Herne. . Die Herner SPD-Ratsfrau Nurten Özcelik glaubt nicht an die Vorwürfe gegen den Bürgermeister von Besiktas, Murat Hazinedar. Das sagte sie im WAZ-Interview.
Die Städtepartnerschaft mit Besiktas ist in Herne kurz nach dem Putschversuch in der Türkei besiegelt worden, nach seiner Rückkehr wurde der Bürgermeister des Istanbuler Bezirks, der sozialdemokratische Politiker Murat Hazinedar, von den türkischen Behörden mit einem Ausreiseverbot belegt (die WAZ berichtete). Wie in dieser Situation die Städte-Freundschaft mit Leben gefüllt werden kann, darüber sprach die WAZ mit SPD-Ratsfrau Nurten Özcelik, die den Weg für die Städte-Freundschaft durch ihre Türkei-Kontakte initiiert hat.
Sie pflegen einen engen Kontakt mit Murat Hazinedar. In welcher Situation befindet er sich?
Özcelik: Ich spreche in der Tat regelmäßig mit ihm, aber auch mit seinen Stellvertretern, bin also in ständigem Austausch mit der Partnerstadt. Herr Hazinedar ist von sich aus mit seinem Rechtsanwalt zur Staatsanwaltschaft nach Istanbul gegangen, um Informationen über sein Ausreiseverbot zu erhalten. Vernommen werden konnte er aber noch nicht, weil die Ermittlungen gegen ihn noch nicht abgeschlossen seien. Ihm ist mitgeteilt worden, dass man auf ihn zugehen werde. Deshalb muss er abwarten.
Was werfen ihm die türkischen Behörden konkret vor?
Die Nähe zu Gülen, dessen Bewegung in der Türkei ja zur Terror-Organisation erklärt wurde. Ich bin seit einigen Jahren mit Murat Hazinedar freundschaftlich verbunden und kann mir nicht vorstellen, dass an den Vorwürfen etwas dran ist. Er ist Sozialdemokrat, der den Prinzipien Atatürks nach Gleichberechtigung, Toleranz und insbesondere Demokratie immer treu geblieben ist und sie in seiner Arbeit als Bürgermeister auch lebt. Das passt nicht zu Gülen, der ein Sektenführer ist und zu seiner Bewegung, die einen islamistischen Staat will.
In Deutschland unterhält die Gülen-Bewegung ja auch Bildungseinrichtungen. . .
Ja. Solange diese ihre Arbeit innerhalb unserer demokratischen Rechtsordnung verrichten, habe ich keine Probleme damit. Wenn islamistisch-fanatische Inhalte vermittelt werden, dann aber sehr wohl. Und wenn die innenpolitischen Probleme in der Türkei hier nach Deutschland übertragen werden.
Mitglied im SPD-Parteivorstand
Nurten Özcelik nennt sich selbst „Gastarbeiterkind aus Horsthausen“: Sie ist in Herne als Tochter von türkischen Zuwanderern geboren. Heute arbeitet die 45-Jährige bei der Herner Sparkasse.
Ihre politische Laufbahn begann 2004 im Integrationsrat, wo sie heute stellvertretende Vorsitzende ist. In die SPD trat sie 2006 ein, in den Rat kam sie 2014. Im Ortsverein Wanne-Süd, wo sie wohnt, ist sie Kassiererin. Sie gehört dem SPD-Parteivorstand an.
Muss man Verständnis aufbringen für die Härte, mit der Erdogan durchgreift?
Nein. Ich würde mir wünschen, Erdogan ginge die Aufarbeitung des Putschversuchs ruhiger und faktenorientierter an. Der Putschversuch zeigt, dass Erdogan nicht alles unter Kontrolle hat. Er will den Türken nun zeigen, dass er in der Lage ist, wieder für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Aber: Es geht nicht darum, ob man Erdogan mag oder nicht. Wer mit den Putschisten unter einer Decke steckt, muss ermittelt werden. Die Maßnahmen, die von den Behörden in anderen Ländern wie zum Beispiel Frankreich oder Belgien und Deutschland durchgeführt werden, zeigen ja auch deutlich, dass die Behörden in so einer Ausnahmesituation auch konsequent reagieren müssen.
Was würde es für die Städtepartnerschaft mit Besiktas bedeuten, wenn Murat Hazinedar als Bürgermeister abgesetzt würde?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Sollte das aber passieren, müsste man wieder von vorne anfangen, das heißt Kontakte knüpfen und Vertrauen schaffen.
Und wenn plötzlich ein AKP-Bürgermeister eingesetzt würde?
Man kann den Bürgern ja nicht einfach irgendeinen Bürgermeister vor die Nase setzen. Das geht auch in der Türkei nicht. Es müsste gewählt werden, und in Besiktas ist ein AKP-Bürgermeister erst mal nicht denkbar. Käme es aber doch zu einem AKP-Bürgermeister, dann würde ich alles daran setzen, dass die Städtepartnerschaft, die es nun mal gibt, funktioniert.
Die Facebook-Seite von Murat Hazinedar funktioniert seit einigen Tagen wieder. Weiß man nun, warum sie nicht erreichbar war?
Murat Hazinedar ist das passiert, was vielen passiert: Sein Zugang wurde gehackt. Sonst nichts. Da wurde nichts gesperrt.
Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Behörden dahinter stecken, wenn man bedenkt, dass seine Facebook-Seite kurz vor seinem Ausreiseverbot vom Netz ging.
Das glaube ich nicht. Wenn die Behörden seine sozialen Netzwerke hätten sperren wollen, dann hätten sie bestimmt auch seine Twitter- und Instagram-Auftritte gesperrt, was aber nicht passiert ist. Was die zeitliche Nähe zum Ausreiseverbot angeht, das kann nur Zufall sein. Hier wird viel hineininterpretiert.
Die knappe Rats-Entscheidung für die Städte-Ehe fiel kurz vor dem Putschversuch. Glauben Sie, dass es heute eine Ratsmehrheit für die Freundschaft geben würde?
Nein. Aber: Die ganze Diskussion um die Städtepartnerschaft in den vergangenen Monaten hat mir gezeigt, dass sich Deutsche und Türken noch immer nicht gut kennen — trotz all der Jahrzehnte, in denen türkischstämmige Menschen nun auch in Herne leben. Das hat mich erschrocken und traurig gemacht. Und das hat mir deutlich gemacht, dass wir uns endlich besser verstehen müssen. Um so wichtiger ist es, dass wir die Städtepartnerschaft gerade auch jetzt angehen und uns besser kennen lernen müssen.
Fürchten Sie, dass die Lage in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch für den Aufbau der Städtepartnerschaft negative Konsequenzen hat?
Nein. In der Türkei habe ich sehr viel Zuspruch für die Städtepartnerschaft erfahren. Sogar aus dem Innenministerium: Dort wurde mir gesagt, dass man die Freundschaft schätzt und unterstützen möchte. Und auch auf der Reise der Herner Delegation im Mai sind wir auf viel Interesse gestoßen. Die Menschen in der Türkei sind offen dafür, sich auszutauschen.
In der aktuellen Lage den Austausch von Schulen zu organisieren, dürfte aber schwierig sein.
Ja, das stimmt, und das könnte ich gut verstehen. Da dürften viele Eltern Sorge um ihre Kinder haben. Da müssen die Schulen selbst entscheiden, ob sie das wollen. Um so mehr wünsche ich mir, dass sich schnellstmöglichst die Lage in der Türkei so weit stabilisiert, dass gegenseitige Besuche bedenkenlos sind.