine haarsträubende Krimi-Burleske. Zig Millionen Liter Sprit hat Goldbach am Zoll vorbeigeschmuggelt und mit fingierten Belegen vor dem Finanzamt verschleiert. Mit seiner 1973 gegründeten „Gesellschaft für Umweltschutz“ soll er altes Öl und Schmierstoffe entsorgt haben – auch indem er seinen Sprit mit dem Abfall streckte. Geld hat seine Geliebte immer wieder bar abkassiert und im Kofferraum auf abenteuerlichen Wegen in die Schweiz befördert.

Als die Öl- und Benzinpreise Ende der 1970er-Jahre wieder anziehen, Goldbach aber seine Dumpingpreise nicht aufgeben will, setzt er auf wahnwitzige Expansion. Das Prinzip gleicht einem Roulettespieler, der nach verlorenem Spiel auf Rot oder Schwarz wieder und wieder seinen Einsatz verdoppelt. Da er den Steueranteil erst mit Verspätung abführen muss, nutzt er das Geld, um weitere Umsätze einzufahren und seine alten Steuerschulden abzutragen. Das kann nicht lange gut gehen, da er längst unter Wert verkauft – und immer höhere Schulden anhäuft, am Ende sollen es in Summe rund 360 Millionen Mark sein. Wie der erfolglose Roulette-Zocker ist Goldbach am Limit angelangt - und darüber hinaus.

Pikanterie am Rande: Offensichtlich ist der Ölkönig über viele Jahre protegiert worden. Nicht nur von heimischen Verwaltungsmitarbeitern, die es mit Umweltschutzauflagen nicht so genau nehmen. Sondern von höchsten Kreisen bis ins Bonner Finanzministerium, wie der „Spiegel“ im Februar 1980 genüsslich berichtet: „Steuerschulden, so scheint es, müssen nur hoch genug sein, dann ist die Last leichter zu tragen: Die Finanzbehörden sind gern zur Stundung bereit.“

Zu derlei Begünstigungen trägt offenbar auch bei, dass Goldbach sich nicht lumpen lässt: Auf seinem Gut im Bergischen, berichtet Piorr, lädt er zur zünftigen Treibjagd ein – oder bahnt Kontakte mit charmanten Damen in seinem Rösrather „Club Harmonie“ an.

Der Wanner Ölkönig wird 1980 wegen Betrugs zu sechs und 1985 wegen Steuerhinterziehung zu weiteren zwölf Jahren Haft verurteilt, von denen er neun absitzt. 2004 stirbt Erhard Goldbach, das von ihm unterschlagene Geld ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Das ändert sich auch 2010 nicht, als im früheren Wohnhaus des Betrügers in einem Geheimversteck ein Tresor entdeckt wird. Vor laufenden Kameras des WDR wird der Geldschrank aufgefräst.

Er ist leer.