Herne. . Landtagspräsidentin Carina Gödecke hat im Herner Kinder- und Jugendparlament mit G 8 abgerechnet und den Vorstoß für eine Reform angekündigt.

  • Landtagspräsidentin Carina Gödecke lässt in Herne kein gutes Haar an G 8
  • Sozialdemokratin räumt große Fehler ein
  • Diskussion mit dem Herner Kinder- und Jugendparlament

Eigentlich ein ganz normaler Gesprächstermin: Landtagspräsidentin Carina Gödecke hat am Montagabend Vertreter des Herner Kinder- und Jugendparlaments (KiJuPa) getroffen. Die Diskussion entwickelte sich jedoch im Ratssaal zu einer schonungslosen Abrechnung mit der unter dem Schlagwort G 8 bekannten Schulzeitverkürzung, die in Gödeckes Bekenntnis gipfelte: „Wir Erwachsenen versündigen uns an euch.“

Zuvor hatte die große Mehrheit der 13- bis 19-jährigen Schüler verschiedener Herner Schulen auf ebenso beeindruckende wie bedrückende Weise offenbart, wie sehr ihnen die 2005 eingeführte Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur von 13 auf zwölf Jahre zusetzt: Von 38-Stunden-Wochen war ebenso die Rede wie von einer drastischen Beschneidung der Freizeit, Abmeldungen aus Vereinen oder der Musikschule sowie von „großem Stress“ und „starkem Druck“.

„Es ist objektiv so, dass ihr weniger Freizeit habt“, sagte Carina Gödecke. Die Sozialdemokratin lobte, dass die Schüler sich nicht scheuten, das „scheiße zu nennen, was scheiße ist“. Die Gesellschaft erwarte von den Schülern, dass sie durchgetaktet seien: „Das ist nicht in Ordnung. Ihr seid Jugendliche, ihr sollt Spaß haben und Erfahrungen sammeln.“

Zweifel an der Inklusion in Schulen

Die Entwicklung hätte man bei Einführung von G 8 ahnen können, wenn man nicht blauäugig oder blind gewesen wäre, so die Bochumerin. Ihre Partei und sich selbst nahm sie in ihrer Generalkritik nicht aus: „Alle Fraktionen sind dem politischen Mainstream gefolgt.“ Die internationale „Konkurrenzfähigkeit“ habe damals im Fokus gestanden. Die 2005 gewählte schwarz-gelbe Landesregierung habe bei der Umsetzung von G 8 aber auch falsche Weichen gestellt.

„Wir sind nun an einem Punkt, an dem Politik handeln muss“, sagte Gödecke. Die SPD werde im anstehenden Landtagswahlkampf Bildung in den Mittelpunkt stellen. Sie könne sich die Einführung eines „dynamischen Systems“ vorstellen, in dem Schüler sich erst in der Oberstufe entscheiden, ob sie das Abitur in zwei oder drei Jahren machen wollen. „Das kann man organisieren, das bekommt man hin“, sagte Carina Gödecke.

Auch das Thema Inklusion kam zur Sprache. Carina Gödecke macht keinen Hehl aus ihrer persönlichen Betroffenheit: Sie sei Großmutter eines schwerst- und mehrfachbehinderten Mädchens, sagte die 57-Jährige. Für betroffene Eltern sei es früher ein täglicher Kampf gewesen, nun hätten sie „verbriefte Rechte“. Im Kinder- und Jugendparlament wurde aber auch Kritik an der Umsetzung der Inklusion in Schulen laut: „Das Ziel ist lobenswert, aber wir haben schon jetzt Lehrermangel. Ob man das stemmen kann, ist für mich fraglich“, sagte Julian (17).

Lob von der Landtagspräsidentin 

Vertauschte Rollen: Bei ihrem Besuch im Herner Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) hat Landtagspräsidentin Carina Gödecke im Ratssaal erst einmal die 20 Jugendlichen gelöchert. Bei der Befragung der KiJuPa-Mitglieder erfuhr die „erste Frau im Land“ (OB Frank Dudda) unter anderem, dass das 1992 gegründete Herner Gremium das älteste seiner Art in Nordrhein-Westfalen ist, die Kinder- und Jugend-Disco in der Akademie Mont-Cenis ein angesagter Treffpunkt ist und auch der Besuch von Flüchtlingsheimen zu den bisherigen Aktivitäten zählte. Und Touren nach Düsseldorf, Berlin und Straßburg kommentierte ein KiJuPa-Mitglied mit dem Hinweis: „Wir kommen schon rum.“

© Ralph Bodemer

Den Berichten der Herner Jugendparlamentarier über weitere Aktionen und Initiativen begegnete Carina Gödecke mit der Erkenntnis: „Junge Menschen sind sehr wohl ansprechbar für Politik.“ Diese Erfahrungen habe sie schon mehrfach gemacht. Sie frage sich allerdings: „Wie erreichen wir eure Altersgruppe am besten?“

Übers Internet und Facebook, so ein Vorschlag aus der KiJuPa-Runde. Nein, man müsse sich besser mit den Schulen in Verbindung setzen, sagte Alina. Viele ihrer Altersgenossen seien passiv. „Denen muss etwas vor die Nase gesetzt werden.“ Mehr Jugendthemen müssten angesprochen werden, schlug Sarah vor. Leider würden die Medien häufig zu kompliziert über Politik berichten: „Ich schaue mir deshalb lieber die Kindernachrichten an.“

Die Herner Jugendparlamentarier berichteten der Landtagspräsidentin über ihre bisherigen Aktionen.
Die Herner Jugendparlamentarier berichteten der Landtagspräsidentin über ihre bisherigen Aktionen. © Ralph Bodemer

Ein weiteres Thema beim Austausch im Ratssaal: Flüchtlinge. Mitglieder des Kinder- und Jugendparlaments berichteten von ihrem Spielenachmittag mit Flüchtlingskindern. Das sei ein beeindruckendes Erlebnis gewesen, sagte KiJuPa-Geschäftsführer Armin Kurpanik. „Das habt ihr toll gemacht“, sagte die Landtagspräsidentin und regte an, diese Aktion zu wiederholen.

Eintrag ins Goldene Buch

Der zweite Teil der Diskussion drehte sich dann fast ausschließlich um das Thema „G 8“ (siehe oben). Carina Gödecke, der Oberbürgermeister und der SPD-Landtagsabgeordnete Alexander Vogt trugen sich noch ins Goldene Buch des Kinder- und Jugendparlaments ein. Und von Frank Dudda gab es zum Abschluss ein dickes Lob für die Jugendparlamentarier: „Wir sind stolz auf euch. Ihr stellt euch mit großer Ernsthaftigkeit den Themen. Das hat uns beeindruckt.“

Die Idee für eine Stippvisite der Bochumer Sozialdemokratin in Herne war beim Besuch des KiJuPa bei Alexander Vogt im Düsseldorfer Landtag geboren worden.